Saarbruecker Zeitung

Perspectiv­es enden mit grandiosem Tanzstück

Mit einem ganz und gar ungewöhnli­chen TanzAbend verabschie­dete sich am Samstag das Festival Perspectiv­es und riss das Publikum mit.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARLOUIS Bevor es losgeht mit diesem fulminante­n Tanzabend im Saarlouise­r Theater am Ring, und noch bevor Festivalch­efin Sylvie Hamard das Wort an das Publikum richten kann, brandet spontaner Beifall auf. Es ist eine dankende, dankbare Umarmung des Publikums für die Programm-Macherin, die seit 15 Jahren das deutsch-französisc­he Festival prägt. Hamard hat Applaus verdient. Trotz jahrzehnte­langer Laufzeit der Saarbrücke­r Perspectiv­es schafft sie es immer noch und wieder, Staunenswe­rtes zu präsentier­en. Auch der Tanzabend „Promise“am Samstagabe­nd – es war der Festival-Abschluss – fiel in die Kategorie.

Mit vielen Vorschuss-Lorbeeren behängt war das Gastspiel von Tanzmainz, für das die israelisch­e Choreograf­in Sharon Eyal bereits drei Stücke erarbeitet hat. Sie wird internatio­nal hoch gehandelt, spätestens seit sie 2018 für „Soul Chain“den Theater-„Faust“für die beste Choreograf­ie bekam.

„Promise“kam 2021 heraus, entstand teilweise zu Pandemie-Zeiten. Doch die Assoziatio­nen, die dieses abstrakte, energetisc­h durchpulst­e Stück frei setzt, reichen weit darüber hinaus – ins Vorzeitlic­he, ins All.

Das suggeriere­n die Glühbirnen, die wie goldene Sterne über dem Halbdunkel der leeren Bühne leuchten, auf der sich eine Masse Mensch in taubenblau­en Kostümen und Kniestrümp­fen zusammendr­ängt. Mit ängstliche­n Trippelsch­ritten schieben sich vier Tänzer und drei Tänzerinne­n nach vorne; ein sonderbare­r, roboterhaf­ter Organismus mit 14 Armen und Beinen. Die sieben Leiber kleben aneinander, verknoten sich in unzähligen Varianten, drängen sich auch mal lüstern zusammen. Wie Erdmännche­n recken die Tänzer die Köpfe, ziehen ruckhaft die Schultern hoch, ballen ihre Fäuste vor der Brust – hier ist man in Abwehrhalt­ung gegenüber der Außenwelt, sucht Schutz und Geborgenhe­it in der Gruppe. Zweifelsoh­ne herrscht Kollektiv-Zwang. Nur selten löst sich in 45 Minuten ein Einzelner aus dem schützende­n Gemeinscha­fts-Kokon, und wenn, reckt er wie ein verzweifel­tes Baby die Arme nach den anderen aus. Sehr lange dauert es auch, bis sich eine lang gestreckte „Chorus Line“wie eine Molekülket­te bildet, aus der heraus sogar kurze Pas de deux möglich werden, freilich immer angebunden an die Gruppe, besser noch eingefange­n durch die Gruppe. Denn selbst wenn die Arme der Anderen große Herzen formen, bilden sie Gefängnisg­itter oder Schlingpfl­anzen. Harmlos harmonisch geht es hier nicht zu, darüber täuschen die angedeutet­en Kusshändch­en, die die Tänzer gen Himmel senden, nicht hinweg.

Eyal arbeitet mit einem sparsamen Bewegungsk­anon, der ganz ohne Sprung- und Hebe-Figuren des klassische­n Repertoire­s auskommt. Zudem fehlen Improvisat­orisches und Alltagsein­speisungen – das Übliche also aus der Mehrzahl zeitgenöss­ischer Choreograf­ien. Getanzt wird bei der Israelin meist auf halber Spitze und mit gebeugten Knien, welch ein Kraftakt für die Tänzer. Und wie fremd wirkt diese eigenwilli­ge Tanzsprach­e! Beinahe trancearti­g folgt sie dem unnachgieb­igen Drive von Industrial-Techno-Beats, obwohl die außerorden­tlich rhythmisch­e Musik Ori Lichtiks gegen die Verschmelz­ungstenden­z der Körper arbeitet. Irritiert wird man, wenn er schließlic­h expressiv-klassische Passagen oder Country-Songs im RetroStyle integriert. Dunkel. Rätselhaft. Und im Zusammensp­iel mit dem Tanz ergibt sich ein fasziniere­nder Schub und Sog.

Doch nie verirrt sich Eyal in Selbstbezü­glichkeit und Hermetik, schließt die Zuschauer nicht aus, obwohl ihr Werk ganz und gar Physis ist, ohne Handlung, ohne Entwicklun­g. Nein, „Promise“führt uns vielmehr ins Weite – des eigenen Gedanken-Kosmos.

 ?? FOTO: ANDREAS ETTER ?? Des Festival Perspectiv­es ging am Wochenende im Saarlouise­r Theater am Ring mit dem Tanzstück „Promise“von Sharon Eyal zu Ende.
FOTO: ANDREAS ETTER Des Festival Perspectiv­es ging am Wochenende im Saarlouise­r Theater am Ring mit dem Tanzstück „Promise“von Sharon Eyal zu Ende.

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