Saarbruecker Zeitung

Der heilige Berg der Iren

Keine 800 Meter ist er hoch, aber die haben es in sich. Mehr als 100 000 Wanderer und Pilger besteigen den Croagh Patrick jährlich.

- VON MICHAEL MAREK Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

MURRISK Murrisk, im Westen Irlands: Es gibt einen Pub, einen Parkplatz, einen Campingpla­tz und eine Durchgangs­traße. Das kleine 300-Seelen-Dörfchen ist umgeben von grüner Heide und dunkel schimmernd­en Seen. Dazwischen liegen torfbraune Flüsschen und das blaue Meer. Eine friedliche Landschaft. Hier, in der einst bettelarme­n Grafschaft Mayo, riecht man das Salz des Atlantiks. Und hier steht der Croagh Patrick. Wer nach Murrisk kommt, der will Irlands heiligen Berg besteigen, sonst nichts.

Gerry Greensmyth wartet vor dem Besucherze­ntrum. Der Bergführer kennt den Croagh Patrick wie kein anderer, kennt die Massenwall­fahrt, wenn alljährlic­h am letzten Juli-Wochenende 20.000 bis 25.000 Pilger kommen. Gerry erzählt von der Clew Bay, die unterhalb des Berges liegt. 365 kleine Inselchen gebe es in der Bucht, eines für jeden Tag des Jahres.

Schon von weitem ist seine Gestalt zu erkennen: Karg sieht er von unten aus, ein fast perfekter Kegel; eine Pyramide mit abgerundet­en Flanken – ein Berg, wie aus der Schablone für Kinderzeic­hnungen, geometrisc­h so perfekt, als sei er von himmlische­r Hand geformt worden. Dabei bricht der Croagh Patrick keine Höhenrekor­de: Mit seinen 764 Metern schafft er es nicht einmal in die Top 10 der ohnehin nicht besonders hohen irischen Berge. Aber der Croagh Patrick ist steil, mit losem Geröll auf den Hängen. Jedes Jahr stapfen, keuchen Pilger und Wanderer auf diesen graugrünen, oben fast schwarzen Berg. Manche sogar barfuss oder auf Knien, Teenager in durchweich­ten Turnschuhe­n, Frauen mit ihren Babys, alte Menschen auf Krücken. Im Besucherze­ntrum werden ihnen Pilgerstöc­ke, Medaillons, Rosenkränz­e, dicke Wollsocken und T-Shirts verkauft.

Vor 1500 Jahren war die Gegend noch ein Zentrum der heidnische­n, der keltischen Welt. Bis der Heilige Saint Patrick 441 nach Christus hierher kam und zu missionier­en begann. Die Katholiken glauben, dass Saint Patrick 40 Tage lang auf dem Berg gebetet und gefastet habe. Der irische Schutzpatr­on brachte das Christentu­m auf die grüne Insel und bekehrte viele Heiden auch hier in der Region Mayo.

Für die Gläubigen gibt es auf dem Weg zum Gipfel einen Steinhaufe­n, um den reuige Sünder sieben Mal herumgehen müssen, während sie sieben Vaterunser, sieben „Gegrüßet seist Du, Maria“und ein Glaubensbe­kenntnis sprechen. Ob das alle, der über 100.000 Pilger und Wanderer machen, die jedes Jahr den Croagh Patrick besteigen? Bergführer Gerry ist sich da nicht so sicher und lächelt verschmitz­t.

Weiter geht es den Hang hinauf. Wer drei Auf- und Abstiege am selben Tag schafft, dem würden seine Sünden erlassen, heißt es im Volksmund. Modernen Ablasshand­el nennt das Gerry. Über moosige Pfade geht der Aufstieg, gespenstis­che Wolkenfetz­en streichen über die höher liegenden Felsenflan­ken. So könnte eine Mondlandsc­haft aussehen. Früher standen entlang des Weges noch Kioske, in denen Getränke, Suppen und religiöser Nippes verkauft wurden. Familien aus Murrisk betrieben die Stände, um die Pilger körperlich-seelisch zu stärken – und um die eigenen Haushaltsk­asse aufzubesse­rn. Sogar Nachtwande­rungen gab es. Aber das ist längst vorbei. Aus Sicherheit­sgründen, wie es heißt. Um die nichtkatho­lischen Aktivitäte­n rings um die Wallfahrt einzudämme­n, wurde die Pilgerwand­erung auf den Tag verschoben.

Es heißt, wenn man den Berg dreimal hintereina­nder bestiegen habe, dann würde eine Seele in den Himmel kommen. Man müsse nur an sie denken. Bergführer Gerry hat schon viele Seelen in den Himmel gebracht. Hunderte Male ist er auf

dem Gipfel gewesen. Und er habe so manchen Pilger getroffen, der schlecht ausgerüste­t war. Das Wetter kann von einem auf den anderen Moment wechseln. Sonne, Schnee und Nebel – selbst im Sommer ist das möglich. Immer wieder überschätz­en sich Wanderer, knapp 800 Meter – das scheint doch keine Herausford­erung zu sein. Doch der Berg hat es in sich.

Die letzten 250 Höhenmeter sind die steilsten des ganzen Pfades. Ein holpriger, rutschiger Untergrund voller Geröll. Steinbrock­en kommen jedem polternd entgegen. Keine Serpentine, die Erleichter­ung verschafft. Es geht einfach nur steil und fast schnurgera­de bergauf. Schließlic­h ist der Weg zum Croagh Patrick nicht als fröhliches Freizeitwa­ndern gedacht, sondern ein Pilgerpfad, ein Büßerweg hinauf zur Kapelle des Heiligen Saint Patrick. Unterwegs entschädig­t der Ausblick für die Mühsaal des Aufstiegs.

Als der Heilige Saint Patrick den Berg bestiegen haben soll, habe Irland unter einer dreifachen Plage gelitten, erzählt Gerry: einer Masse von Zauberern, Myriaden von Dämonen und einer Unzahl giftiger Reptilien. Der fromme Patrick kämpfte mit Gebeten und Andacht gegen die Peiniger, läutete seine Glocke – die heute im National Museum in Dublin zu sehen ist – so oft, dass sie schwarz wurde, und befreite sich zum Schluss, indem er die bösen Geister mit seinem Stab so wuchtig in den Abgrund bannte, dass dort ein See entsprang. Deshalb gibt es, sagt der Volksmund, bis heute in Irland keine Schlangen.

Oben, auf dem Gipfel angekommen, pfeift einem der Wind um die Ohren. Dort steht eine kleine weißgestri­chene Kapelle. 1905 wurde sie geweiht. Seitdem werden dort Gottesdien­ste für die Pilger abgehalten. Im Innern befindet sich ein Stein, auf dem Saint Patrick so lange im Gebet verharrt haben soll, bis seine Knie einen Abdruck hinterließ­en. Die besonders Eifrigen gehen 15 Mal um die Kapelle herum, beten 15 Vaterunser und „Gegrüßet seist du, Maria“.

 ?? FOTOS: MICHAEL MAREK ?? Der Croagh Patrick ist nicht der höchste Berg Irlands. Doch zieht er jährlich massenhaf t Pilger an.
FOTOS: MICHAEL MAREK Der Croagh Patrick ist nicht der höchste Berg Irlands. Doch zieht er jährlich massenhaf t Pilger an.

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