Gesammelte Erinnerungen an das Saarland
Es gibt Geschichtsbücher – und es gibt mündlich überlieferte Erinnerungen. Die trägt das Mediennetzwerk SaarLorLux zusammen – Interviews, die man sich im Internet ansehen kann. Interessierte sind sehr willkommen.
SAARBRÜCKEN Der Püttlinger Fritz Ludwig, Jahrgang 1924, erzählt davon, wie er 1942 das zerbombte Saarbrücken erlebt, er ist beim„Arbeitsdienst“, und zum ersten Mal Tote sieht – da ist er noch ein halbes Kind. Marianne Aaatz, 1929 in Heiligenwald geboren, schildert, wie es war, 1946 als einzige Frau an der neugegründeten Schule für Kunst und Handwerk (dem Vorläufer der HBK) das Studium zu beginnen. Manfred Baumgärtner, Jahrgang 1942, erinnert sich an seine Zeit bei der Völklinger Hütte – dort schaltet er 1986 den letzten Hochofen aus.
Es sind erhellende, oft berührende Gespräche, die man sich auf der Onlineplattform des Projekts „Zeitzeug:innen im Saarland“anschauen kann – etwa mit dem Unternehmer Josef Schuh aus Bliesen, CDU-Politikerin Rita Waschbüsch aus LebachLandsweiler, dem ehemaligen Kommissar Günter Budian aus Püttlingen. Begleitend findet man auf der Internetseite Erläuterungen und Erklärungen zur saarländischen Geschichte. Ein gut gefüllter Ort der Erinnerung.
Hinter dem Projekt steht der Verein Medien-Netzwerk SaarLorLux (MNS), der laut Selbstauskunft „einen Beitrag zur Förderung der kulturellen Vielfalt und zur besseren Verständigung der Menschen in SaarLor
Lux“leisten will.
Mitglieder sind unter anderem die Staatskanzlei des Saarlandes, die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, der Saarländische Rundfunk und die Saarbrücker Zeitung.
Leiter des „Zeitzeug:innen“-Projekts ist Gerd Bauer (CDU), lange Jahre Direktor der Landesmedienanstalt des Saarlandes. Wie kam es zum Projekt? „Im Landtag gab es einmal einen Debattenschwerpunkt zur Erinnerungskultur im Saarland“, erklärt Bauer, „und darüber, dass viele Erinnerungen an das, was an der Saar nach 1945 geschehen ist, verloren zu gehen drohen“. Deshalb habe das MNS die Idee mit den Zeitzeugeninterviews entwickelt, „der Landtag fand das gut und hat im Haushalt eine Förderung über das Sozialministerium verankert“.
Das Projekt nimmt vorerst den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Anfang der 1990er in den Blick, später will man in der Zeit weiter nach vorne rücken. Bauer gibt zu, dass man mit dem Projekt „schon weiter sein wollte, als es jetzt der Fall ist“. Corona habe das Aufzeichnen weiterer Interviews lange unmöglich gemacht, gerade vor dem Hintergrund, dass die Befragten keine jungen Menschen mehr sind. „Und Interviews per Videokonferenz wollten wir nicht machen, das Ganze soll ja so originalgetreu sein wie möglich“– bevorzugt werden die Interviews bei den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Hause geführt, manchmal auch im Studio der Union-Stiftung, dem Haupt-Partner des Projekts. Rund 20 Interviews sind bisher geführt, in diesem Jahr will man aber zwischen 40 und 60 Gespräche auf die Plattform bringen, 2023 soll die Zahl noch steigen. In diesem Sommer soll auch eine App fürs Handy kommen.
„Zeitzeug:innen“will die saarländische Gesellschaft in ihrer Breite abbilden, mit Personen des öffentlichen Lebens, „aber auch mit Nicht-Prominenten, mit Arbeitern, Lehrerinnen und Lehrern, Hausfrauen“. An diese Nicht-Promis heranzukommen sei schwieriger als an Prominente, die man einfach anschreiben kann und die sozusagen auf der Hand liegen. „Manchmal melden sich Menschen bei uns“, sagt Bauer, „die Zeitzeuge sein wollen, manchmal bekommen wir gute Tipps über jemanden, der etwas zu erzählen hätte.“Was bekannte Saarländerinnen und Saarländer angeht, stehen auf Bauers Wunschliste unter anderem die ehemaligen Ministerpräsidenten und Polit-Veteranen Oskar Lafontaine (Ex-SPD und Ex-Linke) und Reinhard Klimmt (SPD), Karlsberg-Unternehmer Richard Weber und Fußballer Werner Otto, Jahrgang 1929, der von 1948 bis 1958 beim 1. FC Saarbrücken kickte.
Die Interviewer stammen meist aus dem MNS-Qualifizierungsprogramm „Media & Me“(siehe Infokasten), die Fragen haben einen festgelegten Rahmen, „damit das Ganze eine Struktur hat“, erklärt Bauer. „Sonst erzählt einer seine ganze Lebensgeschichte, ein anderer einen Schwank aus seiner Jugend.“Maximal 30 Minuten soll ein Interview am Ende lang sein – „etwas Längeres schaut sich im Internet ja kaum jemand an“. Die Befragten können sich die Interviews vor der Veröffentlichung ansehen und müssen ihr Einverständnis geben.
In diesem Jahr will „Zeitzeug:innen“auch an die Schulen gehen, sagt Bauer, richtet sich das Projekt doch nicht zuletzt an „die Generationen, die nachkommen“. Der Verein will den Schülerinnen und Schülern das Ganze vorstellen, mit dem Ziel, dass die dann selbst auch Interviews führen, im Bekannten- und Familienkreis. Diese Gespräche sollen dann auf der Internet-Plattform ihren Platz haben, in einem gesonderten Schulbereich. Schon jetzt können Schulen und Institutionen Zeitzeuginnen und -zeugen einladen, für Gespräche über deren Leben oder ein bestimmtes historisches Thema.
Geplant ist auch ein realer „Ort der Zeitzeugen“in Saarbrücken. „Wir wollen in der Innenstadt eine Lokalität anmieten“, sagt Bauer, „wo sich Menschen über das Projekt informieren können und dort auch von uns interviewt werden können“. Leicht ist die Suche nicht, wegen „hoher Mieten trotz vieler Leerstände“. Eine hohe Innenstadtmiete könne sich der Verein nicht leisten, Bauer bleibt aber optimistisch. „So ein Ort würde uns auch stärker ins Bewusstsein bringen und mehr Nähe schaffen.“
Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesucht: Wer etwas zu erzählen hat über die Nachkriegszeit, die 1960er und 1970er Jahre, kann sich beim MNS melden. Kontakt: Tel. (06 81) 389 55 und info@ zeitzeugen.saarland.
Informationen: www.netzwerkmns.de/zeitzeugen-saarland