Griechische Wanderlust
Andros mag noch nicht sonderlich bekannt sein. Doch auf der griechischen Kykladen-Insel kann man nicht nur bestens Strandurlaub machen. Man kann die abwechslungsreiche Landschaft auch auf mehr als 200 Kilometern Wanderwegen erkunden.
ANDROS Plötzlich läuft ein Wanderer mehr mit. Auf zwei Beinen ist er allerdings nicht unterwegs, dafür auf vier Pfoten, mit sichtbarem Enthusiasmus und seitlich heraushängender Zunge. Letzteres ist wahrscheinlich nicht nur so, weil es heute ziemlich warm ist auf Andros, sondern auch weil der kleine Kerl etwas wurstig und prall ist. Kurzerhand wird er daher Nikos Sausage getauft, Nikos Wurst, während er ahnungslos darüber die Wanderung zu den Überresten von Paleopolis begleitet, der antiken, ersten Hauptstadt der griechischen Insel. Es ist einer von rund 20 Wanderwegen, die auf Andros von der eifrigen Freiwilligen-Initiative „Andros Routes“teilweise auf alten Eselspfaden angelegt wurden.
Rund 200 Kilometer umfasst dieses als „Leading Quality Trails – Best of Europe“zertifizierte und bestens ausgeschilderte Wegenetz inzwischen, das die landschaftlich abwechslungsreiche Insel überzieht und sie zu einem Wanderparadies in der Ägäis macht. Es führt beispielsweise zum Strand mit den Überresten der Antike, zu alten Steinbrücken, einer Klosterburg und zahlreichen anderen historischen Spuren, auch aus der Zeit, als die Venezianer auf Andros waren. Und es geht durch die Berge, zu Wasserfällen, landwirtschaftlich geprägten Gegenden und zerklüfteten Steilküsten. Das Besondere:
Jeder Weg hat mindestens einen Paten oder eine Patin, sogenannte Route-Angels, und ein paar von ihnen werden auf den Wanderungen auch dabei sein.
Andros ist zwar die zweitgrößte Insel der Kykladen und man erreicht den Fähranleger von Gavrios in ein, zwei Stunden mit der Fähre vom Hafen Rafina auf dem Festland. Trotzdem ist sie bis heute eher unbekannt, ein Geheimtipp, geblieben. Einen Massentourismus wie auf anderen Kykladeninseln wie Mykonos oder Santorini gibt es an den vielen, schönen Stränden nicht. Auf den Wanderungen muss man die Insellandschaft daher luxuriöser Weise meist nur mit wenigen anderen Urlaubern teilen – oder ganz unerwartet mit einem Hund.
Auch auf dem Weg zum Strand von Paleopolis sind schließlich keine anderen Menschen unterwegs. Es meckern lediglich ein paar Ziegen. Ein Hahn kräht unermüdlich, während man über die Bucht und die alten Landwirtschaftsterrassen bis auf das Tiefblau der Ägäis blickt. Vorneweg läuft dabei Route-Angel Tzeni Kollia, die ihren Weg vorstellt und erzählt: Dass sie der Liebe wegen auf Andros gelandet ist. Und dass sie als studierte Luftfahrt-Ingenieurin jetzt als Lehrerin und Hochzeitsplanerin arbeitet – und nebenbei eben wanderengagiert ist. An einer kleinen Quelle mit kaltem Bergwasser bleibt sie kurz stehen – Zeit für eine Erfrischung mit klarem Bergwasser. Auch Nikos Sausage plantscht kurz und ist bereit für die letzten Meter bis zum menschenleeren Strand.
„Paleopoli war die erste Stadt und einstige Hauptstadt der Insel“, erklärt Tzeni, als das kleine Grüppchen am Strand ankommt. „Gegründet wurde sie im 6. oder 7. Jahrhundert vor Christus.“Durch ein starkes Beben versank sie im 4. Jahrhundert nach Christus im Meer und liegt seitdem nicht weit vor der Küste. Zu sehen ist davon dementsprechend kaum etwas, höchstens ein paar Steine, die etwas aus dem Wasser ragen. Man müsste schnorcheln oder tauchen, um die Überreste tiefer zu erforschen. Nikos
Sausage ist das ohnehin egal. Er lässt sich kurz ins Wasser plumpsen, bevor er sich auch für den Rückweg anschließt und sich über Stufen und schmale Pfade auf der anderen Seite der Bucht wieder zum Ausgangspunkt hocharbeitet, bevor er so schnell verschwindet, wie er aufgetaucht war.
Für die nächste Wandertour, diesmal im Norden, treffen wir Yannis Tridimas. Der drahtige, sportliche Grieche lebte zwar seit den frühen 70ern in England, wo er auch seine britische Frau traf, mit der er über 50 Jahre verheiratet ist. Vor zwei Jahren aber zog es ihn wieder zurück auf die Heimatinsel. „Als ich Kind war, gab es hier viele Schafe und Weizenund Haferfelder“, erinnert sich der 77-Jährige, als wir auf seinem „Wanderweg 14“los laufen. Die felsige Landschaft ist dabei zum großen Teil mit Gräsern und Büschen grün zugewachsen. Rosafarbene Blumen setzen Farbtupfer. Im Hintergrund baut sich das Profits-Elias-Gebirge auf. Das Ziel aber liegt unten: das Tal Ano Gavrio, das so dicht bewachsen ist, dass die Bäume für einen angenehmen Schatten an diesem fast vergessenen Ort sorgen. Schließlich lebt heute nur eine Handvoll Menschen in der Gegend. Früher war das anders. Damals waren mehr als 20 Wassermühlen in Betrieb, von denen mittlerweile nur noch Ruinen stehen. Trotz seines Alters ist Yannis flink und wendig und klettert fast wie ein junger Mann über die Gebäudereste, über deren Vergangenheit er nicht nur genauso viel erzählen kann wie über das damalige Leben auf der Insel. Immer wieder findet der frühere Ingenieur auch Details zu den Mühlen, über die er enthusiastisch berichtet.
Anders als im menschenleeren Mühlental lernt man bei diesen Wandererkundungen am anderen Ende der Insel, im Südosten, eine andere Seite kennen: Inselalltag. Dort liegt nicht nur die Hauptstadt Chora mit einer gemütlichen Altstadt mit den typisch weiß getünchten Würfelhäuschen auf einer Landzunge. Sie ist auch ein guter Ausgangspunkt beispielsweise für Wanderungen zum Hafenort Ormos Korthiou oder zum Dorf Menites mit seinen zahlreichen Quellen und Brunnen, das an einem Berghang gebaut wurde.
Danach führt die Wanderung mit dem Holländer entlang von Feldern und Gärten. Bambus klappert in der leichten Brise. Feigen wachsen genauso wie Orangen und Kapern. Knorrige Olivenhaine wechseln sich ab mit Zypressen und Bäumen voller Zitronen, die einst ein Exportschlager der Insel waren.