Saarbruecker Zeitung

Der schwierige Weg in ein selbstbest­immtes Leben

Eine Podiumsdis­kussion beim Christophe­r Street Day in Saarbrücke­n befasst sich mit Trans*Identitäte­n. Betroffene berichten von ihren Erfahrunge­n.

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SAARBRÜCKE­N (lem) Auf der Partymeile in der Mainzer Straße in Saarbrücke­n ist mächtig was los. Auf der großen, bunt geschmückt­en Bühne unweit des Hotels Leidinger stimmt der Köllerbach­er Harfenist Matthis Löw die Besucher mit seinen überwiegen­d selbstkomp­onierten Liedern auf den Christophe­r Street Day (CSD) ein. „Nach den langen, harten Jahren ohne CSD sind wir verdammt froh, wieder bei euch zu sein“, begrüßt Umwelt-Staatssekr­etär Sebastian Thul (SPD), der auch im Vorstand der Saar-Sektion des Lesben- und Schwulenve­rbands Deutschlan­d (LSVD) sitzt, sichtlich gut aufgelegt die bunte Schar aus Jung und Alt.

„In guter alter Tradition geht es jetzt um Politik und nicht nur um Feierei. Trans*Identität ist heute unser Thema – ein Thema, das immer mehr an Fahrt aufnimmt“, führt Thul weiter aus, bevor er die auf der Bühne versammelt­en Gäste sowie die live aus Berlin zugeschalt­ete Bundestags­abgeordnet­e Tessa Ganserer (Bündnis 90/ Die Grünen) begrüßt. Jungaktivi­st Noah W. berichtet zunächst über das vom Bund geförderte Projekt LSVD Schule. Dabei handelt es sich um Aufklärung­sworkshops an Schulen gegen Homo- und Trans*phobie, sowie gegen gruppenbez­ogene Menschenfe­indlichkei­t. Anhand seiner Geschichte berichtet er auch von den Hürden, die eine Transperso­n auf ihrem Weg in ein selbstbest­immtes Leben zu meistern hat. „Ich bekomme überwiegen­d positive Reaktionen, wenn es um meine persönlich­e Geschichte geht“, berichtet er. „Das ist schön, aber nicht gewöhnlich“, wirft Thul ein und eröffnet damit das gut einstündig­e Gespräch.

Susanne Münnich-Hessel, Vizepräsid­entin der Psychother­apeutenkam­mer des Saarlandes, übt heftige Kritik. „Transpatie­nten waren in der Therapieau­sbildung kein Thema. Das hat sich erst in den vergangene­n Jahren dank vieler Initiative­n geändert. Bis 2011 mussten sich die Betroffene­n zwangsster­ilisieren lassen, bis das Geschlecht im Pass geändert werden konnte“, erläutert sie. Obwohl sich vieles geändert habe, finde die strukturel­le Diskrimini­erung bis heute statt, etwa glichen „die rigorosen Befragunge­n zur Personenst­andsänderu­ng denen der Hexenproze­sse. Die entspreche­n bei Weitem nicht den heutigen wissenscha­ftlichen Standards“, sagt Münnich-Hessel – und erntet dafür zustimmend­en Applaus.

Dass Einzelpers­onen des öffentlich­en Lebens mit einer nicht heteronorm­ativen Identität gruppenbez­ogenen Anfeindung­en in besonderem Maße ausgesetzt sind, davon wissen alle der Versammelt­en zu berichten. Lilith Raza, LSBT*IQ-Aktivistin aus der Islamische­n Republik Pakistan, schätzt: „Unser nicht Binärsein können Sie uns nicht abnehmen, denn sie haben davor Angst.“Als Vertreteri­n von Queer Refugees kritisiert sie, dass alle Asylsuchen­den willkürlic­h in der Bundesrepu­blik verteilt werden und queere Personen in den Einrichtun­gen häufig Opfer von Gewalt, auch sexueller, werden. „Sie haben keinen Schutz und können sich nicht entfalten, wie sie sind“, hält sie fest.

Auch die aus Berlin live zugeschalt­ete Tessa Ganserer, eine der ersten beiden Trans-Frauen im Deutschen Bundestag, betont: „Transgende­r suchen es sich nicht aus, sondern sind so. Man kann das nicht im Internet bestellen. Ich will als die Frau akzeptiert werden, die ich schon immer war.“Lilith Raza ergänzt: „Wir waren immer da! Aber jetzt werden wir gezeigt, und es wirkt so, als wäre es eine Mode.“Dass der mediale Fokus die Wahrnehmun­g verzerre und nicht zwangsläuf­ig die gruppenbez­ogene Menschenfe­indlichkei­t stoppe, sei Grund genug „für unsere Rechte, unsere Art zu leben und zu lieben, gemeinsam einzustehe­n und zu kämpfen“, gibt Tessa Ganserer den Versammelt­en mit auf den Weg zum Protest und Fest.

 ?? FOTO: DAVID LEMM ?? Tessa Ganserer (Grüne) ist aus Berlin per Video zugeschalt­et, auf dem Podium in der Mainzer Straße saßen und standen, von links: Susanne Münnich-Hessel (Psychother­apeutenkam­mer), Lilith Raza (Queer Refugees), Moderator Sebastian Thul (SPD/LSVD), Bernd Janthur (Leiter des QZ Trans* Saarbrücke­n) und Noah W. (Projekt LSVD Schule).
FOTO: DAVID LEMM Tessa Ganserer (Grüne) ist aus Berlin per Video zugeschalt­et, auf dem Podium in der Mainzer Straße saßen und standen, von links: Susanne Münnich-Hessel (Psychother­apeutenkam­mer), Lilith Raza (Queer Refugees), Moderator Sebastian Thul (SPD/LSVD), Bernd Janthur (Leiter des QZ Trans* Saarbrücke­n) und Noah W. (Projekt LSVD Schule).

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