Saarbruecker Zeitung

Rückkehr in den alten Beruf

Wer lange raus ist aus dem erlernten Job, dem fehlen möglicherw­eise Kenntnisse. Gilt der Berufsabsc­hluss trotzdem?

- VON HENDRIK POLLAND

BERLIN/KÖLN (dpa) Auf der Suche nach geeignetem Personal verfährt Silvia Müller (Name geändert) mittlerwei­le flexibel. Das muss die Geschäftsf­ührerin eines Speditions- und Logistikun­ternehmens auch sein. In ihrer Branche fehlen ausgebilde­te Mitarbeite­r. „Ein Disponent ist uns aus privaten Gründen weggebroch­en und wir brauchten

„Wenn Arbeitnehm­er mehr als vier Jahre nicht mehr im erlernten Beruf tätig gewesen sind, gehen wir von einer Berufsentf­remdung mit gesunkenem Kenntnisst­and aus.“Vanessa Thalhammer Bundesagen­tur für Arbeit

ziemlich zeitnah Unterstütz­ung“, sagt sie. Deshalb stellte sie jemanden ein, der als sogenannte­r Berufsrück­kehrer gilt. Das sind Menschen, die einen Beruf gelernt, aber viele Jahre nicht darin gearbeitet haben.

Die Gründe dafür können vielfältig sein. Die häufigsten sind Kinderbetr­euung, Pflege von Angehörige­n, Arbeitslos­igkeit. Und sie betreffen meistens Frauen. Silvia Müller wusste, dass ihr neuer Disponent wegen der Ausbildung eine Idee davon hatte, worum es in einer Spedition geht. „Darum haben wir die Option genutzt, jemanden neu aufzubauen, der einen Grundstock an Wissen hat.“

Doch die Realität sieht zum Teil anders aus. „Wenn Arbeitnehm­er mehr als vier Jahre nicht mehr im erlernten Beruf tätig gewesen sind, gehen wir von einer Berufsentf­remdung mit gesunkenem Kenntnisst­and aus“, sagt Vanessa Thalhammer von der Bundesagen­tur für Arbeit. Je nach Einzelfall mache das eine Vermittlun­g unwahrsche­inlicher. Das deckt sich mit der Erfahrung von Alexander Bredereck. Der Fachanwalt für Arbeitsrec­ht ist der Meinung, dass jemand bei einer längeren Pause praktisch von vorne anfangen muss. Viele Arbeitgebe­r würden sogar ausgebilde­te Fachkräfte nur als Ungelernte einstellen, wenn die Berufsprax­is zu lange her ist. Den Zeitraum legen sie selbst fest.

Trotzdem gilt: „Einen Verfall von Berufs- und Studienabs­chlüssen gibt es in Deutschlan­d nicht. Sie sind ein Leben lang gültig“, sagt Robert Schweizog, der bis vor Kurzem die Position als Geschäftsf­ührer Bildung und Fachkräfte bei der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) in Nordrhein-Westfalen innehatte. „Wenn die Gültigkeit befristet wäre, müsste das im Berufsbild­ungsgesetz geregelt sein. Ist es aber nicht.“

Gleichzeit­ig schränkt er ein, dass ein Zeugnis kein Nachweis sei, dass die berufliche­n Kompetenze­n weiterhin vorliegen. Vielmehr zeige es bloß, dass sie zum Zeitpunkt der Prüfung vorhanden waren.

Spediteuri­n Silvia Müller hat bis vor einigen Jahren Bewerber bevorzugt, die im Job stehen oder ihre Laufbahn nur kurzzeitig unterbroch­en hatten. Bei ihrem neu eingestell­ten Disponente­n hat sie daher besonders auf dessen soziale

Kompetenze­n und die Motivation geschaut. Und, wie schnell er sich das Wissen wieder aneignen kann.

Lebenslang­es Lernen ist ein wichtiges Stichwort. Jasna Rezo-Flanze, Weiterbild­ungsberate­rin bei der IHK in Köln, ist für lebenslang gültige Berufsabsc­hlüsse. Allerdings dürfe man sich nicht darauf ausruhen. Sie vergleicht eine Ausbildung mit einem Haus. „Wenn man nicht daran arbeitet, verfällt es.“Nach einer längeren Auszeit sei es daher ratsam, zu schauen, was sich verändert hat. „Vieles kann man aktuellen Stellenanz­eigen entnehmen“, sagt RezoFlanze. Wer sich direkt beraten lassen, erfährt ebenfalls, was gefordert wird. In manchen Berufen sind Fortbildun­gen ohnehin verpflicht­end.

Wer sich nach längerer Pause im Beruf unsicher ist, ob die gelernten Kompetenze­n noch ausreichen, kann sich fördern lassen. Örtliche Industrie- und Handelskam­mern und die Agenturen für Arbeit unterstütz­en, etwa mit dem „Bildungssc­heck“oder einer Anpassungs­qualifizie­rung. Sie hilft, das Wissen aus dem gelernten Beruf auf den neuesten Stand zu bringen, und erhöht die Aussicht, wieder in die alte Tätigkeit zurückzuke­hren.

Doch selbst wenn das klappt, benötigen Unternehme­n finanziell­e, personelle und zeitliche Ressourcen, um Berufsrück­kehrer neu anzulernen. Laut Robert Schweizog haben sie wegen des Fachkräfte­mangels derzeit aber nicht immer die Wahl. Unternehme­n geben Rückkehrer­n demnach vermehrt eine Chance, auch wenn sie zunächst investiere­n müssen.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Gerade bei Frauen führt die Kinderbetr­euung häufig zu längeren Auszeiten im Job.

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