Trip ins Ungewohnte
Hotels sind nicht nur reine Übernachtungsbetriebe. Sie sind Orte des Genusses. Und einige Häuser arbeiten mit Künstlern zusammen.
BERLIN Hotels sind flüchtige Orte, Kulissen für Momentaufnahmen des Lebens. Und trotzdem bleiben nach kurzen Aufenthalten in New York, London, Paris oder Berlin neue Eindrücke und besondere Erinnerungen. Das Licht scheint ein bisschen heller, der Kaffee schmeckt anders – neue Gedanken und neue Begegnungen sind möglich. Die ungewohnte Umgebung scheint zu beflügeln. Kein Wunder, dass immer mehr Hotels diese kreative Kraft nutzen und sich nicht nur als komfortable Schlafgelegenheit, sondern auch als Kunst-Tempel präsentieren.
Dabei geht es nicht darum, Gäste unter einem Picasso einschlafen zu lassen, sondern um die überraschende Begegnung mit Kunst und mit Künstlern. Weg von der Kunst als Dekoration, hin zum Kunsterlebnis. Diesen Augenblick zu ermöglichen, festzuhalten, zu dokumentieren – gehört zu einer Idee der Radisson Hotel Gruppe. Das Motto: mit Künstlern zusammenarbeiten. So kooperiert die internationale Hotelkette seit September 2001 mit dem interaktiven Fotokünstler „Paperboyo“alias Rich McCor aus London. Er erhielt den Auftrag, einige Radisson Hotels und die Sehenswürdigkeiten in der Umgebung mit den für ihn typischen interaktiven Scherenschnitten in Szene zu setzen.
Ziel des in London lebenden Künstlers: Den Alltag, das Gewohnte auf den Kopf stellen. Deshalb hat er immer schwarzes Tonpapier und ein Skalpell dabei. Er schneidet Motive aus und drapiert sie so vor seiner Kamera, dass sie zusammen mit den abgebildeten Gebäuden eine neue Geschichte erzählen. Aus dem Riesenrad von London wird ein Fahrrad, das Guggenheim-Museum in New York verschwindet im Blumentopf und Michelangelos David in Florenz wird zum Unterwäschemodel. Was ursprünglich eine Kunstform für die virtuelle Welt von Instagram und Co. sein sollte, entwickelt sich jetzt als touristische Attraktion, als Aushängeschild für Gasthäuser und Destinationen.
Die Fotografien, die so entstehen, werden schon bald sowohl in den Radisson-Häusern als auch auf deren Social-Media-Kanälen zu sehen sein. In Deutschland konzentriert sich Paperboyo auf das renovierte Radissson Collection Hotel in Berlin Mitte: „Paperboyos Werke werden sowohl das Äußere des Hotelgebäudes als auch den berühmten AquaDom des Hotels, das größte freistehende zylindrische Aquarium der Welt mit 1600 tropischen Fischen und das Herzstück der Hotellobby zusammen mit verschiedenen Sehenswürdigkeiten zeigen“, erklärt Radisson-Sprecher Simon Kern.
Einen anderen Weg, Kunst zu zeigen, wählte nur ein paar Straßen weiter in der Hauptstadt das „Arte Louise Kunsthotel“: Hier haben 50 Künstler, vom Absolvent der Kunsthochschule bis zur renommierten Künstlergröße jeweils eines der 50 Zimmer des historischen Stadtpalais gestaltet – ein Kontrastprogramm zu den oft genormten Zimmern in Hotelketten dieser Welt. Hier gleicht kein Zimmer dem anderen. Nach der Wende in den frühen 1990er-Jahren, hatten Musiker und bildende Künstler das Gebäude zum „Künstlerheim“erklärt, ein Ort für Kreative, für Ausstellungen, für spontane Konzerte. Daraus entstand ein professionelles, international bekanntes Hotel.
Auf kreative Kooperation setzt auch das Fünf-Sterne-Haus The Dolder Grand in Zürich. Für die Schweizer hat der international bekannte Künstler Jani Leinonen aus Finnland ein Osterei mit 12.000 Nelken bestückt. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg schuf er eine Installation mit sieben getrockneten Blumen, die er in Kriegsgebieten auf der ganzen Welt gesammelt hat: „Seeds in their pocket“zeigt nicht nur die verwelkte Blütenpracht, sondern mit den darin enthaltenen Samen auch die Zukunft dieser umkämpften Gebiete. Ein Augenblick der Hoffnung. Auf seinem überdimensionalen, farbenfrohen Osterei war zu lesen: „Forgive“– eine Anspielung auf die Ostergeschichte und die Hinrichtung Jesu. „Das Wichtigste daran sind die letzten Worte, die Jesus vor seinem Tod gesprochen haben soll“, ist Leinonen überzeugt. Sie lauteten: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“Für den Künstler haben diese Worte durch Russlands Krieg gegen die Ukraine neue Aktualität erhalten.