Rückkehr in den alten Beruf
Wer lange raus ist aus dem erlernten Job, dem fehlen möglicherweise Kenntnisse. Gilt der Berufsabschluss trotzdem?
BERLIN/KÖLN (dpa) Auf der Suche nach geeignetem Personal verfährt Silvia Müller (Name geändert) mittlerweile flexibel. Das muss die Geschäftsführerin eines Speditions- und Logistikunternehmens auch sein. In ihrer Branche fehlen ausgebildete Mitarbeiter. „Ein Disponent ist uns aus privaten Gründen weggebrochen und wir brauchten
„Wenn Arbeitnehmer mehr als vier Jahre nicht mehr im erlernten Beruf tätig gewesen sind, gehen wir von einer Berufsentfremdung mit gesunkenem Kenntnisstand aus.“Vanessa Thalhammer Bundesagentur für Arbeit
ziemlich zeitnah Unterstützung“, sagt sie. Deshalb stellte sie jemanden ein, der als sogenannter Berufsrückkehrer gilt. Das sind Menschen, die einen Beruf gelernt, aber viele Jahre nicht darin gearbeitet haben.
Die Gründe dafür können vielfältig sein. Die häufigsten sind Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Arbeitslosigkeit. Und sie betreffen meistens Frauen. Silvia Müller wusste, dass ihr neuer Disponent wegen der Ausbildung eine Idee davon hatte, worum es in einer Spedition geht. „Darum haben wir die Option genutzt, jemanden neu aufzubauen, der einen Grundstock an Wissen hat.“
Doch die Realität sieht zum Teil anders aus. „Wenn Arbeitnehmer mehr als vier Jahre nicht mehr im erlernten Beruf tätig gewesen sind, gehen wir von einer Berufsentfremdung mit gesunkenem Kenntnisstand aus“, sagt Vanessa Thalhammer von der Bundesagentur für Arbeit. Je nach Einzelfall mache das eine Vermittlung unwahrscheinlicher. Das deckt sich mit der Erfahrung von Alexander Bredereck. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht ist der Meinung, dass jemand bei einer längeren Pause praktisch von vorne anfangen muss. Viele Arbeitgeber würden sogar ausgebildete Fachkräfte nur als Ungelernte einstellen, wenn die Berufspraxis zu lange her ist. Den Zeitraum legen sie selbst fest.
Trotzdem gilt: „Einen Verfall von Berufs- und Studienabschlüssen gibt es in Deutschland nicht. Sie sind ein Leben lang gültig“, sagt Robert Schweizog, der bis vor Kurzem die Position als Geschäftsführer Bildung und Fachkräfte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Nordrhein-Westfalen innehatte. „Wenn die Gültigkeit befristet wäre, müsste das im Berufsbildungsgesetz geregelt sein. Ist es aber nicht.“
Gleichzeitig schränkt er ein, dass ein Zeugnis kein Nachweis sei, dass die beruflichen Kompetenzen weiterhin vorliegen. Vielmehr zeige es bloß, dass sie zum Zeitpunkt der Prüfung vorhanden waren.
Spediteurin Silvia Müller hat bis vor einigen Jahren Bewerber bevorzugt, die im Job stehen oder ihre Laufbahn nur kurzzeitig unterbrochen hatten. Bei ihrem neu eingestellten Disponenten hat sie daher besonders auf dessen soziale
Kompetenzen und die Motivation geschaut. Und, wie schnell er sich das Wissen wieder aneignen kann.
Lebenslanges Lernen ist ein wichtiges Stichwort. Jasna Rezo-Flanze, Weiterbildungsberaterin bei der IHK in Köln, ist für lebenslang gültige Berufsabschlüsse. Allerdings dürfe man sich nicht darauf ausruhen. Sie vergleicht eine Ausbildung mit einem Haus. „Wenn man nicht daran arbeitet, verfällt es.“Nach einer längeren Auszeit sei es daher ratsam, zu schauen, was sich verändert hat. „Vieles kann man aktuellen Stellenanzeigen entnehmen“, sagt RezoFlanze. Wer sich direkt beraten lassen, erfährt ebenfalls, was gefordert wird. In manchen Berufen sind Fortbildungen ohnehin verpflichtend.
Wer sich nach längerer Pause im Beruf unsicher ist, ob die gelernten Kompetenzen noch ausreichen, kann sich fördern lassen. Örtliche Industrie- und Handelskammern und die Agenturen für Arbeit unterstützen, etwa mit dem „Bildungsscheck“oder einer Anpassungsqualifizierung. Sie hilft, das Wissen aus dem gelernten Beruf auf den neuesten Stand zu bringen, und erhöht die Aussicht, wieder in die alte Tätigkeit zurückzukehren.
Doch selbst wenn das klappt, benötigen Unternehmen finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen, um Berufsrückkehrer neu anzulernen. Laut Robert Schweizog haben sie wegen des Fachkräftemangels derzeit aber nicht immer die Wahl. Unternehmen geben Rückkehrern demnach vermehrt eine Chance, auch wenn sie zunächst investieren müssen.