Saarbrücken – mal im Aufwind, mal in Gefahr
Die „Saarbrücker Hefte“werfen in ihrer neuen Ausgabe einen Blick auf die Landeshauptstadt – der ist selten schmeichelhaft.
SAARBRÜCKEN „Wem gehört Saarbrücken?“, fragt die jüngste Ausgabe der „Saarbrücker Hefte“und legt den Schwerpunkt diesmal auf aktuelle Entwicklungen in der Landeshauptstadt. Die sind aus Sicht der Autorinnen und Autoren mal erfreulich, mal beunruhigend. Letzteres etwa die Gentrifizierung des Nauwieser Viertels, beschrieben von Isabelle Bastuck: Die beliebte Jazzkneipe „Zing“in der Rotenbergstraße etwa muss schließen, der Eigentümer lässt das Haus abreißen, dort entsteht wohl etwas noch Gewinnträchtigeres. Traurige Ironie – Kulturorte wie das Zing werten das Viertel auf und bedrohen sich damit selbst. Sie seien, schreibt
Bastuck, „Wegbereiter, letzten Endes jedoch allem voran Opfer der steigenden Mieten und Bodenpreise (…) Die Pioniere müssen langsam, aber sicher weichen.“Dies sei ein Prozess, der „überall voranschreitet, wo Städte nicht eingreifen“. Dieses Eingreifen wünscht sich die Autorin auch im Falle der Nauwieserstraße, Hausnummer 14-18: Der Eigentümer der desolaten Immobilien ist die Stadt, die sie nun verkauft; trotz eines Konzeptverfahrens über eine sinnvolle und zum Viertel passende Nutzung sorgen sich Anwohner, dass etwa hochpreisige Mietshäuser hochgezogen werden könnten. Für Bastuck sind diese Gentrifizierungsvorgänge „nur an der Oberfläche rein kulturelle Konflikte“; real gehe es um einen „Rattenschwanz an Verdrängung, Armut und sozialem Ausschluss“.
Letzteres sieht auch Autor Dennis Kundrus im Abriss der Wartehäuschen an der Johanneskirche, die vor allem von sogenannten Randständigen genutzt wurden, die manche als
Störung oder gar Bedrohung empfunden haben. Kundrus unterstellt Saarbrücken, „eine Architektur zu schaffen, welche die prekarisierten Menschen vom Platz fernhält“. Die Bänke um die Johanneskirche seien so abgerundet, dass man sie nicht lange ohne Schmerzen nutzen könnte, es seien „einfach Bänke, auf denen man nicht sitzen kann“. Für Autor Kundrus eine defensive, menschenfeindliche Architektur. Der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten im Saarland kritisiert den Abriss aus baukultureller Sicht, auch wenn er die „unsicheren Zustände“dort nicht leugnet. Durch den Abriss „über Nacht“habe die Stadt eine „sachliche Diskussion über die Gestaltung des öffentlichen Raums hier leider“unmöglich gemacht.
Aber die Redaktion sieht auch Positives: Sadija Kavgic attestiert in ihrer Reportage dem Saarbrücker Stadtteil Malstatt eine Neubelebung, vor allem durch syrische Flüchtlinge, die in der Breite Straße um die 40 Geschäfte eröffnet haben, die ein überregionales Publikum anziehen. Ein Problem bleibt aber die enorme Verkehrsbelastung.
Laura Weidig berichtet von der gemeinnützigen Commune und deren Plan, in Saarbrückens Futterstraße auf 1000 Quadratmetern „eine Anlaufstelle für politische, soziale und kulturelle Projekte“zu schaffen – eine ambitionierte, hochinteressante Idee, zu der man per Spenden oder Direktkredite beitragen kann: www.commune.gmbh.
Was gibt es abseits des Saarbrücker Schwerpunkts zu lesen? Uwe Loebens dröselt in seinem rechercheprallen Text „Schilda in Tholey“die denkmalschützerischen Konflikte um die Benediktinerabtei auf, bevor Historiker Hans-Joachim Hoffmann sich der Biografie von Karl Schwingel (1901-1963) widmet: Der war 1955 Mitbegründer und erster Chefredakteur der „Saarbrücker Hefte“– und, wie Hoffmann schreibt, zuvor ein „NS-Kulturfunktionär“, der vor dem „artfremden Judentum“gewarnt habe. In der Zukunft will die
Zeitschrift die Anfangsphase ihres Erscheinens weiter untersuchen.
Die Galeristin Ingeborg Besch schreibt über den verstorbenen Künstler Seiji Kimoto. Die Malerin Vera Loos erklärt ihre Kunst und zeigt sie: Neun ihrer atmosphärischen, oft dunstvergangenen Gemälde sind zu sehen, in denen Menschen auf Distanz gehen und dabei rätselhaft bleiben. Rundum schöne Lesestücke sind Ekkehart Schmidts nächste Reise durch die saarländische Kneipenlandschaft (diesmal um Großrosseln und Petite-Rosselle herum) und das Prosa-Stück „Alt am Apparat“von Roman Eich: eine melancholische Geschichte über Bekanntschaft, Freundschaft und einen leisen, lakonischen Abschied.
Ausgabe 125, 75 S., 9,90 Euro, erhältlich im Saarbrücker Buchhandel und unter www.saarbrueckerhefte.de