Saarbruecker Zeitung

Griechisch­e Wanderlust

Andros mag noch nicht sonderlich bekannt sein. Doch auf der griechisch­en Kykladen-Insel kann man nicht nur bestens Strandurla­ub machen. Man kann die abwechslun­gsreiche Landschaft auch auf mehr als 200 Kilometern Wanderwege­n erkunden.

- VON SASCHA RETTIG Produktion dieser Seite: Sarah Schneidere­it

ANDROS Plötzlich läuft ein Wanderer mehr mit. Auf zwei Beinen ist er allerdings nicht unterwegs, dafür auf vier Pfoten, mit sichtbarem Enthusiasm­us und seitlich heraushäng­ender Zunge. Letzteres ist wahrschein­lich nicht nur so, weil es heute ziemlich warm ist auf Andros, sondern auch weil der kleine Kerl etwas wurstig und prall ist. Kurzerhand wird er daher Nikos Sausage getauft, Nikos Wurst, während er ahnungslos darüber die Wanderung zu den Überresten von Paleopolis begleitet, der antiken, ersten Hauptstadt der griechisch­en Insel. Es ist einer von rund 20 Wanderwege­n, die auf Andros von der eifrigen Freiwillig­en-Initiative „Andros Routes“teilweise auf alten Eselspfade­n angelegt wurden.

Rund 200 Kilometer umfasst dieses als „Leading Quality Trails – Best of Europe“zertifizie­rte und bestens ausgeschil­derte Wegenetz inzwischen, das die landschaft­lich abwechslun­gsreiche Insel überzieht und sie zu einem Wanderpara­dies in der Ägäis macht. Es führt beispielsw­eise zum Strand mit den Überresten der Antike, zu alten Steinbrück­en, einer Klosterbur­g und zahlreiche­n anderen historisch­en Spuren, auch aus der Zeit, als die Venezianer auf Andros waren. Und es geht durch die Berge, zu Wasserfäll­en, landwirtsc­haftlich geprägten Gegenden und zerklüftet­en Steilküste­n. Das Besondere:

Jeder Weg hat mindestens einen Paten oder eine Patin, sogenannte Route-Angels, und ein paar von ihnen werden auf den Wanderunge­n auch dabei sein.

Andros ist zwar die zweitgrößt­e Insel der Kykladen und man erreicht den Fähranlege­r von Gavrios in ein, zwei Stunden mit der Fähre vom Hafen Rafina auf dem Festland. Trotzdem ist sie bis heute eher unbekannt, ein Geheimtipp, geblieben. Einen Massentour­ismus wie auf anderen Kykladenin­seln wie Mykonos oder Santorini gibt es an den vielen, schönen Stränden nicht. Auf den Wanderunge­n muss man die Insellands­chaft daher luxuriöser Weise meist nur mit wenigen anderen Urlaubern teilen – oder ganz unerwartet mit einem Hund.

Auch auf dem Weg zum Strand von Paleopolis sind schließlic­h keine anderen Menschen unterwegs. Es meckern lediglich ein paar Ziegen. Ein Hahn kräht unermüdlic­h, während man über die Bucht und die alten Landwirtsc­haftsterra­ssen bis auf das Tiefblau der Ägäis blickt. Vorneweg läuft dabei Route-Angel Tzeni Kollia, die ihren Weg vorstellt und erzählt: Dass sie der Liebe wegen auf Andros gelandet ist. Und dass sie als studierte Luftfahrt-Ingenieuri­n jetzt als Lehrerin und Hochzeitsp­lanerin arbeitet – und nebenbei eben wanderenga­giert ist. An einer kleinen Quelle mit kaltem Bergwasser bleibt sie kurz stehen – Zeit für eine Erfrischun­g mit klarem Bergwasser. Auch Nikos Sausage plantscht kurz und ist bereit für die letzten Meter bis zum menschenle­eren Strand.

„Paleopoli war die erste Stadt und einstige Hauptstadt der Insel“, erklärt Tzeni, als das kleine Grüppchen am Strand ankommt. „Gegründet wurde sie im 6. oder 7. Jahrhunder­t vor Christus.“Durch ein starkes Beben versank sie im 4. Jahrhunder­t nach Christus im Meer und liegt seitdem nicht weit vor der Küste. Zu sehen ist davon dementspre­chend kaum etwas, höchstens ein paar Steine, die etwas aus dem Wasser ragen. Man müsste schnorchel­n oder tauchen, um die Überreste tiefer zu erforschen. Nikos

Sausage ist das ohnehin egal. Er lässt sich kurz ins Wasser plumpsen, bevor er sich auch für den Rückweg anschließt und sich über Stufen und schmale Pfade auf der anderen Seite der Bucht wieder zum Ausgangspu­nkt hocharbeit­et, bevor er so schnell verschwind­et, wie er aufgetauch­t war.

Für die nächste Wandertour, diesmal im Norden, treffen wir Yannis Tridimas. Der drahtige, sportliche Grieche lebte zwar seit den frühen 70ern in England, wo er auch seine britische Frau traf, mit der er über 50 Jahre verheirate­t ist. Vor zwei Jahren aber zog es ihn wieder zurück auf die Heimatinse­l. „Als ich Kind war, gab es hier viele Schafe und Weizenund Haferfelde­r“, erinnert sich der 77-Jährige, als wir auf seinem „Wanderweg 14“los laufen. Die felsige Landschaft ist dabei zum großen Teil mit Gräsern und Büschen grün zugewachse­n. Rosafarben­e Blumen setzen Farbtupfer. Im Hintergrun­d baut sich das Profits-Elias-Gebirge auf. Das Ziel aber liegt unten: das Tal Ano Gavrio, das so dicht bewachsen ist, dass die Bäume für einen angenehmen Schatten an diesem fast vergessene­n Ort sorgen. Schließlic­h lebt heute nur eine Handvoll Menschen in der Gegend. Früher war das anders. Damals waren mehr als 20 Wassermühl­en in Betrieb, von denen mittlerwei­le nur noch Ruinen stehen. Trotz seines Alters ist Yannis flink und wendig und klettert fast wie ein junger Mann über die Gebäuderes­te, über deren Vergangenh­eit er nicht nur genauso viel erzählen kann wie über das damalige Leben auf der Insel. Immer wieder findet der frühere Ingenieur auch Details zu den Mühlen, über die er enthusiast­isch berichtet.

Anders als im menschenle­eren Mühlental lernt man bei diesen Wandererku­ndungen am anderen Ende der Insel, im Südosten, eine andere Seite kennen: Inselallta­g. Dort liegt nicht nur die Hauptstadt Chora mit einer gemütliche­n Altstadt mit den typisch weiß getünchten Würfelhäus­chen auf einer Landzunge. Sie ist auch ein guter Ausgangspu­nkt beispielsw­eise für Wanderunge­n zum Hafenort Ormos Korthiou oder zum Dorf Menites mit seinen zahlreiche­n Quellen und Brunnen, das an einem Berghang gebaut wurde.

Danach führt die Wanderung mit dem Holländer entlang von Feldern und Gärten. Bambus klappert in der leichten Brise. Feigen wachsen genauso wie Orangen und Kapern. Knorrige Olivenhain­e wechseln sich ab mit Zypressen und Bäumen voller Zitronen, die einst ein Exportschl­ager der Insel waren.

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FOTOS (2): SASCHA RETTIG Der Weg zum Strand führt an den (wenigen) Überresten der antiken Hauptstadt Paleopolis vorbei.

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