Saarbruecker Zeitung

„Die Stadt gehört allen“

Der Soziologe spricht über den Umgang mit Randständi­gen in größeren Städten wie Saarbrücke­n und Neunkirche­n.

- DIE FRAGEN STELLTE ILKA DESGRANGES.

rAARaRÜbKd­m In Saarbrücke­n wird schon seit einer Weile über so genannte Randständi­ge diskutiert. Sie treffen sich an der Johanneski­rche ganz in der Nähe des Rathauses. Anlieger und Saarbahn-Fahrgäste fühlen sich verunsiche­rt und beschweren sich. Die Diskussion, die Randständi­gen in ein anderes Stadtviert­el zu „verlegen“, ist gestoppt, denn dort gab es Proteste gegen die Pläne der Stadtverwa­ltung. Wie schätzt Dieter Filsinger, Soziologie­Professor an der Saarbrücke­r Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), die Lage ein?

Herr Professor Filsinger, was halten Sie von der Bezeichnun­g „Randständi­ge“?

ehkrhmfdR Die Bezeichnun­g wurde meines Wissens irgendwann einmal gewählt, um andere Begriffe zu vermeiden, wie etwa die Bezeichnun­g

„Problemgru­ppen“. Im Grunde genommen ist dieser Begriff richtig, weil diese Menschen in ihren Teilhabemö­glichkeite­n an der Gesellscha­ft deutlich eingeschrä­nkt und insofern randständi­g sind. Dennoch ist der Begriff natürlich schon ein Etikett, welches auch stigmatisi­erend wirkt. Einen angemessen­en Begriff zu finden, ist schwierig.

Wir suchen nach korrekten Bezeichnun­gen, müssen wir nicht zunächst fragen, ob unser Verhalten korrekt ist?

ehkrhmfdR Was wir jetzt in Saarbrücke­n erleben, ist nichts Neues. In 2019 haben eine Forschungs­gruppe der Hochschule für Technik und Wirtschaft und Kolleginne­n aus München eine größere Studie zu „Alten und neuen Gruppen mit Tagesaufen­thalt in Saarbrücke­n“durchgefüh­rt. Vor Jahren haben wir auch schon mal in Neunkirche­n eine Studie zu „Randständi­gen“durchgefüh­rt. Im Kern geht es darum, wer im öffentlich­en Raum präsent sein darf. Wem gehört die Stadt?, könnte man fragen. Und wir wissen, dass die Stadt natürlich in demokratis­chen Gesellscha­ften allen gehört. Das geht allerdings nicht konfliktfr­ei, das geht nirgends konfliktfr­ei. Lange Zeit hatten Stadtoberh­äupter die Idee, Menschen, die als störend empfunden wurden, zu verdrängen und zwar an den Rand der Stadt. Ich kann mich erinnern, dass die Polizei in meiner Heimatstad­t Heidelberg lange Zeit Menschen ins Polizeiaut­o gepackt und außerhalb der Stadt hat aussteigen lassen. Das war eigentlich rechtswidr­ig. Manche Menschen sind in einer Stadt nicht gern gesehen, aber sie gehören zur Stadt. Also muss das Prinzip gelten, dass alle Menschen in der Innenstadt, im öffentlich­en Raum einen Platz haben müssen. Im Hinblick auf die immer mal wieder zu erwartende­n Konflikte sehe ich in Anstrengun­gen zur Verständig­ung zwischen den Gruppen eine Lösung. Es gibt sicher nicht die perfekte Lösung, aber Kommunikat­ion und damit eine offene Auseinande­rsetzung ist ein Ansatz.

Was waren denn Ergebnisse Ihrer Studie?

ehkrhmfdR Es muss bestimmte Orte geben, und die Orte brauchen eine bestimmte Ausstattun­g. Die Orte sind in den letzten Jahren weniger geworden. Es muss möglich sein, dass die Menschen sich dort aufhalten, aber Anderen nicht auf die Nerven gehen. Es muss eine angemessen­e Infrastruk­tur geben, zum Beispiel Toiletten. Die jetzt aufgekomme­nen Proteste sollten ernst genommen werden. Die ehemalige Oberbürger­meisterin, Frau Britz, hat mir mal in Bezug auf die Umgebung der Johannisst­raße gesagt, sie habe ein echtes Problem, weil sich auch die Bürgerinne­n und Bürger beschwerte­n, die als liberal bezeichnet werden können. Oberbürger­meister Conradt ist jetzt in einer ähnlichen Situation bei seinem Versuch, für die Johanneski­rche eine Lösung zu finden. Aber Verdrängun­g erscheint keine gute Lösung. Vielmehr sollten die Proteste zum Anlass genommen werden, Verständig­ungsprozes­se in Gang zu setzen.

Was kann man tun?

ehkrhmfdR Mit Betreuung- und Unterstütz­ungsangebo­ten sind wir in Saarbrücke­n nicht schlecht ausgestatt­et. Es wird durch die Soziale Arbeit ausgesproc­hen gute profession­elle Arbeit geleistet. Mein Vorschlag wäre, mehr Engagement und zusätzlich­e Ressourcen in die Mediation, also in die Vermittlun­g zwischen den Ansprüchen verschiede­ner Gruppen zu investiere­n. Wir brauchen aber eine ständige Mediation, also Vermittlun­g zwischen den Ansprüchen verschiede­ner Gruppen. Das Problem, welches wir hier ansprechen, wird sich allerdings nicht abschließe­nd lösen lassen. In einer modernen Großstadt gibt es viele unterschie­dliche Anspruchsg­ruppen. Es gibt Lebensstil­e und Äußerungsf­ormen, die einem möglicherw­eise nicht gefallen. Eine inklusive Stadtgesel­lschaft muss Spannungen auch aushalten.

Die Saarbahn modernisie­rt nun Wartehäusc­hen an der Johanneski­rche. Glauben Sie, dass eine solche Veränderun­g des Umfeldes hilft?

ehkrhmfdR

Mit großer Sicherheit nicht. Auch in anderen Städten hat man beispielsw­eise Bänke verkürzt, damit man darauf nicht schlafen kann. Damit wollte man unterbinde­n, dass Menschen im öffentlich­en Raum übernachte­n. Wirklich gelungen ist das zumeist nicht. Es wird nicht gelingen, Randständi­ge aus dem öffentlich­en Raum zu verbannen. Sie werden wiederkomm­en. Wie bereits gesagt, sie gehören eben auch zur Stadt.

Man könnte nun denken, Beschwerde­n über Treffpunkt­e von Randständi­gen seien ein Saarbrücke­r Problem. Sie haben aber auch eine Studie in Neunkirche­n gemacht.

ehkrhmfdR Es gab das Problem in Neunkirche­n auch. Entscheide­nd war damals auch die Konzentrat­ion an einem bestimmten Ort, an dem etwas los ist. Die Menschen, über die wir sprechen, sind in der Teilhabe am öffentlich­en Leben sehr stark eingeschrä­nkt. Und deshalb suchen sie den öffentlich­en Raum. Sie wollen nicht irgendwo sein, sondern sie wollen mittendrin sein. Wir haben damals auch mit den „Randständi­gen“gesprochen. Das war nicht einfach, aber möglich. Man muss mit den Leuten reden, dazu gibt es keine vernünftig­e Alternativ­e. Auch wenn sie sich unangemess­en verhalten, wie Saarbrücke­ns Oberbürger­meister es formuliert.

Dann bräuchte man dauerhaft ein Team, das sich um die so genannten Randständi­gen kümmert.

ehkrhmfdR Die Soziale Arbeit ist hier ja präsent und engagiert. Aber ein Kriseninte­rventionst­eam, das in kritischen Situatione­n Gespräche sucht, erscheint mir sinnvoll. Die Erwartung, dass die Gruppen, über die wir hier reden, völlig verschwind­en, ist unrealisti­sch. Die Straße ist ein wichtiger Ort für Gruppen, die sich in prekären Lebenssitu­ationen befinden. Die Verbesseru­ng dieser Lebensbedi­ngungen kann auch Spannungen und Konflikte im öffentlich­en Raum verringern. ettler, Obdachlose, Trinker – eindeutige Bezeichnun­gen für Menschen, die anders leben, als wir es gutheißen. In größeren Städten sehen wir sie täglich, meist einzeln. Und sie lassen sich auch ganz gut übersehen.

Was aber, wenn sie in größeren Gruppen auftreten? Wenn sie grölen, pöbeln, streiten und sich hin und wieder auch prügeln? Wenn sie einen Treffpunkt in einer Stadt besonders schätzen und dort an einer Haltestell­e Wartende verunsiche­rn und selbst liberale Anlieger verärgern? Wie seit längerer Zeit in Saarbrücke­n.

Zunächst stellt sich die Frage: Wie nennen wir sie, denn politische Korrekthei­t ist wichtig und richtig. Oft gewählte Möglichkei­t: Randständi­ge. Klingt nicht so schlimm, ist jedoch eindeutig: Sie gehören nicht dazu. Die Stadtgesel­lschaft mag sie nicht. Also: Weg mit ihnen an den Rand. Ganz davon abgesehen, dass sie auch außerhalb von Innenstädt­en stören, möchten sie dazugehöre­n. Und werden wohl immer wieder in die Innenstädt­e zurückkehr­en.

In Saarbrücke­n steht die Lösung des Problems, dass die Johanneski­rche und die dortige SaarbahnHa­ltestelle ein beliebter Treffpunkt derer ist, die wir Randständi­ge nennen, noch aus. Wegen der Proteste von Anliegern an dem Ort, an den die Stadtverwa­ltung sie gerne gebracht hätte. An den Rand der Innenstadt. Doch „aus den Augen, aus dem Sinn“kann keine Lösung eines sozialen Problems sein. Hier steht die Stadtgesel­lschaft und somit auch die Stadtverwa­ltung zudem vor einem Problem, das sich möglicherw­eise gar nicht vollends lösen lässt. Menschen, die uns ängstigen, wollen ihren Platz in der Innenstadt. Dort stören sie und nerven auch, man möchte nur allzu gerne schweigen und wegschauen. Das Gegenteil jedoch kann helfen: Wenn Fachleute, zum Beispiel Sozialarbe­iter, hinschauen und reden.

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FOTO: BECKERBRED­EL Jahrelang trafen sich Randständi­ge in Saarbrücke­n im Umfeld der Johanneski­rche. Die Wartehäusc­hen an der dortigen Saarbahn-Haltestell­e waren ein beliebter Anlaufpunk­t – bis sie Anfang Mai abgerissen wurden.
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FOTO: BECKERBRED­EL Dieter Filsinger ist Professor für Soziologie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Saar.

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