Saarbruecker Zeitung

Ist ein vierter Pieks für mich sinnvoll?

Die erste Booster-Impfung ist schon eine ganze Weile her. Derzeit steigen die Infektions­zahlen wieder. Ist es an der Zeit für eine vierte Corona-Impfung?

- VON RICARDA DIECKMANN Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Gerrit Dauelsberg

MÜNCHEN/HANNOVER (dpa) Viele haben den gelben Impfpass länger nicht in der Hand gehabt. Denn: Die dritte Impfung gegen Covid-19 liegt bei den meisten schon eine Weile zurück, oftmals mehr als ein halbes Jahr.

Eine vierte Impfung haben bislang nur etwa sechs Prozent der Deutschen bekommen, zeigt das Impfdashbo­ard des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums. Hintergrun­d: Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) empfiehlt eine zweite Auffrischu­ng des Impfschutz­es bislang nur bestimmten Gruppen.

Mit Blick auf die steigenden Infektions­zahlen regt sich bei einigen Sorge: Wie gut ist mein Impfschutz noch? Ist eine vierte Impfung für mich sinnvoll – auch wenn ich nicht in die Stiko-Empfehlung falle? Wie man jetzt zu einer Entscheidu­ng kommt:

Wenn ich nicht unter die Stiko-Empfehlung (Menschen ab 70, Menschen mit Immunschwä­chen ab fünf Jahren und alle, die in einem Alten- oder Pflegeheim wohnen oder betreut werden) falle: Wie finde ich heraus, ob sich ein zweiter Booster für mich lohnt

Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es derzeit nicht – es führt kein Weg daran vorbei, seine persönlich­e Situation abzuwägen.

Klar ist aber: Mit der Zeit nimmt die Immunität gegen Covid-19 ab. „Es gibt nicht den vollständi­gen oder gar keinen Schutz, sondern der Schutz liegt abgestuft dazwischen“, sagt der Infektiolo­ge Christoph Spinner. Er ist Oberarzt und Infektiolo­ge am Universitä­tsklinikum rechts der Isar der Technische­n Universitä­t München.

Nach seiner Aussage besteht der beste Impfschutz ein bis drei Monate nach der dritten Impfung. Danach baut er ab – aber nicht bei jedem Menschen im gleichen Maße und Tempo.

„Bei Älteren lässt der Schutz schneller nach, weil ihr Immunsyste­m nicht mehr so gut durch Impfungen trainierba­r ist wie das jüngerer Menschen“, erklärt Spinner, der auch zu Corona-Impfstoffe­n forscht.

Chronisch Kranke und immungesch­wächte Menschen sprechen generell schlechter auf die Impfung an und verlieren auch den Schutz schneller, so der Infektiolo­ge. Für sie ist eine vierte Impfung oder gar fünfte Impfung somit eher sinnvoll.

Laut Prof. Tobias Welte von der Medizinisc­hen Hochschule Hannover kann es auch vom Geschlecht abhängen, wie sich der Impfschutz im Laufe der Zeit verhält: Bei Männern nimmt er im Durchschni­tt schneller ab als bei Frauen.

Der Direktor der Klinik für Pneumologi­e rät dazu, nicht mit falschen Erwartunge­n auf eine vierte Impfung zu blicken. „Die Impfung schützt vor schwerer Erkrankung zwar immer noch sehr, sehr zuverlässi­g“, sagt Welte.

Aber die derzeit zirkuliere­nden Omikron-Varianten sind leicht übertragba­r. „Bei BA.5 liegt beispielsw­eise auch nach drei Impfungen die Schutzwirk­ung vor einer Infektion inzwischen bei unter 20 Prozent“, sagt Welte.

Man sollte an den zweiten Booster besser nicht die Erwartung heften, so eine Infektion komplett vermeiden zu können.

Kann ich herausfind­en, wie gut mein Impfschutz derzeit ist, um daraus meine Entscheidu­ng abzuleiten Nein. „Man kann nicht in der Breite die Antikörper­spiegel messen, um daraus die Entscheidu­ng für eine weitere Impfung zu ziehen“, sagt Tobias Welte. Wann genau sich für einen persönlich eine weitere Auffrischu­ng anbietet, lässt sich nicht ermitteln.

Am Ende hängt die individuel­le Entscheidu­ng auch daran, welches Infektions­risiko man durch seinen Lebensstil hat – und wie viel Kontakt man im Alltag mit vulnerable­n Menschen hat. „Wenn die letzte Impfung sechs Monate her ist und jemand nun im Sommer auf Festivals oder Großverans­taltungen gehen will, ist eine weitere Impfung wahrschein­lich ratsam“, sagt Christoph Spinner. „Wer von zu Hause aus arbeitet und außerhalb von Familie und Freunde wenig Kontakte hat, kann sicher noch etwas warten.“

Für den Münchner Infektiolo­gen steht eines fest: Vor dem Oktoberfes­t gibt es für ihn einen weiteren Booster – und zwar mit zwei bis vier Wochen Vorlauf, damit sich der Impfschutz pünktlich zum Wiesn-Start aufgebaut hat.

Stichwort Timing: Auch das kann bei der individuel­len Entscheidu­ngsfindung eine Rolle spielen. „Wenn wir die wirklich starke Fallzahlen-Steigerung erst im Herbst bekommen, haben die jetzt Geimpften nicht mehr den besten Schutz“, sagt Welte.

Kann es denn für mich von Nachteil sein, wenn ich mich noch einmal boostern lasse

„Eine zweite Booster-Impfung ist auf keinen Fall ein Fehler, wenn die erste mindestens drei Monate zurücklieg­t“, sagt Christoph Spinner. Allerdings: Wie groß der Nutzen ist, hängt vor allem davon ab, ob man einer Risikogrup­pe angehört und wie lange die letzte Impfung her ist.

Folgen die dritte und vierte Impfung zu schnell aufeinande­r, bringt das allerdings wenig Nutzen. „Darauf kann das Immunsyste­m aufgrund seiner begrenzten Kapazitäte­n gar nicht reagieren. Stimuliere­n Sie es weiter, kommt es zu keiner Reaktion mehr“, erklärt Tobias Welte.

Er rät dazu, einen Abstand von sechs Monaten zwischen dritter und vierter Impfung einzuhalte­n.

Und wenn ich mich nach der dritten Impfung bereits mit Omikron infiziert habe

„Dann ist die Erkrankung quasi auch eine Art Booster“, sagt Welte. Wie lange die dadurch gebildeten Antikörper jedoch schützen, ist unklar. Aus seiner Sicht kann man in diesem Fall mit der vierten Impfung möglicherw­eise auch länger als sechs Monate warten. Doch auch hier gilt: Es fehlen Daten, um handfeste Empfehlung­en zu geben.

„Allgemein lässt sich sagen: Jeder Kontakt mit den Virus – sei es durch Impfung oder Infektion – steigert die Immunität“, fasst Spinner zusammen.

Ergibt es Sinn, die vierte Impfung aufzuschie­ben – und auf die OmikronImp­fstoffe zu warten, die im Herbst kommen sollen

Eine schwierige Frage, findet Infektiolo­ge Spinner: „Man müsste ja das Risiko des Abwartens bis zur nächsten Impfung mit den möglichen Vorteilen des neuen Impfstoffs abwägen.“

Für die Experten sind zu viele Fragen noch offen: Wie gut wirken die spezifisch­en Omikron-Impfstoffe – auch gegen andere, neue Varianten? Wann werden sie zugelassen? Im Zweifel ist also besser, mit dem zu arbeiten, was bereits da ist – den derzeit zugelassen­en Impfstoffe­n.

Vor lauter Abwägen mit Blick auf den Herbst sollte man laut Tobias Welte eines nicht vergessen: die Grippeschu­tzimpfung. Laut dem Pneumologe­n ist es wahrschein­lich, dass uns im Herbst und Winter eine starke Grippewell­e bevorsteht.

Gut zu wissen: „Beide Impfungen kann man an einem Tag machen – die Corona-Impfung in den einen Arm, die Grippeschu­tzimpfung in den anderen.“

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FOTO: GOLLNOW/DPA Nur etwa sechs Prozent der Deutschen haben bislang eine vierte Impfung bekommen. Ist der zweite Booster aber überhaupt nötig

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