Macron muss der Wahrheit endlich ins Gesicht sehen
Parlament? Welches Parlament? Fünf Jahre lang wurde die französische Nationalversammlung im Bewusstsein ihrer Landsleute kaum wahrgenommen. Emmanuel Macron hatte sie zu einer Handlangerin seiner Politik degradiert. Kaum Debatten, kein Widerstand – alles lief gut für den Präsidenten. Bis er am Sonntag seine absolute Mehrheit verlor. Und zwar so deutlich, dass statt des Elysée-Palasts nun das Palais Bourbon, der Sitz der Volksvertretung, in den Mittelpunkt des politischen Lebens rückt.
Frankreich hat also künftig ein Parlament, das mehr als nur der verlängerte Arm des Staatschefs ist. Das Wahlergebnis vom Sonntag wertet die Nationalversammlung eindeutig auf. Es legt aber auch die Spaltung offen, die Frankreich schon seit Jahren durchzieht. Mit drei unversöhnlich nebeneinander stehenden Blöcken in der Mitte, am rechten und linken Rand, die nun in der Assemblée Nationale zum ersten Mal klar zu erkennen sind.
Schon werden erste Vergleiche zur Weimarer Republik gezogen, in der Extremisten die politische Mitte zerquetschten – mit dem bekannten dramatischen Ende.
Die Rechtspopulistin Marine Le
Pen wittert acht Wochen nach ihrer Niederlage in der Stichwahl um das Präsidentenamt bereits Morgenluft. Sie zieht mit 89 Abgeordneten und der größten Oppositionsfraktion in die Assemblée Nationale ein.
Als Fraktionschefin wird sie das Palais Bourbon nun zu ihrer Bühne machen, um den Boden für einen Sieg 2027 zu bereiten. Ein Gesetz gegen den Islamismus ist bereits in Vorbereitung. Ihre Chancen, doch noch Präsidentin zu werden, hat sie mit ihrem Erfolg am Sonntag eindeutig erhöht.
Macron selbst hat den Boden dafür bereitet, indem er vor der Stichwahl keine Empfehlung gegen den Rassemblement National ausgab. Die „republikanische Front“, die in den vergangenen Jahren mehr schlecht als recht gegen die LePen-Partei gehalten hatte, ist damit endgültig zusammen gebrochen. Der Präsident war bei seiner Wiederwahl im April wohl der letzte, der davon noch profitierte.
Der 44-Jährige, der vor fünf Jahren mit seinem Elan überzeugte, wirkt in der neuen Gemengelage wie gelähmt. Als komme das, was passierte, in seinen ehrgeizigen Plänen einfach nicht vor. Der einstige Jungstar wollte wie Jupiter über dem Geschehen thronen.
Nun muss er sich in Koalitionsverhandlungen die Hände schmutzig machen. Und der Ausgang eines solchen für Frankreich einmaligen Vorhabens ist mehr als ungewiss.
Doch dem Präsidenten bleibt nur das Gespräch mit den politischen Gegnern, um die Blockade des Landes aufzulösen. Seine Idee eines von ihm selbst einberufenen „Rates der Erneuerung“kann er begraben. Frankreich hat für solche Zwecke ein Parlament und genau dort gehören Reformprojekte auch hin – egal, wie radikal die Positionen der Abgeordneten auch sein mögen. Macron täte gut daran, der politischen Realität des Landes endlich ins Gesicht zu schauen, statt sie hinter immer neuen politischen Gremien zu verstecken. Seine Landsleute nehmen ihm eine solche Kosmetik ohnehin nicht mehr ab. Das haben die Parlamentswahlen gezeigt.