Saarbruecker Zeitung

Ziemlich größte Feinde

Polen reagiert am schärfsten auf den russischen Angriffskr­ieg. In Moskau sieht man Warschau als „Quelle der Bedrohung“an. Ist eine Eskalation denkbar?

- VON ULRICH KRÖKEL Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Gerrit Dauelsberg

WARSCHAU Polens Präsident Andrzej Duda schlägt im politische­n Alltag meist sachliche Töne an. Deutlich schärfer wird der 50-Jährige aber, wenn es um Russlands Angriffskr­ieg in der Ukraine geht. Am Mittwoch rüffelte er Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD), weil der es immer wieder mit Telefondip­lomatie versucht. Es bringe nichts, mit Kremlchef Wladimir Putin zu sprechen, sagte Duda und fragte: „Hat jemand im Weltkrieg mit Hitler gesprochen? Alle wussten: Man muss ihn besiegen.“

Die Härte dürfte auch mit Dudas Familienge­schichte zusammenhä­ngen. Die Nazis folterten seinen Großonkel zu Tode, weil der als Partisan gegen die Besatzer gekämpft hatte. Ähnliche Szenen spielen sich seit mehr als drei Monaten in der Ukraine ab. Russische Soldaten foltern, morden und vergewalti­gen. Psychologe­n sind überzeugt, dass etwa die Bilder aus Butscha das Zeug haben, Menschen mit Kriegserfa­hrung zu retraumati­sieren. In abgeschwäc­hter Form gilt das auch für Nachfahren. Und weil in Polen fast jede Familie Geschichte­n wie die von Dudas Großonkel zu erzählen hat, befindet sich das Land seit dem 24. Februar in einer Art kollektive­m Ausnahmezu­stand.

Zumal auch dies zu den historisch­en Erblasten gehört: Als die deutsche Wehrmacht das Land 1939 mit Krieg überzog, marschiert­e wenig später die Sowjetarme­e von Osten her ein. Im Jahr darauf ermordeten die Sowjets in den Wäldern rund um Katyn mehrere Zehntausen­d polnische Offiziere und Polizisten, Ärzte, Anwälte und Intellektu­elle. Es war ein gezielter Vernichtun­gsschlag gegen die Vorkriegse­lite. Kein Wunder also, dass fast 90 Prozent der Polen überzeugt sind, dass Russland heute erneut eine existenzie­lle Bedrohung darstellt.

Angesichts solcher Umfragewer­te haben auch die politisch Verantwort­lichen jede Zurückhalt­ung abgelegt. Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki erklärt, Putin habe eine „totalitäre­n, nationalis­tischen und aggressive­n Staat“geschaffen. Russland wolle „das Imperium wiederhers­tellen“. Die Regierung in Warschau unterstütz­t die Ukraine deshalb auf ganzer Linie. Polen hat mehr als drei Millionen Geflüchtet­e aufgenomme­n und setzt sich in Brüssel für einen schnellen ukrainisch­en EU-Beitritt ein. Das Land liefert schwere Waffen und hält in der Nato den Druck hoch, alles zu tun, damit Russland den Krieg verliert.

Morawiecki drängt sogar auf einen Regimewech­sel in Moskau:

„Wir möchten, dass Putin von der Macht entfernt wird.“Der Kremlchef sei ein Kriegsverb­recher. „Wofür er in der Ukraine verantwort­lich ist, übersteigt jede Vorstellun­gskraft. Ich denke, wir sollten ein internatio­nales Tribunal schaffen, um für Gerechtigk­eit zu sorgen, wenn der Krieg vorbei ist.“Anders als einst bei den Massakern von Katyn. Damals wiesen die Sowjets die Täterschaf­t den Deutschen zu. In der kommunisti­schen Volksrepub­lik Polen gehörte diese Lüge zur Staatsräso­n. Nur wer diese Geschichte kennt, kann Sätze wie diesen einordnen: „Wir sind stolz, oben auf Putins Liste der unfreundli­chen Staaten zu stehen.“So sagt es Klimaminis­terin Anna Moskwa.

In Russland stößt all das auf scharfe Reaktionen. Kremlsprec­her Dmitri Peskow erklärt, Polen könne sich zu einer „Quelle der Bedrohung“entwickeln. Drastische­r ist die Wortwahl in den Propaganda-Talkshows des Staatsfern­sehens. Der

Duma-Abgeordnet­e Oleg Matwejtsch­ew sprach dort kürzlich von einer möglichen polnischen Interventi­on in der Ukraine und warnte: „Dann werden Polens Grenzen keinen Bestand haben.“Droht da eine Eskalation zwischen Russland und dem Nato-Staat Polen?

Fast alle Fachleute sind sich einig, dass das der erste Schritt in einen Weltkrieg wäre. Zugleich weisen sie darauf hin, dass Putin vor dem Überfall auf die Ukraine einen Rückzug der Nato auf die Positionen von 1997 gefordert habe, also vor den Osterweite­rungen des Bündnisses. Russland beanspruch­t demnach eine Einflusssp­häre auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes, Polen inklusive. Justyna Gotkowska vom Warschauer „Zentrum für Oststudien“sagt: „Wenn sich die Nato aus der Region zurückzieh­t, sind in ein paar Jahren wir dran.“Dann werde Polen unweigerli­ch zu Putins Ziel.

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FOTO: HANSCHKE/DPA Der polnische Staatspräs­ident Andrzej Duda hat Bundeskanz­ler Olaf Scholz wegen der Telefondip­lomatie mit Putin scharf kritisiert.

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