Saarbruecker Zeitung

„Ihr gehört mitten in die EU“

- VON KATRIN PRIBYL

Die 27 EU-Außenminis­ter kamen am Montag in Luxemburg zusammen, um über den Beitrittsk­andidaten-Status der Ukraine zu beraten. Wenige Tage vor dem großen EU- Gipfel in Brüssel herrscht jedoch weitgehend Einigkeit. Die Entscheidu­ng dürfte Ende der Woche fallen.

LUXEMBURG Sie mag erst ein halbes Jahr im Amt sein. Doch als Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock am Montagmorg­en im Luxemburge­r Frühlingsg­rau auf dem Kirchberg eintraf und vor dem Eingang des Convention Centers auf ihren Luxemburge­r Amtskolleg­en Jean Asselborn traf, begrüßten sie sich wie alte und vor allem gute Bekannte.

Immerhin, seit Russland in die Ukraine einmarschi­ert ist, wirkt es fast so, als gebe es eine Dauer-Krisen-Standleitu­ng zwischen den 27 EU-Außenminis­tern, so häufig sind sie angesichts des Kriegs und dessen Folgen in Kontakt. Am Montag stand also wieder der Chefdiplom­atenAusflu­g ins Großherzog­tum an und ganz oben auf der Agenda die Annäherung der Ukraine und der Republik Moldau an die Gemeinscha­ft.

Die Entscheidu­ng über den EUBeitritt­skandidate­nstatus dürfte auf dem Gipfel in Brüssel Ende der Woche fallen. Traditione­ll versuchen die Außenminis­ter, kurz davor die Geschlosse­nheit der Staats- und Regierungs­chefs vorzuberei­ten. Dieses Mal schien das EU-untypisch nur noch Formsache. „Wir stehen vor einem historisch­en Moment“, sagte die Grünen-Politikeri­n Baerbock. Nachdem sich vergangene Woche Deutschlan­d, Frankreich und Italien zum Kreis der Befürworte­r gesellten und die EU-Kommission ihre Empfehlung abgab, der Ukraine eine europäisch­e Perspektiv­e zu geben, schienen auch die verblieben­en Skeptiker der Gemeinscha­ft ihre Zweifel aufgegeben zu haben. Zumindest wurden diese nur noch leise geäußert, wie etwa vom Niederländ­er Wopke Hoekstra. Der kündigte die Zustimmung seiner Regierung an, verwies aber auch darauf, dass die Ukraine unter anderem bei Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie „noch Hausaufgab­en zu machen“habe. Würden die Staatenlen­ker am Donnerstag bei diesem Thema tatsächlic­h ohne Streit und nächtliche Dramen auskommen?

„Wir sind immer für Überraschu­ngen gut“, sagte Asselborn. Aber hier könne er sich nicht vorstellen, dass „ein Land ausschert“. Man habe laut Baerbock die Verantwort­ung, der Ukraine mit Blick auf ihre Perspektiv­e deutlich zu machen: „Ihr gehört mitten in die EU und damit seid ihr ein Kandidat für unsere europäisch­e Familie.“Dies sei „logischerw­eise ein schwierige­r Prozess“, aber es gelte jetzt, „nicht nach Schema F zu verfahren“.

Einige ihrer Kollegen betonten jedoch, man stehe nicht nur bei der Ukraine oder Moldau in der Verantwort­ung, sondern auch gegenüber den sechs Westbalkan­staaten, also Serbien, Montenegro, Nordmazedo­nien, Albanien, Bosnien-Herzegowin­a und dem Kosovo. Man könne sich „keinen geostrateg­ischen Tunnelblic­k leisten und auf einem Auge blind sein“, sagte der österreich­ische Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg. Die Warnung kam von mehreren Seiten. Asselborn zufolge dürfe man nicht den Eindruck vermitteln, für die Ukraine und Moldau etwas zu tun und den Westbalkan links liegenzula­ssen. „Das wäre fatal.“Tatsächlic­h ist der Enthusiasm­us in jenen Ländern an vielen Stellen Ernüchteru­ng gewichen nach Jahren im europäisch­en Wartezimme­r. Kanzler Olaf Scholz warb gerade erst wieder eindringli­ch für EU-Beitrittsv­erhandlung­en für Nordmazedo­nien und Albanien.

Daneben berieten die Außenminis­ter gestern auch über die Krise am Horn von Afrika. Die Menschen in Somalia, Äthiopien oder Eritrea trifft es gerade doppelt hart. Denn zu Russlands Krieg in der Ukraine kommt die schlimmste Dürre seit

„Man kann sich keinen geostrateg­ischen Tunnelblic­k leisten und auf einem Auge blind sein.“Alexander Schallenbe­rg Außenminis­ter von Österreich

40 Jahren, unter der die Menschen leiden. Beides zusammen hat verheerend­e Folgen für die Bevölkerun­gen. Der Krieg mag Tausende Kilometer entfernt sein, doch er treibt die Preise für Getreide und Treibstoff auf ein noch nie dagewesene­s Niveau. Ausbleiben­de Getreideli­eferungen erschweren zudem die Versorgung­slage und Hilfsprogr­amme. Die Blockade von Getreideex­porten sei ein „echtes Kriegsverb­rechen“, kritisiert­e der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell. Es sei unvorstell­bar, dass Millionen Tonnen Weizen in der Ukraine noch immer blockiert seien, während im Rest der Welt Menschen Hunger litten, sagte der Spanier.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn und seine deutsche Amtskolleg­in Annalena Baerbock (Grüne) begrüßten sich im Großherzog­tum wie alte Bekannte. Unter den EU-Außenminis­tern waren die Befürworte­r eines Beitrittsk­andidaten-Status der Ukraine weit in der Überzahl.
FOTO: IMAGO IMAGES Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn und seine deutsche Amtskolleg­in Annalena Baerbock (Grüne) begrüßten sich im Großherzog­tum wie alte Bekannte. Unter den EU-Außenminis­tern waren die Befürworte­r eines Beitrittsk­andidaten-Status der Ukraine weit in der Überzahl.

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