Einstürzende Neubauten in Luxemburg: Ein beglückendes Wiederentdecken
LUXEMBURG (nic) „Long time no see“, ruft Blixa Bargeld freudig in die Menge, nach dem Einstieg mit dem hypnotischen Klang des „Wedding“. 2020 war eigentlich die Jubiläumstournee angesetzt, 40 Jahre Einstürzende Neubauten, sie sollte auch nach Luxemburg führen; wegen Corona wurde der Termin zweimal verschoben, nun sind sie da, endlich.
Punk, Industrial, Dark sind nur grobe Schubladen für das, was die Neubauten produzieren: Vom wüsten und rohen Krach aus dem Berliner Untergrund der 80er-Jahre wurden experimentelle Klangkulissen, Musik aus Geräuschen. Nicht massentauglich, selten melodiös wie in „Nagory Karabach“oder „Susej“, aber immer kraftvoll und geladen mit einer Energie, die sich im Raum überträgt.
Die Bühne im Luxemburger Club den Atelier ist zu klein für die ungewöhnlichen Instrumentarien, meckert Bargeld, die Umbaupausen dauern – „aber so ist das nun mal, als führende Avantgarde-Band der Welt“, wie immer ein bisschen süffisant, ein bisschen selbstironisch.
Markenzeichen sind die selbstgebauten Percussion-Instrumente aus Alltagsgegenständen: ein Kleiderständer, an dem mannshohe Metallröhren hängen, eine blaue Tonne, ein Rondell aus zersägten
Plastikflaschen, Eisenstangen, mit Handtüchern umknotet, viel Gaffa-Tape. Schlagwerker N.U. Unruh ist inzwischen ein renommierter Instrumentenbauer. Er, der zweite Percussionist Rudolf Moser und Bassist und Instrumentalist Alexander Hacke entlocken, durch Hämmern, Klopfen, Klirren, Zupfen, den Bauwerken immer neue Klänge. Den soliden Klangteppich dazu liefern Gitarrist Jochen Arbeit und Keyboarder Felix Gebhardt. Die „Maschine Band“läuft reibungslos, gut geschmiert von über 40 Jahren Zusammenwirken.
Es hört sich bei den Neubauten nie an wie etwas, es ist: ein Gasbrenner vor einem Rohr, einzeln zu Boden rieselnde Metallblättchen, eine mit halbvollen Wasserflaschen gefüllte, laut knisternde Wäschetasche, jemand dreht am Radio alle Knöpfe gleichzeitig. „Es ist das erste Mal seit 1987, dass wir wieder einen Einkaufswagen auf der Bühne haben“, kommentiert Bargeld, bevor sich Moser daran zu schaffen macht.
Theater- und Sprachkünstler Bargeld setzt dazu die verbalen Klänge; akzentuiert, wort- und stimmgewaltig. Es ist mehr Raunen, Wimmern, Kreischen, Flüstern als Singen. Und Bargeld ist klar der Ansager: Mit Seitenblicken dirigiert er das Musikszenario auf der Bühne, auf sein Handzeichen bricht die Hölle los oder Stille aus.
Charismatischer denn je wirkt der 63-Jährige, das Alter steht ihm gut. Wie immer barfuß, im edlen, schwarzen, leicht glitternden Anzug, das lange braune Haar ordentlich gescheitelt, eine Schicht dicken Glitzer über den Augen. Als optischer Gegenpart scheint Bassist Hacke eine Persiflage auf Pornostars der 70er; mit Retrobrille, dickem Schnauzer und das schwarze Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, darunter die üppig tätowierte, behaarte Brust.
Mit „Sabrina“, „Befindlichkeit des Landes“und „Redukt“rücken Stücke des Albums „Silence is sexy“von 2000 in den Mittelpunkt. Auch „Sonnenbarke“stammt von dieser Platte, die Zeilen „hab die Strahlenkrone aufgesetzt – Corona“erscheinen nun in neuem Kontext.
Und da wird klar, was in dieser langen konzertlosen Zeit gefehlt hat: Das Unerwartete, die Variation – welche Lieder werden gespielt und wie? Bei einer Band wie den Neubauten, die live eben nicht ihre Greatest Hits abfiedelt, sondern sich und ihr umfangreiches diskografisches Werk ständig neu entdeckt, wird der Live-Auftritt so erst recht zum Erlebnis. Und hinterlässt das beglückende Gefühl, etwas verloren Geglaubtes, schon fast Vergessenes wiedergefunden zu haben. „We didn‘t die, we didn‘t die, we give you a different song“, schreit Bargeld in den dunklen Saal. Und er hat so Recht.