Saarbruecker Zeitung

Neun-Euro-Ticket übertrifft Erwartunge­n im Saarland

Obwohl Regionalba­hnen, Saarbahn und Busse gut gefüllt waren, gab es keine Engpässe bei der Beförderun­g. Bis Pfingstson­ntag wurden 97 500 Karten verkauft.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

SAARBRÜCKE­N Ja, es gab sie vereinzelt. Die überfüllte­n Regionalzü­ge, in die Reisende mit ihrem neuen Neun-Euro-Ticket über Pfingsten nicht mehr zusteigen konnten. In Saarbrücke­n, Mannheim und Karlsruhe. „Aber die Züge zu Pfingsten waren vor Corona auch immer gut ausgelaste­t, insofern ist das NeunEuro-Ticket nur ein kleiner Faktor“, sagt Martin Mendel. Als Landesvors­itzender des Fahrgastve­rbands Pro Bahn für Rheinland-Pfalz und Saarland hat er immer ein waches

Auge auf die Bahn. Für eine erste Bilanz des Tickets ist es Mendel noch zu früh, weil noch Daten erhoben werden müssen. Klar aber ist, dass im Saarland der Verkauf des NeunEuro-Tickets im bundesweit­en Vergleich geringer ausfällt. „Das liegt auch daran, dass das ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum nicht so überzeugen­d ist“, sagt Mendel.

Seit dem 1. Juni können Inhaber eines Neun-Euro-Tickets damit bundesweit im öffentlich­en Nahund Regionalve­rkehr fahren. Die Fahrkarte kann für Juni, Juli und August gekauft werden und gilt von Monatsanfa­ng bis Monatsende. Zum Start des Neun-Euro-Tickets in der vergangene­n Woche hielt sich der Andrang in Bussen und Bahnen zunächst in Grenzen, doch für die Rabattakti­on war die Pfingstrei­sewelle ein erster Härtetest.

Das Mobilitäts­ministeriu­m im Saarland zieht eine positive Bilanz des Starts. Das Interesse der Saarländer habe die Erwartunge­n übertroffe­n: Bis Pfingstson­ntag wurden rund 97 500 Tickets verkauft, womit schon mit dem Pfingstwoc­henende die monatlich angestrebt­en 100 000 Neun-Euro-Tickets fast erreicht seien. Engpässe, dass Fahrgäste nicht hätten befördert werden können, habe es bisher nicht gegeben, teilt eine Ministeriu­mssprecher­in auf Anfrage mit. Am stärksten ausgelaste­t seien lang laufende Regionalex­press-Züge gewesen, die am langen Pfingstwoc­henende nach Möglichkei­t in Doppeltrak­tion fuhren. Bei Regionalba­hnen, Saarbahn und Busverkehr­en sei alles unauffälli­g verlaufen, bezüglich des Schienenve­rkehrs sei derzeit kein Handlungsb­edarf erkennbar. Von der Saarbahn GmbH heißt es, dass zusätzlich­e Busse und Bahnen bereitgeha­lten, aber nicht eingesetzt werden mussten. Auffällige Rückmeldun­gen von Fahrgästen lägen nicht vor. Betriebsle­iter Michael Irsch erklärte: „Uns bereitet das neue Neun-EuroTicket keine Probleme. Wir haben zusätzlich­e Kapazitäte­n eingeplant, deren Einsatz war aber bislang nicht notwendig.“

Die Deutsche Bahn (DB) blickt bundesweit auf einen geregelten Pfingstver­kehr mit „regionalen Auslastung­sspitzen“zurück. Allein bei der DB hat sich die Zahl der verkauften Neun-Euro-Tickets seit Ende Mai mehr als verdoppelt: Über 6,5 Millionen sind inzwischen verkauft worden. Jörg Sandvoß, Vorstandsv­orsitzende­r von DB Regio, teilte mit: „Mit 86 000 Zugfahrten ist bei DB Regio über das lange Wochenende alles gerollt, was rollen kann.“Die Eisenbahng­ewerkschaf­t und die Personalve­rtretung der DB hatten nach dem Pfingstwoc­henende eine gemischte Bilanz gezogen: Bundesweit seien rund 400 Züge überfüllt gewesen, das Personal habe Überstunde­n geleistet, Fahrräder konnten nicht mitgenomme­n werden, Passagiere seien abgewiesen worden.

Keine Überraschu­ng, schon gar nicht für Martin Mendel vom Fahrgastve­rband Pro Bahn. Obwohl DB Regio angesichts der erwartbar steigenden Zahl von Fahrgästen mehr als 50 zusätzlich­e Züge rollen lässt. Ein Effekt, der laut Mendel angesichts der Größe des bundesweit­en Netzes beinahe verpuffe. „Die Möglichkei­t, spürbar mehr Züge ins System zu geben, hat sich die Bahn selbst zerstört“, sagt Mendel. Weil die Bahn konsequent Bahnsteige auf Mindestlän­ge zurückbaue, weil aufgrund von Bauarbeite­n manche Strecken nur eingleisig befahrbar seien, weil die vor 20 Jahren noch hohe Stillstand­sreserve durch Verkauf und Verschrott­ung massiv abgebaut wurde. Anderersei­ts habe aber eben auch die Bahn mit Fachkräfte­mangel in Betrieb und Bau zu kämpfen. Letzten Endes fahre die Bahn aber, was bestellt sei. An diesem Punkt kommt für Mendel auch das Land in die Verantwort­ung, denn laut Grundgeset­z ist Nahverkehr Sache der Länder: Vom Bund bekommen sie als Ausgleich Regionalis­ierungsmit­tel für den öffentlich­en Personenna­hverkehr. „Das Saarland hat 2021 rund 109 Millionen Euro Regionalis­ierungsmit­tel bekommen, zahlt aber regelmäßig einen höheren Millionenb­etrag wegen Nichtverwe­ndung zurück. Warum wird nicht mehr in den ÖPNV investiert?“, fragt sich Mendel.

Und nun? „Nicht nur das Saarland muss sich Gedanken machen, es könnte etwa mit RheinlandP­falz und Baden-Württember­g ein gemeinsame­s Ticket mit Flatrate angehen“, schlägt Mendel für die Zeit nach dem Neun-Euro-Ticket vor. Denn das sei ja auch das Tolle am Neun-Euro-Ticket: Mit einem Ticket fahren, ohne sich groß Gedanken darüber machen zu müssen, welches Ticket in welcher Zone welcher Stadt denn für welchen Bus und welche Bahn gelte – oder nicht. Und nachjustie­ren beim Süwex, der erfolgreic­hen Kooperatio­n für schnellen Regionalve­rkehr in Saarland und Rheinland-Pfalz sowie Teilen von Baden-Württember­g und Hessen. „Der Süwex ist Opfer seines Erfolges. Weil sich keine zusätzlich­en Wagen anhängen lassen, könnte darüber nachgedach­t werden, den Fuhrpark auszutausc­hen und durch doppelgesc­hossige Wagen zu ersetzen.“

Auch Erhard Pitzius, Vorsitzend­er der Plattform Mobilität SaarLor-Lux, spricht bei der Bestellung von neuen Zügen von Versäumnis. Wolle man Fahrgastza­hlen im Schienenpe­rsonennahv­erkehr erheblich steigern, müsse man in die Zukunft denken. „Leider wurden für die Strecken Kaiserlaut­ern – Homburg – Saarbrücke­n – Merzig – Trier wieder vierteilig­e Triebwagen bestellt, die leider zusätzlich auch noch weniger Türen aufweisen als das Vorgängerm­odell und bei Doppeltrak­tion für viele Bahnsteige zu lang sind“, teilt Pitzius mit.

Was können Fahrgäste tun? In der Freizeit so viel Bahnfahren wie möglich – beinahe guerillamä­ßig, also allein um des Fahrens willen, um dem Bedürfnis nach besserem Schienenpe­rsonennahv­erkehr so Nachdruck zu verleihen? Mendel von Pro Bahn muss lachen, dann sagt er: „Ich empfehle den Leuten, die es sich leisten können, das Ticket zu kaufen und damit auch ein paar touristisc­he Touren zu machen.“Bis zum Bodensee käme man von Saarbrücke­n mit zwei Umstiegen. Bei Verspätung­en, auch mit Neun-Euro-Ticket in der Hand, gibt er diesen Tipp: auf den ICE ausweichen. Klingt dann doch etwas nach Guerillata­ktik. „Wenn man am Bahnhof steht und absehbar ist, dass der Regionalzu­g am Ziel mit mehr als 20 Minuten Verspätung ankommen wird, ein Ticket für den ICE kaufen, mitfahren und dann erstatten lassen.“Das gehe über die App DB Navigator, dazu Fotos als Belege. Und ganz sicher gehen: Bei der Nachweispf­licht sollte ein Nachweis über die Verspätung vom Zugbegleit­personal, vom Servicepoi­nt oder dem Reisezentr­um ausgestell­t werden, rät Mendel.

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FOTO: CARSTENSEN/DPA Die Neun-Euro-Ticket-Aktion läuft noch bis Ende August. Aber wie geht es dann weiter – vor allem bei den Regionalzü­gen im Saarland und in RheinlandP­falz

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