Ein schwerer Schlag für Emmanuel Macron
Das Präsidentenlager hat bei den französischen Parlamentswahlen die absolute Mehrheit verloren. Macron muss für seine Vorhaben nun bei anderen Parteien nach Unterstützung suchen.
PARIS „Wir haben schon bessere Wahlabende erlebt“, sagte Olivia Grégoire mit finsterer Miene um kurz nach 20 Uhr. Die Regierungssprecherin musste als Erste im Fernsehen das politische Erdbeben kommentieren, das sich am Sonntagabend für Emmanuel Macron ereignete. Dass der Präsident Federn lassen müsste, war bereits nach dem schlechten Ergebnis seines Mitte-Bündnisses vergangenen Sonntag klar. Dass er aber in der zweiten Runde der Parlamentswahlen so stark einbrechen würde, hatte kaum jemand erwartet. Sein Parteienbündnis Ensemble verlor mehr als 120 Sitze und stellt laut dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos nur noch 230 Abgeordnete. Die absolute Mehrheit, die bei 289 Sitzen liegt, verfehlt Macrons Lager damit deutlich.
Der zweitgrößte Block in der Nationalversammlung wird das Linksbündnis Nupes, das mit mindestens 149 Sitzen vertreten sein wird. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon hatte die Allianz Anfang Mai aus Kommunisten, Sozialisten, Grünen und seiner La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich LFI) zusammen gezimmert. Der neue Block erlaubte es sowohl Grünen als auch Sozialisten, mit jeweils mehr als 20 Abgeordneten ins neue Parlament einzuziehen. LFI kam auf 83 Sitze, was für die Partei eher eine Enttäuschung war. Vor allem, weil die Linkspartei damit hinter dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) liegt, der auf 89 Sitze kommt und damit sein historisch bestes Ergebnis erzielt.
Bisher war RN nur mit sechs Abgeordneten vertreten, darunter Marine
Le Pen, die in ihrem nordfranzösischen Wahlkreis Henin-Beaumont mit 61 Prozent wiedergewählt wurde. „Wir werden eine entschiedene Opposition bilden“, kündigte Le Pen euphorisch an. Macrons Partei Renaissance hatte sich geweigert, vor der Stichwahl eine Empfehlung gegen den rechtspopulistischen RN abzugeben und sich lediglich dafür ausgesprochen, von „Fall zu Fall“zu entscheiden. Nun unterlag Gesundheitsministerin Brigitte Bourguignon in ihrem Wahlkreis einer Kandidatin des Rassemblement National. Der
Präsident hatte vor der Wahl verfügt, dass Minister, die es nicht in die Nationalversammlung schaffen, aus der Regierung ausscheiden müssen.
Durch das Votum verliert Macron deshalb nicht nur Kabinettsmitglieder, sondern auch einige seiner engsten Vertrauten. Richard Ferrand, der bisher Präsident der Nationalversammlung war, wurde in seinem Wahlkreis in der Bretagne von einer Kandidatin des Linksbündnisses entthront. Dasselbe passierte auch Christophe Castaner, dem Fraktionschef in der Nationalversammlung, der einem Nupes-Kandidaten unterlag.
Mit fast 60 Sitzen, die zur absoluten Mehrheit fehlen, muss Macrons Parteienbündnis Ensemble vor allem mit den konservativen Républicains (LR) verhandeln, wenn es seine Projekte wie beispielsweise die Rentenreform durchbringen will. Spekulationen um eine Koalition nach deutschem Vorbild erteilte LR-Chef Christian Jacob bereits eine Absage. „Wir sind in der Opposition und wir bleiben in der Opposition“, kündigte er an. Ob die Republikaner, die 76 Sitze gewannen, tatsächlich mit dem Präsidenten zusammen arbeiten, wird sich schon im Juli zeigen, wenn erste Texte zur Kaufkraft und zum Klimaschutz in die Nationalversammlung kommen sollen. In jedem Fall dürfte der Präsident nach den Wahlen einen konservativen Akzent setzen. Wahrscheinlich wird er auch erneut die Regierung umbilden, die derzeit von der dem linken MacronLager angehörenden Élisabeth Borne geführt wird. Borne gewann zwar ihren Parlamentssitz im Calvados, dürfte aber angesichts des Wahldebakels nicht im Amt bleiben.
Bereits 1988 hatte Präsident François Mitterrand die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verfehlt. Premierminister Michel Rocard musste damals mit nur 275 Abgeordneten regieren und Mehrheiten suchen. Rocard nutzte damals häufiger einen Verfassungsparagrafen, der es ihm erlaubte, Gesetze ohne Parlamentsabstimmung durchzubringen. Heute ist dieser Kniff nur noch eingeschränkt möglich. Die Wahlbeteiligung war mit 46 Prozent noch niedriger als vergangenen Sonntag. Unter den 18- bis 24-Jährigen blieben über 70 Prozent zu Hause.