Setzt die Fischerei bald auf Künstliche Intelligenz?
Eine neue Studie zum klimaschonenden Fischfang und zur automatisierten Verarbeitung steht im Fischerei-Ausschuss des EU-Parlamentes zur Beratung an.
BRÜSSEL „Wir müssen unsere Komfortzone verlassen und rein in die Zusammenarbeit mit den Fischern“, sagt der spanische KI-Experte José Fernandes-Salvador am Montagnachmittag im Fischerei-Ausschuss des Europa-Parlamentes in Brüssel durchaus selbstkritisch auch an die eigene Adresse der Wissenschaft. Zusammen mit seiner Kollegin Gabriela Oanta von der Universität von Coruna hat er den Abgeordneten soeben eine 104-seitige, geradezu fangfrische Studie über den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Fischerei vorgestellt. Wie seine Kollegen ist der Kieler Fischerei-Experte und CDU-Europa-Abgeordnete Niclas Herbst schwer angetan: „Ein guter erster Aufschlag“, sagt er unserer Redaktion.
Denn KI kann im Meer viel mehr als gewöhnlich vermutet. Dass mithilfe von Satelliten und KI die Schiffsbewegungen rund um die Uhr überwacht werden, ist in Fachkreisen schon lange ein alter Hut. Aber was lernende Datenmaschinen alles an Echtzeit-Erkenntnissen liefern können, verblüfft selbst diejenigen, die sich seit Jahrzehnten mit Fischfang beschäftigen. Das fängt bereits an bei den Nahrungsgrundlagen der Fische, wenn die KI unter Wasser Vorkommen und Beschaffenheit von Plankton analysiert. Das setzt sich fort über Empfehlungen für die besten Fanggründe für die jeweils gewünschte Fischart und rechnet dazu noch hoch, wo zum Beispiel gerade am meisten Thunfisch mit dem wenigsten Beifang an Haien zu erwarten ist.
Holen die Fischer dann ihre Netze aus, kann der Kapitän binnen Sekunden erkennen, wie viele Fische von welcher Sorte er gefangen hat, wie groß die Fische sind und wie viel sie wiegen. Eine Kamera liefert die Bilder von Bord dazu an einen Rechner, der nicht nur eine Fischerkennungssoftware anwendet, sondern darüber hinaus auch „gelernt“hat, wie die Mannschaft gerade auf diesem Boot mit dem Fang umgeht und auf was zu achten ist, um möglichst schnell möglichst präzise Information zu liefern. Das ermöglicht es dann, die Informationen bereits vor Anlandung an die weiterverarbeitenden Betriebe zu senden.
Je größer der Anspruch ist, so breit verteilt wie möglich dem Verbraucher fangfrischen und hochqualitativen Fisch zu liefern, desto komplizierter sind die Wege. Auch die Lieferketten können mit KI-Hilfe deutlich erleichtert werden, schildert Fernandes. Hinzu kommen KI-Empfehlungen über die optimale Meeres-Raumplanung zum Anlegen von AquaKulturen. Alles zusammen macht die Fischerei nachhaltiger, verringert die Fahrten und erhöht den Ertrag.
Aber auch aus einem anderen Grund kann die KI für die ganze Branche zur Hoffnung werden: Die unter chronischem Nachwuchsmangel leidende Fischerei bekommt ein transparenteres und besseres Image.
In Norddeutschland wie in ganz Europa biete Künstliche Intelligenz im Fischereisektor große Chancen und neue Möglichkeiten, fasst Herbst zusammen. Wenn Fischer bald frühzeitig wüssten, welche Arten, welche Größe, welches Alter die Fische in ihren Netzen hätten, bringe das „große Vorteile in Bezug auf ressourcensparende Fischerei“. KI bietet zugleich die Möglichkeit, auch Überfischung jederzeit besser im Blick zu haben. Allerdings, und darauf wiesen die Wissenschaftler nach Auswertung von neun einschlägigen EU-Gesetzen hin, finde sich die KI nicht im juristischen Rahmen. Die Fischerei sei aber in ganz besonderem Maße an Rechtssicherheit interessiert. Deshalb dankt Fischerei-Expertin Francesca Arena namens der EU-Kommission dem Parlament dafür, die Studie in Auftrag gegeben zu haben. „Sie kommt genau zur richtigen Zeit“, sagt sie im Ausschuss – und verweist darauf, dass die Erkenntnisse in die laufenden Überarbeitungen der EUVerordnungen einfließen könnten.
Aus Sicht der beiden Forscher ist jedoch noch viel mehr zu tun. Ihre To-do-Liste für die EU besteht aus 13 Punkten. Sie beginnt bei der juristischen Einarbeitung und kommt sehr bald auch auf Strategien zu sprechen, mit denen unethische Software identifiziert und deren Verbreitung verhindert werden kann. Sie enthält sowohl die Förderung eines besseren Bewusstseins für die Vorteile der KI, regt eine bessere Erforschung an und umfasst letztlich auch Konsequenzen für eine Optimierung der Fanggeräte im digitalen Zeitalter. Fernandes betont, wie wichtig es für die Branche nun sei, die Wirksamkeit der KI bewiesen zu sehen. Aber er ist sich sicher: „In zehn Jahren werden wir das alles ganz normal finden.“