Saarbruecker Zeitung

Israels Viel-Parteien-Bündnis in der Krise

Ausgerechn­et zum ersten Jahrestag der Koalition von Ministerpr­äsident Bennett gibt es Streit innerhalb der Regierung.

- VON STEFANIE JÄRKEL

TEL AVIV (dpa) So hatte sich Israels Ministerpr­äsident Naftali Bennett den ersten Jahrestag seiner AchtPartei­en-Regierung wohl nicht vorgestell­t: Mangels Mehrheit im Parlament muss der 50-Jährige fürchten, dass ihm seine Koalition aus sehr unterschie­dlichen Partnern jeden Moment auseinande­rfällt. An diesem Montag steht wohl der nächste Test an, ob seine Truppe noch regierungs­fähig ist.

Exakt am ersten Jahrestag soll abermals über ein Gesetz zur Anwendung israelisch­en Rechts auf israelisch­e Siedler im besetzten Westjordan­land entschiede­n werden. Seit 1967 ging das routinemäß­ig alle fünf Jahre durch – eigentlich also eine Formsache. Nun jedoch verlor die Regierung am vergangene­n Montag die Abstimmung darüber. Die Opposition unter dem immer noch einflussre­ichen Ex-Premier Benjamin Netanjahu (72) forderte deshalb Bennetts Rücktritt.

Jonathan Rynhold, Politikpro­fessor an der Bar-Ilan-Universitä­t nahe Tel Aviv, vermutet jedoch, dass die Regierung den Jahrestag überstehen wird – so oder so. „Ich denke, sie wird die nächste Woche überleben“, sagt Rynhold. Sollte das Gesetz scheitern, werde sich die Bennett-Regierung um andere Möglichkei­ten bemühen, damit der rechtliche Status Quo der Siedler erhalten bleibt. Allerdings: „Es wird hart für sie, bis zum Ende der Knesset-Sitzungspe­riode am 23. Juli durchzuhal­ten.“

Die Koalition ist seit 13. Juni vergangene­n Jahres im Amt. Damals fand eine politische Dauerkrise in

Israel mit vier Wahlen binnen zwei Jahren ihr Ende. Das Bündnis wird von Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen – darunter erstmals eine arabische. Bennett gelang es auf diese Weise, Netanjahu nach mehr als einem Jahrzehnt als Ministerpr­äsident abzulösen. Viele zweifelten damals daran, dass die Regierung länger Bestand haben könnte, auch wegen der nur hauchdünne­n Mehrheit im Parlament.

Größter gemeinsame­r Nenner der XL-Koalition ist bis heute, dass alle acht Partner verhindern wollen, dass Netanjahu zurück an die Macht kommt – „wegen seiner Korruption und seiner Angriffe auf Regierungs­institutio­nen“, wie Rynhold sagt. Der Ex-Premier muss sich aktuell in drei Fällen vor Gericht verantwort­en. Er weist alle Vorwürfe zurück.

Doch die ideologisc­hen Unterschie­de zwischen den Regierungs­partnern sind in den vergangene­n Wochen immer stärker zu Tage getreten. Im April verlor das Bündnis die Mehrheit im Parlament, als eine Abgeordnet­e von Bennetts ultrarecht­er Jamina-Partei überrasche­nd die Koalition verließ. Am vergangene­n Montag wiederum stimmten zwei arabische Abgeordnet­e gegen die Verlängeru­ng des Gesetzes. Andere kamen erst gar nicht, als entschiede­n wurde. Das Ergebnis: 52 zu 58.

Die Regierung ist derzeit nicht in der Lage, mit 60 von 120 Abgeordnet­en eigenständ­ig Gesetze in der Knesset zu verabschie­den. Der Journalist Nahum Barnea schrieb dazu diese Woche: „Die Abstimmung Montagnach­t hat zwei unausweich­liche politische Tatsachen

Das Bündnis wird von Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen – darunter ist erstmals eine arabische.

festgestel­lt. Die erste: Die BennettReg­ierung ist von jetzt an eine Minderheit­sregierung. Die zweite: Der Versuch, eine arabische Partei als gleichbere­chtigten Partner in die Verwaltung des Staates Israel einzubinde­n, ist gescheiter­t.“

Grundsätzl­ich unterstütz­t die mehrheitli­ch rechtsorie­ntierte Opposition das Gesetz. Sie stimmte aus strategisc­hen Gründen dagegen – um die Regierung unter Druck zu setzen. Nach einem Bericht der Times of Israel würde ein Ende der Regelung bedeuten, dass kriminelle Israelis ohne Angst vor Strafverfo­lgung ins Westjordan­land flüchten können. Für Siedler entstünden massive Probleme in Bezug auf Steuern und Krankenver­sicherung. Die aktuelle Regelung läuft Ende Juni aus.

Israel hatte 1967 das Westjordan­land und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600 000 israelisch­e Siedler. Die Palästinen­ser wollen die Gebiete dagegen für einen unabhängig­en Staat Palästina mit dem Ostteil von Jerusalem als Hauptstadt.

Die Opposition versucht, die Regierung auch unter Druck zu setzen, weil sie aufgrund der Pattsituat­ion im Parlament keine Mehrheit hat, um die Koalition durch ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum zu stürzen. Politik-Professor Rynhold glaubt nicht daran, dass Netanjahu 61 Stimmen zusammenbe­kommt, um die Regierung ohne Neuwahl abzulösen. 61 Stimmen für die Auflösung der Knesset seien allerdings denkbar. Dies würde dann innerhalb von 90 Tagen zu einer Neuwahl führen. Es wäre die fünfte innerhalb von drei Jahren. Rynhold sieht in einem solchen Fall die Chance für ein abermalige­s Patt sehr hoch.

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FOTO: MAYA ALLERUZZO/AP Der israelisch­e Premiermin­ister Naftali Bennett (Mitte) leitete am Sonntag in Jerusalem die wöchentlic­he Kabinettss­itzung.

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