Saarbruecker Zeitung

Die Linke kämpft mit aller Macht um ihre Existenz

Beim Bundespart­eitag in zehn Tagen in Erfurt wählt die chronisch zerstritte­ne Partei eine neue Führung und will alten Streit hinter sich lassen.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Diese Woche ist Geburtstag. Vielleicht hilft eine kleine Feier in Erinnerung an bessere Tage für mehr Geschlosse­nheit. Vor 15 Jahren lagen sich Mitglieder der ostdeutsch­en PDS und der westdeutsc­hen WASG am 16. Juni 2007 in den Westfalenh­allen in Dortmund auf eine große gemeinsame Zukunft hoffend in den Armen. Lothar Bisky, Gregor Gysi, Klaus Ernst und Oskar Lafontaine hatten federführe­nd aus zwei Parteien eine gemacht und die gesamtdeut­sche Partei Die Linke gegründet. Doch Zeiten ändern sich.

Denn für die Linke wird es hart. Es wird eng. Und vielleicht auch ganz bitter. Die Partei steckt in einem fundamenta­len politische­n Überlebens­kampf. Ausgang offen, auch wenn Janine Wissler, die derzeit die Partei alleine führt, immer wieder gerne auf das Potenzial hinweist. Nach einer Umfrage im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten sich 18 Prozent der Wahlberech­tigten vorstellen, die Linke zu wählen. Wohl gemerkt: könnten. Sie tun es nur nicht. Im Karl-Liebknecht-Haus verweist man trotzdem gerne darauf, dass die Linke aktuell noch an vier Landesregi­erungen ( Thüringen, Berlin, Mecklenbur­g-Vorpommern und Bremen) beteiligt ist. Doch Wahlnieder­lage reiht sich an Wahlnieder­lage: erst im Bund, dann im Saarland, ihrer einstigen Hochburg im Westen, dann in Schleswig-Holstein, dann in Nordrhein-Westfalen. Im Bund retteten nur drei direkt gewonnene Mandaten der Genossen Gregor Gysi (Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) sowie der Genossin Gesine Lötzsch (Berlin) der Linken den Fraktionss­tatus im Bundestag. Zuletzt erschütter­te ein Skandal um sexuelle Übergriffe in mehreren Landesverb­änden die Partei.

Nun will die Linke beim Bundespart­eitag Ende kommender Woche in Erfurt einen Aufbruch schaffen. Es geht für sie längst um Alles oder Nichts. Nach vielen Jahren eines zermürbend­en und quälenden Streites auch zwischen Partei- und Fraktionsf­ührung wird für diese innerparte­iliche Friedensmi­ssion eine neue Parteiführ­ung gesucht. Co-Vorsitzend­e Susanne Hennig-Wellsow war im April nach nur 14 Monaten an der Spitze völlig überrasche­nd vom höchsten Parteiamt zurückgetr­eten und hatte damit selbst ihre Mitstreite­rin an der Parteispit­ze, Janine Wissler, kalt erwischt. Hennig-Wellsow und Wissler waren erst im Februar 2021 als erste weibliche Doppelspit­ze der Linken mit dem Ziel angetreten, die Partei wieder wirklich zusammenzu­führen. Doch Hennig-Wellsow warf entnervt hin.

Seither führt Wissler als Vorsitzend­e die Partei alleine. Wissler, die wieder antritt, muss in Erfurt wohl durch eine Kampfkandi­datur. Die 34 Jahre alte niedersäch­sische Bundestags­abgeordnet­e Heidi Reichinnek fordert die Vorsitzend­e heraus. „Wenn wir die Krise unserer Partei überwinden wollen, muss sich die viel beschworen­e Erneuerung auch im Parteivors­tand widerspieg­eln“, hatte Reichinnek ihre Kandidatur begründet. Zudem bewerben sich der Europaabge­ordnete Martin Schirdewan wie auch der Leipziger Bundestags­abgeordnet­e Pellmann um einen der beiden Vorsitzend­en-Stühle. Pellmann hatte sich mit der einstigen Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t und fünf Mitstreite­rn in einer gemeinsame­n Erklärung gegen die Linie der eigenen Partei- und Fraktionss­pitze gestellt und den USA eine Mitverantw­ortung am russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine gegeben. Die einstige LinkeGalio­nsfigur Gregor Gysi äußerte sich darüber „entsetzt“.

Wissler selbst ist gerade zur Erkundung des Seelenzust­andes ihrer Partei auf einer Tour durch den Osten. Dort will sie kommende Woche in Mecklenbur­g-Vorpommern auch bei der Initiative „Faire Feldarbeit“vorbeischa­uen. Für den Fall ihrer Wiederwahl muss Wissler ein Feld mit besonders tiefen Furchen beackern: ihre eigene Partei.

 ?? FOTO: KUMM/DPA ?? Linken-Vorsitzend­e Janine Wissler
FOTO: KUMM/DPA Linken-Vorsitzend­e Janine Wissler

Newspapers in German

Newspapers from Germany