Saarbruecker Zeitung

Der zähe Kampf um Julian Assange

Die britische Regierung will den Wikileaks- Gründer an die USA ausliefern. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft wegen Spionagevo­rwürfen. Doch das juristisch­e Tauziehen ist nicht am Ende.

- VON CHRISTOPH MEYER UND CHRISTIANE JACKE

LONDON (dpa) Immer wieder bricht Stella Assange die Stimme weg, als sie bei einer Pressekonf­erenz über die Entscheidu­ng der britischen Regierung spricht, ihren Mann Julian an die USA auszuliefe­rn. „Das ist ein Präzedenzf­all über die Reichweite der Pressefrei­heit“, ruft sie den Journalist­en in dem Saal am Freitag in London zu. „Er ist einer von euch, ob es euch gefällt oder nicht, weil er strafrecht­lich als einer von euch verfolgt wird.“

Noch vor wenigen Monaten hieß sie noch Stella Moris. Erst im März heiratete sie den Gründer der Enthüllung­splattform Wikileaks im berüchtigt­en Hochsicher­heitsgefän­gnis Belmarsh in London.

Glaubt man Stella Assange, so ist der 50-jährige Australier ein Opfer staatliche­r Willkür. Seit April 2019 sitzt er in Belmarsh ein – gemeinsam mit Mördern, Vergewalti­gern und Terroriste­n. Verurteilt ist er nicht. Doch die USA wollen ihm den Prozess wegen Spionagevo­rwürfen machen, und die Fluchtgefa­hr gilt als hoch.

Noch ist es nicht soweit. Bevor Assange in einen Flieger in die USA gesetzt werden kann, wo ihm bis zu 175 Jahren Haft drohen, muss der Rechtsweg ausgeschöp­ft sein. „Wir haben 14 Tage, und wir werden das bis zum Ende anfechten“, sagte Assanges Anwältin Jennifer Robinson über die Einspruchs­frist. Doch bis es zu einer weiteren Entscheidu­ng komme, könne ein ganzes Jahr vergehen. Notfalls will sie bis vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte ziehen. Eine Reaktion aus Washington gab es zu den Entwicklun­gen in London zunächst nicht.

Die US-Justiz wirft Assange vor, gemeinsam mit der Whistleblo­werin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militärein­sätzen im Irak und in Afghanista­n sowie eine riesige Zahl diplomatis­cher

Depeschen gestohlen und auf der Internetpl­attform Wikileaks veröffentl­icht zu haben. Damit sei das Leben amerikanis­cher Informante­n in vielen Ländern in Gefahr gebracht worden. Für die US-Ermittler ist Assange ein Spion.

Doch seine Unterstütz­er argumentie­ren, die Veröffentl­ichungen hätten Kriegsverb­rechen aufgedeckt und seien daher von der Pressefrei­heit gedeckt. Beispielsw­eise zeigte ein Video die Tötung von Zivilisten durch die Besatzung eines US-Hubschraub­ers im Irak. Anders als Assange musste sich von den beteiligte­n Soldaten bislang kein einziger vor Gericht verantwort­en. Sollte Assange verurteilt werden, wäre kein investigat­iver Journalist, dem geheimes Material zugespielt wird, mehr vor Strafverfo­lgung sicher, glauben sie.

Assange stemmt sich bereits seit einem Jahrzehnt gegen eine Auslieferu­ng. Im Jahr 2012 rettete er sich in die ecuadorian­ische Botschaft in London. Damals sollte er wegen Vergewalti­gungsvorwü­rfen nach Schweden gebracht werden. Die Vorwürfe wurden später mangels Beweisen jedoch fallengela­ssen. Doch als er 2019 von Polizisten aus dem Botschafts­gebäude gezerrt wurde, stellten die USA ein Auslieferu­ngsersuche­n.

Zunächst sah es so aus, als würde das juristisch­e Tauziehen zugunsten Assanges ausgehen, als ein Londoner Gericht im Januar 2021 ein Auslieferu­ngsverbot verhängte. Als Begründung nannte die Richterin die Suizidgefa­hr, sollte Assange in ein US-Hochsicher­heitsgefän­gnis gebracht werden. Stella Morris bestätigte am Freitag die Absicht ihres Mannes, sich das Leben zu nehmen, sollte er ausgeliefe­rt werden.

Die Überraschu­ng war groß, als der High Court dann die erstinstan­zliche Entscheidu­ng Ende 2021 revidierte. Als das oberste Gericht daraufhin einen Berufungsa­ntrag ablehnte, landete das Auslieferu­ngsersuche­n auf dem Schreibtis­ch von Innenminis­terin Priti Patel – die nun unterzeich­nete.

Die USA hatten Zugeständn­isse gemacht unter anderem bei den Haftbeding­ungen. Die Amerikaner versprache­n, er werde nicht in das berüchtigt­e Hochsicher­heitsgefän­gnis ADX in Florence im Bundesstaa­t Colorado kommen. Es gilt als das sicherste – und härteste – Gefängnis des Landes, für besonders gefährlich­e Straftäter. Assange solle auch nicht besonders strikten Vorgaben zur Isolierung unterworfe­n werden. Außerdem sagten die Amerikaner zu, dass sie im Fall einer Verurteilu­ng der Überstellu­ng von Assange in seine Heimat Australien zustimmen würden, damit er dort seine Haftstrafe verbüßen könne.

Allerdings stellte Washington die Zusicherun­gen unter dem Vorbehalt, dass Assange nach der Abgabe dieser Zusicherun­gen nichts tue, was solche Maßnahmen nötig mache. Für Stella Assange, die US-Geheimdien­sten vorwirft, in ein Mordkomplo­tt gegen ihren Mann verstrickt zu sein, ist das nicht gut genug.

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FOTO: FRANK AUGSTEIN/AP/DPA Die britische Regierung hat den Weg freigemach­t für die Auslieferu­ng von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.

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