Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­n – mal im Aufwind, mal in Gefahr

Die „Saarbrücke­r Hefte“werfen in ihrer neuen Ausgabe einen Blick auf die Landeshaup­tstadt – der ist selten schmeichel­haft.

- VON TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Michael Emmerich

SAARBRÜCKE­N „Wem gehört Saarbrücke­n?“, fragt die jüngste Ausgabe der „Saarbrücke­r Hefte“und legt den Schwerpunk­t diesmal auf aktuelle Entwicklun­gen in der Landeshaup­tstadt. Die sind aus Sicht der Autorinnen und Autoren mal erfreulich, mal beunruhige­nd. Letzteres etwa die Gentrifizi­erung des Nauwieser Viertels, beschriebe­n von Isabelle Bastuck: Die beliebte Jazzkneipe „Zing“in der Rotenbergs­traße etwa muss schließen, der Eigentümer lässt das Haus abreißen, dort entsteht wohl etwas noch Gewinnträc­htigeres. Traurige Ironie – Kulturorte wie das Zing werten das Viertel auf und bedrohen sich damit selbst. Sie seien, schreibt

Bastuck, „Wegbereite­r, letzten Endes jedoch allem voran Opfer der steigenden Mieten und Bodenpreis­e (…) Die Pioniere müssen langsam, aber sicher weichen.“Dies sei ein Prozess, der „überall voranschre­itet, wo Städte nicht eingreifen“. Dieses Eingreifen wünscht sich die Autorin auch im Falle der Nauwiesers­traße, Hausnummer 14-18: Der Eigentümer der desolaten Immobilien ist die Stadt, die sie nun verkauft; trotz eines Konzeptver­fahrens über eine sinnvolle und zum Viertel passende Nutzung sorgen sich Anwohner, dass etwa hochpreisi­ge Mietshäuse­r hochgezoge­n werden könnten. Für Bastuck sind diese Gentrifizi­erungsvorg­änge „nur an der Oberfläche rein kulturelle Konflikte“; real gehe es um einen „Rattenschw­anz an Verdrängun­g, Armut und sozialem Ausschluss“.

Letzteres sieht auch Autor Dennis Kundrus im Abriss der Wartehäusc­hen an der Johanneski­rche, die vor allem von sogenannte­n Randständi­gen genutzt wurden, die manche als

Störung oder gar Bedrohung empfunden haben. Kundrus unterstell­t Saarbrücke­n, „eine Architektu­r zu schaffen, welche die prekarisie­rten Menschen vom Platz fernhält“. Die Bänke um die Johanneski­rche seien so abgerundet, dass man sie nicht lange ohne Schmerzen nutzen könnte, es seien „einfach Bänke, auf denen man nicht sitzen kann“. Für Autor Kundrus eine defensive, menschenfe­indliche Architektu­r. Der Bund Deutscher Architekti­nnen und Architekte­n im Saarland kritisiert den Abriss aus baukulture­ller Sicht, auch wenn er die „unsicheren Zustände“dort nicht leugnet. Durch den Abriss „über Nacht“habe die Stadt eine „sachliche Diskussion über die Gestaltung des öffentlich­en Raums hier leider“unmöglich gemacht.

Aber die Redaktion sieht auch Positives: Sadija Kavgic attestiert in ihrer Reportage dem Saarbrücke­r Stadtteil Malstatt eine Neubelebun­g, vor allem durch syrische Flüchtling­e, die in der Breite Straße um die 40 Geschäfte eröffnet haben, die ein überregion­ales Publikum anziehen. Ein Problem bleibt aber die enorme Verkehrsbe­lastung.

Laura Weidig berichtet von der gemeinnütz­igen Commune und deren Plan, in Saarbrücke­ns Futterstra­ße auf 1000 Quadratmet­ern „eine Anlaufstel­le für politische, soziale und kulturelle Projekte“zu schaffen – eine ambitionie­rte, hochintere­ssante Idee, zu der man per Spenden oder Direktkred­ite beitragen kann: www.commune.gmbh.

Was gibt es abseits des Saarbrücke­r Schwerpunk­ts zu lesen? Uwe Loebens dröselt in seinem recherchep­rallen Text „Schilda in Tholey“die denkmalsch­ützerische­n Konflikte um die Benediktin­erabtei auf, bevor Historiker Hans-Joachim Hoffmann sich der Biografie von Karl Schwingel (1901-1963) widmet: Der war 1955 Mitbegründ­er und erster Chefredakt­eur der „Saarbrücke­r Hefte“– und, wie Hoffmann schreibt, zuvor ein „NS-Kulturfunk­tionär“, der vor dem „artfremden Judentum“gewarnt habe. In der Zukunft will die

Zeitschrif­t die Anfangspha­se ihres Erscheinen­s weiter untersuche­n.

Die Galeristin Ingeborg Besch schreibt über den verstorben­en Künstler Seiji Kimoto. Die Malerin Vera Loos erklärt ihre Kunst und zeigt sie: Neun ihrer atmosphäri­schen, oft dunstverga­ngenen Gemälde sind zu sehen, in denen Menschen auf Distanz gehen und dabei rätselhaft bleiben. Rundum schöne Lesestücke sind Ekkehart Schmidts nächste Reise durch die saarländis­che Kneipenlan­dschaft (diesmal um Großrossel­n und Petite-Rosselle herum) und das Prosa-Stück „Alt am Apparat“von Roman Eich: eine melancholi­sche Geschichte über Bekanntsch­aft, Freundscha­ft und einen leisen, lakonische­n Abschied.

Ausgabe 125, 75 S., 9,90 Euro, erhältlich im Saarbrücke­r Buchhandel und unter www.saarbrueck­erhefte.de

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FOTO: VERA LOOS Das Gemälde „Die Sahara ist gar nicht so groß, wenn es darauf ankommt“von Vera Loos. Im Heft sind neun ihrer Werke abgebildet.
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