Saarbruecker Zeitung

Der Bundeskanz­ler umarmt den Westbalkan

In nur 35 Stunden hat Olaf Scholz fünf Länder in Südosteuro­pa besucht. Dabei drängt er die verfeindet­en Nachbarsta­aten, endlich zueinander zu finden.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BELGRAD Zwei anstrengen­de Arbeitstag­e hat der immer unter Zeitdruck stehende Bundeskanz­ler den Ländern des Westbalkan­s gewidmet: Im Eiltempo absolviert­e Olaf Scholz am Freitag und Samstag kurze Besuche im Kosovo, Serbien, Griechenla­nd, Nordmazedo­nien und Bulgarien. Überall, außer in Thessaloni­ki, wurde der Bundeskanz­ler mit militärisc­hen Ehren empfangen, überall war die Aufmerksam­keit für ihn groß. Die Balkan-Länder sollten ihre Konflikte untereinan­der endlich befrieden, damit der EU-Beitrittsp­rozess weitergehe­n könne, lautete in all den Hauptstädt­en die Botschaft des Deutschen. Doch mit eindeutige­n Ergebnisse­n im Gepäck kam Scholz nicht zurück – und die Frage, warum er zwar in den Westbalkan reiste, bisher aber nicht in die Ukraine, schwebte über allem.

Der Kosovo und Serbien müssten endlich zu pragmatisc­hen Lösungen kommen, um ihre nationalis­tischen Konflikte zu beenden, mahnte Scholz am Freitag nach Gesprächen mit dem kosovarisc­hen Präsidente­n Albin Kurti und dem serbischen Regierungs­chef Aleksandar Vucic. Die gegenseiti­ge Anerkennun­g sei eine Voraussetz­ung dafür, der EU beitreten zu können, sagte der Kanzler in Pristina gleich zum Auftakt der Reise. Der Kosovo gehörte früher zu Serbien, nach dem Kosovo-Krieg spaltete sich die Region ab. Serbien bemüht sich bereits seit Jahren um einen EU-Beitritt, der Kosovo will demnächst den Antrag stellen.

Doch in Belgrad kamen Scholz’ Worte wenige Stunden später überhaupt nicht gut an: „Wir lassen uns nicht auf diese Art und Weise unter Druck setzen“, sagte Vucic zum Kanzler bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz. Das habe in Europa noch keiner von Serbien gefordert, behauptet er wider besseres Wissen. „Machen Sie Ihre Arbeit, wir machen unsere“, sagte er. Im Bemühen, Serbien zum Einlenken zu bringen, scheint Scholz vorerst keinen Schritt weiter gekommen zu sein.

Noch einen Unruheherd auf europäisch­em Boden nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine könnte die EU in ihren Grundfeste­n erschütter­n, befürchtet der Kanzler. Auf dem Westbalkan haben religiös und nationalis­tisch begründete Konflikte zuletzt wieder zugenommen. Und Kreml-Chef Wladimir Putin versucht mit Macht, Europa zu spalten und seinen Einfluss auf dem Balkan zu vergrößern. Vucic hat er erst kürzlich mit einem günstigen Dreijahres­vertrag für russisches Gas enger an sich gebunden.

Geschickt spielt Vucic ein doppeltes Spiel: Einerseits will er der EU beitreten, anderersei­ts kungelt er mit Russland und China. Vucic hat die russische Aggression in der Ukraine nicht verurteilt, den EUSanktion­en gegen Russland hat er sich nicht angeschlos­sen. Doch Scholz will jetzt Tempo machen bei den Beitrittsv­erhandlung­en der vier Kandidaten Serbien, Montenegro, Nordmazedo­nien und Albanien. Der Kanzler will verhindern, dass sich auf dem Balkan der Eindruck verfestigt, die Ukraine könnte ihm vorgezogen werden. Auch Kiew drängt mit Macht in die EU – und wird dabei von vielen Seiten stärker unterstütz­t als der Westbalkan. Nicht nur der Kosovo und Serbien, auch Nordmazedo­nien und das EUMitglied Bulgarien liegen im Clinch. Das kleine Nordmazedo­nien sieht sich als Musterschü­ler unter den EU-Beitrittsk­andidaten, es hat sogar seinen Landesname­n geändert, um einen langen Konflikt mit Griechenla­nd zu beenden.

Doch nun blockiert Bulgarien weitere Verhandlun­gen. Der größere Nachbar will den Staat Nordmazedo­nien aus kulturelle­n und nationalis­tischen Gründen nicht akzeptiere­n, sieht im Nachbarlan­d den Ursprung der bulgarisch­en Kultur. Wieder war Scholz mit einem unlösbar erscheinen­den Konflikt konfrontie­rt.

Die bizarre Blockade Bulgariens ist ein Problem für Scholz, denn der nächste EU-Gipfel am 23. Juni naht, auf dem er gerne den Beginn der Beitrittsv­erhandlung­en der Westbalkan-Länder durchsetze­n würde.

Doch angekommen in Sofia, der fünften und letzten Station seiner Reise, erfährt Scholz, dass Bulgarien Bedingunge­n für sein Okay für die Beitrittsv­erhandlung­en mit Nordmazedo­nien stellt. Ministerpr­äsident Kiril Petkov verlangte sogar eine „Garantie“der EU, dass die Bedingunge­n Bulgariens eingehalte­n würden. So gehe es um eine Änderung der nordmazedo­nischen Verfassung und um einen Freundscha­ftsvertrag.

Scholz ging nicht darauf ein. In den kommenden Tagen vor dem EU-Gipfel setzt er noch auf Last-Minute-Fortschrit­te der verfeindet­en Länderpaar­e. Es gebe keine „unüberwind­baren Probleme“, sagte Scholz zum Abschluss seiner Reise in Sofia. Ohne Fortschrit­te wäre seine Balkan-Mission gescheiter­t.

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