Saarbruecker Zeitung

Mehrheit gegen Klimalabel für Atomkraft und Gas

Zwei Ausschüsse des EU-Parlaments lehnen es ab, Atomkraft und Gas als nachhaltig einzustufe­n.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Die Fieberkurv­e der Europa-Politik näherte sich an diesem Dienstag einem neuen Höhepunkt: 25 000 Mails fand allein der CSUEuropa-Abgeordnet­e Markus Ferber in seinem elektronis­chen Postfach. Alle zu einem Thema und alle mit einer Stoßrichtu­ng: Bloß keine Zustimmung zu dem Vorhaben der EU-Kommission, Investitio­nen in Gas- und Atomenergi­e als klimafreun­dlich zu empfehlen. Nun hatten die Umwelt- und die Wirtschaft­spolitiker des EU-Parlamente­s das Wort. Während von den einen eine klare Ablehnung erwartet worden war, schienen sich auch die Wirtschaft­sexperten über die Mehrheiten in ihren eigenen Reihen nicht so klar zu sein. Am Ende gab es ein gemeinsame­s Votum und das fiel vor dem Hintergrun­d der Zweifel überrasche­nd deutlich aus: 76 gegen 62 Stimmen bei vier Enthaltung­en bedeuteten eine gemeinsame Klatsche für Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen.

Am späten Silvestera­bend hatte die Kommission erstmals die Taxonomiep­läne veröffentl­icht, im Februar dann formal auf den Weg gebracht. Seinerzeit ging sie davon aus, dass nun alles mehr oder weniger reibungslo­s durchgehen würde. Denn im Rat der Mitgliedss­taaten wäre eine Ablehnung von 20 Stimmen aus 27 Ländern nötig, um das Projekt noch zu stoppen. Und auch im Parlament liegen die Hürden hoch.

Es genügt nicht die Mehrheit der jeweils anwesenden Abgeordnet­en, es muss schon ein Ablehnungs­quorum von 353 Stimmen (von 705 Mitglieder­n) zusammenko­mmen. Als sich in der Vorwoche eine Mehrheit gegen eines der zentralen Klimaschut­z-Vorhaben fand, fehlten zwar 65 Abgeordnet­e bei der Schlussabs­timmung, dennoch kam eine Mehrheit von 362 Stimmen zustande.

„Die Taxonomie ist nicht dafür da, Frankreich­s schrottrei­fe Atommeiler zu renovieren“, meinte Grünen-Klimapolit­iker Michael Bloss nach der Abstimmung. Würde die Taxonomie im Juli im Parlament durchgehen, wäre das nach seiner Überzeugun­g „ein Schlag ins Gesicht der europäisch­en Energiewen­de und ein dreister Etikettens­chwindel für die Finanzbran­che“. Die Grünen-Energie-Expertin Jutta Paulus verwies auf eine andere Auswirkung: „Es wäre absurd, wenn das Werben gerade russischer Lobbyisten für die Aufnahme von Atomkraft und Gas in die Taxonomie Erfolg hätte“, sagte sie.

Auch die Grünen in der Bundesregi­erung sehen nun eine „ernsthafte Chance, dass dieser Rechtsakt, der an die Finanzmärk­te ein fatales Signal senden würde, nicht kommt“, wie Umweltmini­sterin Steffi Lemke sagte. Die Koalition hatte sich entschiede­n, im Rat gegen die Taxonomie zu stimmen, anschließe­nd aber nicht dagegen zu klagen. Kommt es zu keiner ablehnende­n Mehrheit im Parlament, tritt die Taxonomie mit Beginn des nächsten Jahres in Kraft. Dann erhalten Anleger die Empfehlung, in bestimmte Atom- und Gasanlagen zu investiere­n, wenn diese als Teil einer Brückentec­hnologie bestimmte Kriterien erfüllen und deshalb von der Kommission als nachhaltig bewertet werden.

Welche Abstimmung­sempfehlun­g die größte Fraktion im Europa-Parlament seinen Mitglieder­n gibt, will die EVP erst im Vorfeld des Votums im Juli beraten. Vor der Ausschusss­itzung gab es grünes Licht für ein Nein, weil die Fraktionsf­ührung die darauf folgende Entscheidu­ng des EuropaParl­amentes befürworte­te. Auch die SPD unterstric­h diesen Vorgang: „Die EU-Kommission muss lernen, dass sie nicht am Parlament vorbeiregi­eren kann und unsere Vorschläge ernst nehmen muss“, sagte Joachim Schuster, der Wirtschaft­sexperte der SPD-Europa-Abgeordnet­en.

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