Perspectives enden mit grandiosem Tanzstück
Mit einem ganz und gar ungewöhnlichen TanzAbend verabschiedete sich am Samstag das Festival Perspectives und riss das Publikum mit.
SAARLOUIS Bevor es losgeht mit diesem fulminanten Tanzabend im Saarlouiser Theater am Ring, und noch bevor Festivalchefin Sylvie Hamard das Wort an das Publikum richten kann, brandet spontaner Beifall auf. Es ist eine dankende, dankbare Umarmung des Publikums für die Programm-Macherin, die seit 15 Jahren das deutsch-französische Festival prägt. Hamard hat Applaus verdient. Trotz jahrzehntelanger Laufzeit der Saarbrücker Perspectives schafft sie es immer noch und wieder, Staunenswertes zu präsentieren. Auch der Tanzabend „Promise“am Samstagabend – es war der Festival-Abschluss – fiel in die Kategorie.
Mit vielen Vorschuss-Lorbeeren behängt war das Gastspiel von Tanzmainz, für das die israelische Choreografin Sharon Eyal bereits drei Stücke erarbeitet hat. Sie wird international hoch gehandelt, spätestens seit sie 2018 für „Soul Chain“den Theater-„Faust“für die beste Choreografie bekam.
„Promise“kam 2021 heraus, entstand teilweise zu Pandemie-Zeiten. Doch die Assoziationen, die dieses abstrakte, energetisch durchpulste Stück frei setzt, reichen weit darüber hinaus – ins Vorzeitliche, ins All.
Das suggerieren die Glühbirnen, die wie goldene Sterne über dem Halbdunkel der leeren Bühne leuchten, auf der sich eine Masse Mensch in taubenblauen Kostümen und Kniestrümpfen zusammendrängt. Mit ängstlichen Trippelschritten schieben sich vier Tänzer und drei Tänzerinnen nach vorne; ein sonderbarer, roboterhafter Organismus mit 14 Armen und Beinen. Die sieben Leiber kleben aneinander, verknoten sich in unzähligen Varianten, drängen sich auch mal lüstern zusammen. Wie Erdmännchen recken die Tänzer die Köpfe, ziehen ruckhaft die Schultern hoch, ballen ihre Fäuste vor der Brust – hier ist man in Abwehrhaltung gegenüber der Außenwelt, sucht Schutz und Geborgenheit in der Gruppe. Zweifelsohne herrscht Kollektiv-Zwang. Nur selten löst sich in 45 Minuten ein Einzelner aus dem schützenden Gemeinschafts-Kokon, und wenn, reckt er wie ein verzweifeltes Baby die Arme nach den anderen aus. Sehr lange dauert es auch, bis sich eine lang gestreckte „Chorus Line“wie eine Molekülkette bildet, aus der heraus sogar kurze Pas de deux möglich werden, freilich immer angebunden an die Gruppe, besser noch eingefangen durch die Gruppe. Denn selbst wenn die Arme der Anderen große Herzen formen, bilden sie Gefängnisgitter oder Schlingpflanzen. Harmlos harmonisch geht es hier nicht zu, darüber täuschen die angedeuteten Kusshändchen, die die Tänzer gen Himmel senden, nicht hinweg.
Eyal arbeitet mit einem sparsamen Bewegungskanon, der ganz ohne Sprung- und Hebe-Figuren des klassischen Repertoires auskommt. Zudem fehlen Improvisatorisches und Alltagseinspeisungen – das Übliche also aus der Mehrzahl zeitgenössischer Choreografien. Getanzt wird bei der Israelin meist auf halber Spitze und mit gebeugten Knien, welch ein Kraftakt für die Tänzer. Und wie fremd wirkt diese eigenwillige Tanzsprache! Beinahe tranceartig folgt sie dem unnachgiebigen Drive von Industrial-Techno-Beats, obwohl die außerordentlich rhythmische Musik Ori Lichtiks gegen die Verschmelzungstendenz der Körper arbeitet. Irritiert wird man, wenn er schließlich expressiv-klassische Passagen oder Country-Songs im RetroStyle integriert. Dunkel. Rätselhaft. Und im Zusammenspiel mit dem Tanz ergibt sich ein faszinierender Schub und Sog.
Doch nie verirrt sich Eyal in Selbstbezüglichkeit und Hermetik, schließt die Zuschauer nicht aus, obwohl ihr Werk ganz und gar Physis ist, ohne Handlung, ohne Entwicklung. Nein, „Promise“führt uns vielmehr ins Weite – des eigenen Gedanken-Kosmos.