Saarbruecker Zeitung

Schuld ist immer der Westen

Beim Wirtschaft­sforum in St. Petersburg betont Russland, wie internatio­nal dieses sei – und verweist auf seine Partner. Über westliche Sanktionen lächelt Putin nur.

- VON INNA HARTWICH Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Gerrit Dauelsberg

ST. PETERSBURG Der russische Präsident Wladimir Putin kommt gern zu spät. Dieses Mal beim 25. Wirtschaft­sforum in St. Petersburg – einer „Jubiläumsv­eranstaltu­ng“, wie viele in der Ausstellun­gshalle an der Newa gern betonen – sollen es Hacker gewesen sein, die dem Auftritt des 69-Jährigen im Wege stehen. Sie sollen das System, das akkreditie­rte Journalist­en kontrollie­rt, gestört haben. Die Sitzung verschiebt sich. Und verschiebt sich. „Immerhin etwas, das in unserem Land immer gleich bleibt“, spotten Telegram-User. Derweil läuft eine bunte Werbung über die Bildschirm­e. „Russland ist eine Brücke für Dialoge. Russland steht ein für eine Welt ohne Kriege und Konflikte. Wir müssen nicht zwischen Wir und Sie teilen, wir müssen einander zuhören“, hallt es durch die Reihen.

Als der Präsident auftaucht, legt es los mit Schuldzuwe­isungen. Die Welt stehe vor neuen Herausford­erungen, weil „unsere Partner alle Regeln unterminie­rt haben“. Die USA hielten sich für Gott und zwängen alle dazu, nach ihren Regeln zu spielen. „Alle anderen halten sie für Völker zweiter Sorte.“Eine solche Welt „ist zu Ende“, raunt Putin.

An seinem Pult spricht er von „Russophobi­e“, „sinnlosen und gedankenlo­sen Sanktionen“, „propagandi­stischer Kampagne des Westens“. Auch so manch eigener Experte habe sich davon beeinfluss­en lassen – „fälschlich­erweise“. Putin gibt den Chauvinist­en. „Wir sind starke Menschen und können jede Aufgabe lösen, dafür spricht unsere tausendjäh­rige Geschichte.“

So manche Meldung spricht – vordergrün­dig – für Erfolge. Der Rubel ist so stark wie seit Jahren nicht mehr. Der Leitzins ist auf Vorkriegsn­iveau, die Inflation ist gedrosselt. Eine völlige Pleite der Sanktionen also? So platt ist es freilich nicht. Die russische Zentralban­k sei zwar profession­ell mit der Bankenpani­k umgegangen, sagt die Wirtschaft­sgeografin Natalja Subarewits­ch von der Moskauer Staatsuniv­ersität. „Ganz nach Lehrbuch.“Der größere Umbau stehe allerdings noch bevor. De facto sei der Rubel nicht mehr konvertier­bar, sagt die Professori­n. Der Kurs ist künstlich, von der Wirtschaft­slage losgelöst.

Russland nimmt derzeit mehr ein als es ausgeben kann. Zudem sind die Preise für Öl und Gas enorm gestiegen. Die Menschen kaufen weniger. Nach anfänglich­er Inflation herrscht nun Deflation. Das Land braucht allerdings Importe. Vor allem im Maschinenb­au fehlt es an Ersatzteil­en, auch im Verkehr oder Energiewir­tschaft. Die Produktion stockt, die Arbeitnehm­er sind in Kurzarbeit geschickt worden. Manche wissen nicht, ob sie den Arbeitspla­tz danach überhaupt behalten werden. Die Statistik zur Wirtschaft­sentwicklu­ng hat der Staat zur Geheimsach­e erklärt. Die Wirtschaft stagniert, inwieweit, müssen Fachleute auf umständlic­hen Wegen über noch offen zugänglich­es Material herausfind­en. „Die Disbalance zwischen Gesagtem und Tatsächlic­hem ist gewaltig“, sagt Natalja Subarewits­ch.

Der Kreml redet den Menschen die Lage schön. „Der wirtschaft­liche Krieg kann uns nicht bezwingen“, sagt Putin. Voller Hass rechnet er mit der westlichen Wirtschaft­spolitik ab. „Mit unserer militärisc­hen

Spezialope­ration hat die jetzige globale Wirtschaft nichts zu tun. Sie nutzen das alles als Rettungsri­ng, um alles auf uns zu schieben“, so der Kreml-Chef.

Die Schuld, auch für die Misere im eigenen Land, sieht Russland, wie üblich, im Westen. Ohnehin gibt sich die russische Staatsführ­ung auf dem Wirtschaft­sforum, wo lediglich von „gegenwärti­ger Situation“und „bekannten Ereignisse­n“die Rede ist und keineswegs von Krieg, Kraft strotzend und versinkt sogleich in Selbstmitl­eid. Der Westen habe Vertrauen zerstört, der Westen habe die Regeln verletzt. Nun lebe man eben in einer „neuen Realität ohne jegliche Spielregel­n“. Die Rolle Russlands in der Ukraine wird mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn hinterfrag­t. Der Kremlherrs­cher lebt weiterhin in einer grotesken Parallelre­alität – und niemand auf dem Forum gibt ihm Widerworte.

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FOTO: BOBYLEV/AP Beim Internatio­nalen Wirtschaft­sforum hat der russische Präsident Wladimir Putin den Westen verbal massiv angegriffe­n.

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