Mehrheit gegen Klimalabel für Atomkraft und Gas
Zwei Ausschüsse des EU-Parlaments lehnen es ab, Atomkraft und Gas als nachhaltig einzustufen.
BRÜSSEL Die Fieberkurve der Europa-Politik näherte sich an diesem Dienstag einem neuen Höhepunkt: 25 000 Mails fand allein der CSUEuropa-Abgeordnete Markus Ferber in seinem elektronischen Postfach. Alle zu einem Thema und alle mit einer Stoßrichtung: Bloß keine Zustimmung zu dem Vorhaben der EU-Kommission, Investitionen in Gas- und Atomenergie als klimafreundlich zu empfehlen. Nun hatten die Umwelt- und die Wirtschaftspolitiker des EU-Parlamentes das Wort. Während von den einen eine klare Ablehnung erwartet worden war, schienen sich auch die Wirtschaftsexperten über die Mehrheiten in ihren eigenen Reihen nicht so klar zu sein. Am Ende gab es ein gemeinsames Votum und das fiel vor dem Hintergrund der Zweifel überraschend deutlich aus: 76 gegen 62 Stimmen bei vier Enthaltungen bedeuteten eine gemeinsame Klatsche für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Am späten Silvesterabend hatte die Kommission erstmals die Taxonomiepläne veröffentlicht, im Februar dann formal auf den Weg gebracht. Seinerzeit ging sie davon aus, dass nun alles mehr oder weniger reibungslos durchgehen würde. Denn im Rat der Mitgliedsstaaten wäre eine Ablehnung von 20 Stimmen aus 27 Ländern nötig, um das Projekt noch zu stoppen. Und auch im Parlament liegen die Hürden hoch.
Es genügt nicht die Mehrheit der jeweils anwesenden Abgeordneten, es muss schon ein Ablehnungsquorum von 353 Stimmen (von 705 Mitgliedern) zusammenkommen. Als sich in der Vorwoche eine Mehrheit gegen eines der zentralen Klimaschutz-Vorhaben fand, fehlten zwar 65 Abgeordnete bei der Schlussabstimmung, dennoch kam eine Mehrheit von 362 Stimmen zustande.
„Die Taxonomie ist nicht dafür da, Frankreichs schrottreife Atommeiler zu renovieren“, meinte Grünen-Klimapolitiker Michael Bloss nach der Abstimmung. Würde die Taxonomie im Juli im Parlament durchgehen, wäre das nach seiner Überzeugung „ein Schlag ins Gesicht der europäischen Energiewende und ein dreister Etikettenschwindel für die Finanzbranche“. Die Grünen-Energie-Expertin Jutta Paulus verwies auf eine andere Auswirkung: „Es wäre absurd, wenn das Werben gerade russischer Lobbyisten für die Aufnahme von Atomkraft und Gas in die Taxonomie Erfolg hätte“, sagte sie.
Auch die Grünen in der Bundesregierung sehen nun eine „ernsthafte Chance, dass dieser Rechtsakt, der an die Finanzmärkte ein fatales Signal senden würde, nicht kommt“, wie Umweltministerin Steffi Lemke sagte. Die Koalition hatte sich entschieden, im Rat gegen die Taxonomie zu stimmen, anschließend aber nicht dagegen zu klagen. Kommt es zu keiner ablehnenden Mehrheit im Parlament, tritt die Taxonomie mit Beginn des nächsten Jahres in Kraft. Dann erhalten Anleger die Empfehlung, in bestimmte Atom- und Gasanlagen zu investieren, wenn diese als Teil einer Brückentechnologie bestimmte Kriterien erfüllen und deshalb von der Kommission als nachhaltig bewertet werden.
Welche Abstimmungsempfehlung die größte Fraktion im Europa-Parlament seinen Mitgliedern gibt, will die EVP erst im Vorfeld des Votums im Juli beraten. Vor der Ausschusssitzung gab es grünes Licht für ein Nein, weil die Fraktionsführung die darauf folgende Entscheidung des EuropaParlamentes befürwortete. Auch die SPD unterstrich diesen Vorgang: „Die EU-Kommission muss lernen, dass sie nicht am Parlament vorbeiregieren kann und unsere Vorschläge ernst nehmen muss“, sagte Joachim Schuster, der Wirtschaftsexperte der SPD-Europa-Abgeordneten.