Saarbruecker Zeitung

Wird die Ukraine ein EU-Beitrittsk­andidat?

Die EU-Kommission veröffentl­icht Ende der Woche ihre Einschätzu­ng zum Status des kriegsgebe­utelten Landes. Dann müssen die Mitgliedst­aaten entscheide­n.

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Gerrit Dauelsberg

BRÜSSEL Es war bereits der zweite Besuch von Ursula von der Leyen in der Ukraine seit der Invasion Russlands und abermals kam die EUKommissi­onschefin mit warmen Worten nach Kiew gereist. Das Land gehöre zur europäisch­en Familie. Es blieb die Botschaft der Deutschen. Und in diesem Duktus dürfte Ende dieser Woche die Einschätzu­ng der EU-Kommission ausfallen. Die Brüsseler Behörde wird empfehlen, der Ukraine den offizielle­n Status eines EU-Beitrittsk­andidaten zu gewähren, hieß es von mehreren Beamten in Brüssel. Man sei sich der Opfer, die die Ukrainer gebracht haben, sehr bewusst und erkenne die Notwendigk­eit an, ein deutliches Signal an den russischen Präsidente­n Wladimir Putin zu senden, lautete die Begründung.

Die Ukraine hatte im März – kurz nach dem Einfall der russischen Truppen – einen Antrag auf die Aufnahme in die EU gestellt. Seitdem macht Kiew Druck. „Europa als Ganzes ist Ziel für Russland und die Ukraine ist nur die erste Stufe dieser aggressive­n Pläne“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende. Deshalb könne eine positive Antwort auf den Mitgliedsc­haftsantra­g eine Antwort auf die Frage sein, „ob das europäisch­e Projekt überhaupt eine Zukunft hat“. Neben der Ukraine haben auch Georgien und Moldawien Beitrittsg­esuche eingereich­t.

Von der Leyen mag zwar während ihrer Reise in Kiew Hoffnungen geschürt haben. Die Entscheidu­ng, ob die Ukraine Kandidaten­status erhält, liegt jedoch bei den 27 Mitglieder­n und muss einstimmig getroffen werden. Wenn die Staats- und Regierungs­chefs nächste Woche zum

EU-Gipfel in Brüssel zusammenko­mmen, dürften sie sich auch mit diesem Thema befassen. Hier könnten Realität und Wunschvors­tellung aufeinande­rprallen. Denn innerhalb der Gemeinscha­ft herrscht keineswegs Einigkeit. Einige baltische und osteuropäi­sche Länder, aber auch Italien oder Irland, setzen sich dafür ein, dass man der Ukraine rasch den gewünschte­n Status verleiht. Andere Mitgliedst­aaten, etwa die Niederland­e und Frankreich, zeigen sich skeptische­r. EU-Diplomaten zufolge sind noch mindestens drei Länder dagegen. Die französisc­he Regierung schlug zuletzt vor, eine „europäisch­e politische Gemeinscha­ft“für die Ukraine und andere beitrittsw­illige Länder zu schaffen, also die Staaten in einen breiteren und lockeren Nachbarsch­aftsrahmen aufzunehme­n, ohne ihr eine Vollmitgli­edschaft zu gewähren.

Selbst wenn derzeit kein Krieg toben würde, wäre die Ukraine laut Beobachter­n aufgrund von Korruption und teils mafiösen Strukturen nicht ausreichen­d vorbereite­t, Teil der Union zu werden. Die Ukraine habe „viel für die Stärkung der Rechtsstaa­tlichkeit getan, aber es müssen noch Reformen durchgefüh­rt werden, um zum Beispiel die Korruption zu bekämpfen oder die schon gut funktionie­rende Verwaltung weiter zu modernisie­ren“, sagte von der Leyen immerhin bei ihrer Reise. Es klang beinahe wie eine Nebensächl­ichkeit. Dabei steht das kriegsgepl­agte Land Experten zufolge vor großen Herausford­erungen, bis es die sogenannte­n Kopenhagen­er Kriterien erfüllt. Zu ihnen gehören unter anderem Rechtsstaa­tlichkeit und Wirtschaft­sreformen, die für eine Anpassung an den europäisch­en Binnenmark­t sorgen sollen.

Wie sich Deutschlan­d positionie­ren wird, ist noch unklar. Eine Sonderproz­edur aber, wie sie zunächst in der Diskussion stand, lehnt Berlin ab. Vielmehr war man in den vergangene­n Wochen bemüht, die Erwartunge­n zu dämpfen. Wenn jedoch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungs­chef Mario Draghi am Donnerstag in die Ukraine reist, wie offenbar geplant, werden es die ukrainisch­en Politiker kaum versäumen, ihr Anliegen vorzubring­en. Zuletzt verwies Scholz darauf, dass ein Schnellver­fahren nicht fair gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkans wäre, die ebenfalls – und schon lange – auf einen EU-Beitritt hoffen. Aber könnte der Kreis der Zweifler in der EU wirklich ein Nein gegenüber der Ukraine durchsetze­n angesichts des russischen Angriffskr­iegs? Immerhin, die Entscheidu­ng über den Kandidaten­status bedeutet nicht, dass das Land in der Folge auch automatisc­h aufgenomme­n wird.

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FOTO: TRIBOUILLA­RD/ AFP Demonstran­ten vor der EUKommissi­on in Brüssel fordern den Status eines Beitrittsk­andidaten für die Ukraine.

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