Neun-Euro-Ticket übertrifft Erwartungen im Saarland
Obwohl Regionalbahnen, Saarbahn und Busse gut gefüllt waren, gab es keine Engpässe bei der Beförderung. Bis Pfingstsonntag wurden 97 500 Karten verkauft.
SAARBRÜCKEN Ja, es gab sie vereinzelt. Die überfüllten Regionalzüge, in die Reisende mit ihrem neuen Neun-Euro-Ticket über Pfingsten nicht mehr zusteigen konnten. In Saarbrücken, Mannheim und Karlsruhe. „Aber die Züge zu Pfingsten waren vor Corona auch immer gut ausgelastet, insofern ist das NeunEuro-Ticket nur ein kleiner Faktor“, sagt Martin Mendel. Als Landesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn für Rheinland-Pfalz und Saarland hat er immer ein waches
Auge auf die Bahn. Für eine erste Bilanz des Tickets ist es Mendel noch zu früh, weil noch Daten erhoben werden müssen. Klar aber ist, dass im Saarland der Verkauf des NeunEuro-Tickets im bundesweiten Vergleich geringer ausfällt. „Das liegt auch daran, dass das ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum nicht so überzeugend ist“, sagt Mendel.
Seit dem 1. Juni können Inhaber eines Neun-Euro-Tickets damit bundesweit im öffentlichen Nahund Regionalverkehr fahren. Die Fahrkarte kann für Juni, Juli und August gekauft werden und gilt von Monatsanfang bis Monatsende. Zum Start des Neun-Euro-Tickets in der vergangenen Woche hielt sich der Andrang in Bussen und Bahnen zunächst in Grenzen, doch für die Rabattaktion war die Pfingstreisewelle ein erster Härtetest.
Das Mobilitätsministerium im Saarland zieht eine positive Bilanz des Starts. Das Interesse der Saarländer habe die Erwartungen übertroffen: Bis Pfingstsonntag wurden rund 97 500 Tickets verkauft, womit schon mit dem Pfingstwochenende die monatlich angestrebten 100 000 Neun-Euro-Tickets fast erreicht seien. Engpässe, dass Fahrgäste nicht hätten befördert werden können, habe es bisher nicht gegeben, teilt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage mit. Am stärksten ausgelastet seien lang laufende Regionalexpress-Züge gewesen, die am langen Pfingstwochenende nach Möglichkeit in Doppeltraktion fuhren. Bei Regionalbahnen, Saarbahn und Busverkehren sei alles unauffällig verlaufen, bezüglich des Schienenverkehrs sei derzeit kein Handlungsbedarf erkennbar. Von der Saarbahn GmbH heißt es, dass zusätzliche Busse und Bahnen bereitgehalten, aber nicht eingesetzt werden mussten. Auffällige Rückmeldungen von Fahrgästen lägen nicht vor. Betriebsleiter Michael Irsch erklärte: „Uns bereitet das neue Neun-EuroTicket keine Probleme. Wir haben zusätzliche Kapazitäten eingeplant, deren Einsatz war aber bislang nicht notwendig.“
Die Deutsche Bahn (DB) blickt bundesweit auf einen geregelten Pfingstverkehr mit „regionalen Auslastungsspitzen“zurück. Allein bei der DB hat sich die Zahl der verkauften Neun-Euro-Tickets seit Ende Mai mehr als verdoppelt: Über 6,5 Millionen sind inzwischen verkauft worden. Jörg Sandvoß, Vorstandsvorsitzender von DB Regio, teilte mit: „Mit 86 000 Zugfahrten ist bei DB Regio über das lange Wochenende alles gerollt, was rollen kann.“Die Eisenbahngewerkschaft und die Personalvertretung der DB hatten nach dem Pfingstwochenende eine gemischte Bilanz gezogen: Bundesweit seien rund 400 Züge überfüllt gewesen, das Personal habe Überstunden geleistet, Fahrräder konnten nicht mitgenommen werden, Passagiere seien abgewiesen worden.
Keine Überraschung, schon gar nicht für Martin Mendel vom Fahrgastverband Pro Bahn. Obwohl DB Regio angesichts der erwartbar steigenden Zahl von Fahrgästen mehr als 50 zusätzliche Züge rollen lässt. Ein Effekt, der laut Mendel angesichts der Größe des bundesweiten Netzes beinahe verpuffe. „Die Möglichkeit, spürbar mehr Züge ins System zu geben, hat sich die Bahn selbst zerstört“, sagt Mendel. Weil die Bahn konsequent Bahnsteige auf Mindestlänge zurückbaue, weil aufgrund von Bauarbeiten manche Strecken nur eingleisig befahrbar seien, weil die vor 20 Jahren noch hohe Stillstandsreserve durch Verkauf und Verschrottung massiv abgebaut wurde. Andererseits habe aber eben auch die Bahn mit Fachkräftemangel in Betrieb und Bau zu kämpfen. Letzten Endes fahre die Bahn aber, was bestellt sei. An diesem Punkt kommt für Mendel auch das Land in die Verantwortung, denn laut Grundgesetz ist Nahverkehr Sache der Länder: Vom Bund bekommen sie als Ausgleich Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr. „Das Saarland hat 2021 rund 109 Millionen Euro Regionalisierungsmittel bekommen, zahlt aber regelmäßig einen höheren Millionenbetrag wegen Nichtverwendung zurück. Warum wird nicht mehr in den ÖPNV investiert?“, fragt sich Mendel.
Und nun? „Nicht nur das Saarland muss sich Gedanken machen, es könnte etwa mit RheinlandPfalz und Baden-Württemberg ein gemeinsames Ticket mit Flatrate angehen“, schlägt Mendel für die Zeit nach dem Neun-Euro-Ticket vor. Denn das sei ja auch das Tolle am Neun-Euro-Ticket: Mit einem Ticket fahren, ohne sich groß Gedanken darüber machen zu müssen, welches Ticket in welcher Zone welcher Stadt denn für welchen Bus und welche Bahn gelte – oder nicht. Und nachjustieren beim Süwex, der erfolgreichen Kooperation für schnellen Regionalverkehr in Saarland und Rheinland-Pfalz sowie Teilen von Baden-Württemberg und Hessen. „Der Süwex ist Opfer seines Erfolges. Weil sich keine zusätzlichen Wagen anhängen lassen, könnte darüber nachgedacht werden, den Fuhrpark auszutauschen und durch doppelgeschossige Wagen zu ersetzen.“
Auch Erhard Pitzius, Vorsitzender der Plattform Mobilität SaarLor-Lux, spricht bei der Bestellung von neuen Zügen von Versäumnis. Wolle man Fahrgastzahlen im Schienenpersonennahverkehr erheblich steigern, müsse man in die Zukunft denken. „Leider wurden für die Strecken Kaiserlautern – Homburg – Saarbrücken – Merzig – Trier wieder vierteilige Triebwagen bestellt, die leider zusätzlich auch noch weniger Türen aufweisen als das Vorgängermodell und bei Doppeltraktion für viele Bahnsteige zu lang sind“, teilt Pitzius mit.
Was können Fahrgäste tun? In der Freizeit so viel Bahnfahren wie möglich – beinahe guerillamäßig, also allein um des Fahrens willen, um dem Bedürfnis nach besserem Schienenpersonennahverkehr so Nachdruck zu verleihen? Mendel von Pro Bahn muss lachen, dann sagt er: „Ich empfehle den Leuten, die es sich leisten können, das Ticket zu kaufen und damit auch ein paar touristische Touren zu machen.“Bis zum Bodensee käme man von Saarbrücken mit zwei Umstiegen. Bei Verspätungen, auch mit Neun-Euro-Ticket in der Hand, gibt er diesen Tipp: auf den ICE ausweichen. Klingt dann doch etwas nach Guerillataktik. „Wenn man am Bahnhof steht und absehbar ist, dass der Regionalzug am Ziel mit mehr als 20 Minuten Verspätung ankommen wird, ein Ticket für den ICE kaufen, mitfahren und dann erstatten lassen.“Das gehe über die App DB Navigator, dazu Fotos als Belege. Und ganz sicher gehen: Bei der Nachweispflicht sollte ein Nachweis über die Verspätung vom Zugbegleitpersonal, vom Servicepoint oder dem Reisezentrum ausgestellt werden, rät Mendel.