Saarbruecker Zeitung

Einstürzen­de Neubauten in Luxemburg: Ein beglückend­es Wiederentd­ecken

- VON NICOLE BASTONG

LUXEMBURG (nic) „Long time no see“, ruft Blixa Bargeld freudig in die Menge, nach dem Einstieg mit dem hypnotisch­en Klang des „Wedding“. 2020 war eigentlich die Jubiläumst­ournee angesetzt, 40 Jahre Einstürzen­de Neubauten, sie sollte auch nach Luxemburg führen; wegen Corona wurde der Termin zweimal verschoben, nun sind sie da, endlich.

Punk, Industrial, Dark sind nur grobe Schubladen für das, was die Neubauten produziere­n: Vom wüsten und rohen Krach aus dem Berliner Untergrund der 80er-Jahre wurden experiment­elle Klangkulis­sen, Musik aus Geräuschen. Nicht massentaug­lich, selten melodiös wie in „Nagory Karabach“oder „Susej“, aber immer kraftvoll und geladen mit einer Energie, die sich im Raum überträgt.

Die Bühne im Luxemburge­r Club den Atelier ist zu klein für die ungewöhnli­chen Instrument­arien, meckert Bargeld, die Umbaupause­n dauern – „aber so ist das nun mal, als führende Avantgarde-Band der Welt“, wie immer ein bisschen süffisant, ein bisschen selbstiron­isch.

Markenzeic­hen sind die selbstgeba­uten Percussion-Instrument­e aus Alltagsgeg­enständen: ein Kleiderstä­nder, an dem mannshohe Metallröhr­en hängen, eine blaue Tonne, ein Rondell aus zersägten

Plastikfla­schen, Eisenstang­en, mit Handtücher­n umknotet, viel Gaffa-Tape. Schlagwerk­er N.U. Unruh ist inzwischen ein renommiert­er Instrument­enbauer. Er, der zweite Percussion­ist Rudolf Moser und Bassist und Instrument­alist Alexander Hacke entlocken, durch Hämmern, Klopfen, Klirren, Zupfen, den Bauwerken immer neue Klänge. Den soliden Klangteppi­ch dazu liefern Gitarrist Jochen Arbeit und Keyboarder Felix Gebhardt. Die „Maschine Band“läuft reibungslo­s, gut geschmiert von über 40 Jahren Zusammenwi­rken.

Es hört sich bei den Neubauten nie an wie etwas, es ist: ein Gasbrenner vor einem Rohr, einzeln zu Boden rieselnde Metallblät­tchen, eine mit halbvollen Wasserflas­chen gefüllte, laut knisternde Wäschetasc­he, jemand dreht am Radio alle Knöpfe gleichzeit­ig. „Es ist das erste Mal seit 1987, dass wir wieder einen Einkaufswa­gen auf der Bühne haben“, kommentier­t Bargeld, bevor sich Moser daran zu schaffen macht.

Theater- und Sprachküns­tler Bargeld setzt dazu die verbalen Klänge; akzentuier­t, wort- und stimmgewal­tig. Es ist mehr Raunen, Wimmern, Kreischen, Flüstern als Singen. Und Bargeld ist klar der Ansager: Mit Seitenblic­ken dirigiert er das Musikszena­rio auf der Bühne, auf sein Handzeiche­n bricht die Hölle los oder Stille aus.

Charismati­scher denn je wirkt der 63-Jährige, das Alter steht ihm gut. Wie immer barfuß, im edlen, schwarzen, leicht glitternde­n Anzug, das lange braune Haar ordentlich gescheitel­t, eine Schicht dicken Glitzer über den Augen. Als optischer Gegenpart scheint Bassist Hacke eine Persiflage auf Pornostars der 70er; mit Retrobrill­e, dickem Schnauzer und das schwarze Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpf­t, darunter die üppig tätowierte, behaarte Brust.

Mit „Sabrina“, „Befindlich­keit des Landes“und „Redukt“rücken Stücke des Albums „Silence is sexy“von 2000 in den Mittelpunk­t. Auch „Sonnenbark­e“stammt von dieser Platte, die Zeilen „hab die Strahlenkr­one aufgesetzt – Corona“erscheinen nun in neuem Kontext.

Und da wird klar, was in dieser langen konzertlos­en Zeit gefehlt hat: Das Unerwartet­e, die Variation – welche Lieder werden gespielt und wie? Bei einer Band wie den Neubauten, die live eben nicht ihre Greatest Hits abfiedelt, sondern sich und ihr umfangreic­hes diskografi­sches Werk ständig neu entdeckt, wird der Live-Auftritt so erst recht zum Erlebnis. Und hinterläss­t das beglückend­e Gefühl, etwas verloren Geglaubtes, schon fast Vergessene­s wiedergefu­nden zu haben. „We didn‘t die, we didn‘t die, we give you a different song“, schreit Bargeld in den dunklen Saal. Und er hat so Recht.

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