„Ihr gehört mitten in die EU“
Die 27 EU-Außenminister kamen am Montag in Luxemburg zusammen, um über den Beitrittskandidaten-Status der Ukraine zu beraten. Wenige Tage vor dem großen EU- Gipfel in Brüssel herrscht jedoch weitgehend Einigkeit. Die Entscheidung dürfte Ende der Woche fallen.
LUXEMBURG Sie mag erst ein halbes Jahr im Amt sein. Doch als Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Montagmorgen im Luxemburger Frühlingsgrau auf dem Kirchberg eintraf und vor dem Eingang des Convention Centers auf ihren Luxemburger Amtskollegen Jean Asselborn traf, begrüßten sie sich wie alte und vor allem gute Bekannte.
Immerhin, seit Russland in die Ukraine einmarschiert ist, wirkt es fast so, als gebe es eine Dauer-Krisen-Standleitung zwischen den 27 EU-Außenministern, so häufig sind sie angesichts des Kriegs und dessen Folgen in Kontakt. Am Montag stand also wieder der ChefdiplomatenAusflug ins Großherzogtum an und ganz oben auf der Agenda die Annäherung der Ukraine und der Republik Moldau an die Gemeinschaft.
Die Entscheidung über den EUBeitrittskandidatenstatus dürfte auf dem Gipfel in Brüssel Ende der Woche fallen. Traditionell versuchen die Außenminister, kurz davor die Geschlossenheit der Staats- und Regierungschefs vorzubereiten. Dieses Mal schien das EU-untypisch nur noch Formsache. „Wir stehen vor einem historischen Moment“, sagte die Grünen-Politikerin Baerbock. Nachdem sich vergangene Woche Deutschland, Frankreich und Italien zum Kreis der Befürworter gesellten und die EU-Kommission ihre Empfehlung abgab, der Ukraine eine europäische Perspektive zu geben, schienen auch die verbliebenen Skeptiker der Gemeinschaft ihre Zweifel aufgegeben zu haben. Zumindest wurden diese nur noch leise geäußert, wie etwa vom Niederländer Wopke Hoekstra. Der kündigte die Zustimmung seiner Regierung an, verwies aber auch darauf, dass die Ukraine unter anderem bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie „noch Hausaufgaben zu machen“habe. Würden die Staatenlenker am Donnerstag bei diesem Thema tatsächlich ohne Streit und nächtliche Dramen auskommen?
„Wir sind immer für Überraschungen gut“, sagte Asselborn. Aber hier könne er sich nicht vorstellen, dass „ein Land ausschert“. Man habe laut Baerbock die Verantwortung, der Ukraine mit Blick auf ihre Perspektive deutlich zu machen: „Ihr gehört mitten in die EU und damit seid ihr ein Kandidat für unsere europäische Familie.“Dies sei „logischerweise ein schwieriger Prozess“, aber es gelte jetzt, „nicht nach Schema F zu verfahren“.
Einige ihrer Kollegen betonten jedoch, man stehe nicht nur bei der Ukraine oder Moldau in der Verantwortung, sondern auch gegenüber den sechs Westbalkanstaaten, also Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. Man könne sich „keinen geostrategischen Tunnelblick leisten und auf einem Auge blind sein“, sagte der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg. Die Warnung kam von mehreren Seiten. Asselborn zufolge dürfe man nicht den Eindruck vermitteln, für die Ukraine und Moldau etwas zu tun und den Westbalkan links liegenzulassen. „Das wäre fatal.“Tatsächlich ist der Enthusiasmus in jenen Ländern an vielen Stellen Ernüchterung gewichen nach Jahren im europäischen Wartezimmer. Kanzler Olaf Scholz warb gerade erst wieder eindringlich für EU-Beitrittsverhandlungen für Nordmazedonien und Albanien.
Daneben berieten die Außenminister gestern auch über die Krise am Horn von Afrika. Die Menschen in Somalia, Äthiopien oder Eritrea trifft es gerade doppelt hart. Denn zu Russlands Krieg in der Ukraine kommt die schlimmste Dürre seit
„Man kann sich keinen geostrategischen Tunnelblick leisten und auf einem Auge blind sein.“Alexander Schallenberg Außenminister von Österreich
40 Jahren, unter der die Menschen leiden. Beides zusammen hat verheerende Folgen für die Bevölkerungen. Der Krieg mag Tausende Kilometer entfernt sein, doch er treibt die Preise für Getreide und Treibstoff auf ein noch nie dagewesenes Niveau. Ausbleibende Getreidelieferungen erschweren zudem die Versorgungslage und Hilfsprogramme. Die Blockade von Getreideexporten sei ein „echtes Kriegsverbrechen“, kritisierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Es sei unvorstellbar, dass Millionen Tonnen Weizen in der Ukraine noch immer blockiert seien, während im Rest der Welt Menschen Hunger litten, sagte der Spanier.