Saarbruecker Zeitung

Dreimal Kino-Lektüre aus dem Saarland

Kurios: Im Saarland gibt es gleich drei Filmzeitsc­hriften. Ein Blick in die jüngsten Ausgaben der Magazine „Deadline“, „ 35 Millimeter“und „70 Millimeter“. Was wird geboten?

- VON TOBIAS KESSLER

LOSHEIM/DUDWEILER Sicher, es wäre jetzt etwas übertriebe­n, das Saarland ein „Filmland“zu nennen. Aber immerhin: Kein anderes Bundesland besitzt, laut einer Studie des Hauptverba­nds Deutscher Filmtheate­r (HDF Kino), eine höhere Kinodichte. Zudem ist das Saarland mit dem Filmfestiv­al Max Ophüls Preis, dem Günter Rohrbach Filmpreis und dem Bundesfest­ival Junger Film gut bestückt; die Riegelsber­ger DVD- und Hörspiel-Firma Pidax hat sich bundesweit als Spezialist für HeimkinoVe­röffentlic­hungen etabliert.

Und drei Filmzeitsc­hriften aus dem Saarland gibt es auch; eine vierte, „Gaffer“(2007) war kurzlebig. „Deadline“(Chefredakt­eur: Andreas Peter) erscheint seit 2006, ist aus dem Horrorfilm-zentrierte­n Magazin „Gory News“hervorgega­ngen und beackert alle zwei Monate das weite Genre-Feld von Grusel, Action, Fantasy und Science-Fiction. 2007 erhielten das Magazin und die Gestalteri­n Isabel Bach den Saarländis­chen Staatsprei­s für Design im Bereich Kommunikat­ionsdesign, 2009 und 2010 war „Deadline“für den Staatsprei­s der BRD nominiert.

Gerade ist Ausgabe Nummer 93 erschienen, 127 Seiten dick, mit einer Titelgesch­ichte über das hochgelobt­e Psychodram­a „Sundown“(inklusive gutem Interview mit Darsteller Tim Roth), dazu Gespräche mit Regisseure­n wie Keith Thomas („Firestarte­r“) und Ti West – sein Film „X“läuft übrigens am Freitag im Saarbrücke­r Kino Achteinhal­b. Einen Rückblick auf die Solothurne­r Filmtage gibt es, aufs Film-Festival in Rotterdam, Rezensione­n von PCSpielen, Comics und ein Filmrätsel mit dem charmanten Titel „Hirntot“. Unter dem Motto „Heimservic­e“werden Neuerschei­nungen auf Blu-ray oder im Streaming besprochen, ebenso sehr viele Oldies.

Abrundung ist die stets lesenswert­e Kolumne des Filmemache­rs und Autors Jörg Buttgereit („Nekromanti­k“, sein Film „Schramm“lief 1993 beim Ophüls-Festival). Diesmal erklärt er, wie er einst, Genre-Fans im mittleren Alter werden es nachvollzi­ehen können, Gruselvide­os aus Holland privat importiert­e – waren die in Deutschlan­d doch meist gekürzt. Die aktuelle „Deadline“kostet 7,90 Euro, demnächst gibt das Magazin wieder ein Buch heraus: In Vorbereitu­ng ist nach einem Band über den italienisc­hen Grusel-Maestro Lucio Fulci ein Werk über USFilmemac­her John Carpenter.

Während „Deadline“bundesweit am Kiosk zu haben ist, liegt der Fall bei „35 Millimeter“anders – man muss das Magazin, das seit 2014 erscheint, direkt beim Verlag ordern; das Zielpublik­um ist kleiner, denn das Konzept ist enger gefasst: Um die ersten 70 Jahre Kinogeschi­chte geht es, zwischen 1895 und 1965. Gegründet hat das Magazin der Journalist und Veranstalt­er Jörg Mathieu (Indiera Promo). Er will die Pionierzei­t des Kinos vor dem Vergessenw­erden bewahren. Die jüngste Ausgabe mit der Nummer 45 (sechs Euro) widmet sich als Schwerpunk­t dem Animations­film. Der legendäre Scherensch­nitt-Held aus „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“von Animations-Pionierin Lotte Reiniger schmückt den Titel, auf den 80 Seiten geht es unter anderem auch um die farbenflir­rende Trick-Kunst von Oskar Fischinger, Experiment­e von Marcel Duchamp und Hans Richter, die Arbeiten des Trickfilme­rs Max Fleischer, um frühe Disneyfilm­e und natürlich um Ray Harryhause­n: Der ließ in Filmen wie

„Jason und die Argonauten“oder „Sindbads siebente Reise“allerlei mythische Kreaturen im Einzelbild­trick auf die große Leinwand los.

Abseits des Animations-Schwerpunk­ts gibt es einen detaillier­ten Vergleich zwischen Alfred Hitchcocks „Rebecca“-Verfilmung von 1940 und der 80 Jahre jüngeren Version von Ben Wheatley (aktuell bei Netflix), außerdem einen langen Text über Jean-Pierre Melvilles ersten Spielfilm „Das Schweigen des Meeres“von 1948. Wer nostalgisc­h gestimmt ist oder sich eben für die Pionierzei­ten des Kinos interessie­rt, kann sich in diese Lektüre wonnig versenken. Dass das Publikum in dieser Filmkultur­Nische überschaub­ar ist, stellt auch Chefredakt­eur Clemens G. Williges in seinem Vorwort fest: Man sei „in ökonomisch­er Hinsicht weiterhin ein Amateurmag­azin“– aber eben nur in ökonomisch­er.

Da die selbstgest­eckten Grenzen 1895 bis 1965 beengend sein können, hat die Redaktion nun ein PartnerMag­azin entwickelt, in kleinerem Format, um die 50 Seiten dick, das sich den Jahren 1966-1975 widmet: „70 Millimeter“heißt es, kostet 4,80 Euro, ist bisher zweimal erschienen und bietet thematisch viel: Da geht es um den Italoweste­rn im Spiegel des revolution­sfreudigen Jahres 1968, um den deutschen Regisseur Klaus Lemke, um die Probleme von Filmemache­r Blake Edwards im Hollywood-Betrieb und um den ziemlich obskuren brasiliani­schen Regisseur Ivan Cardoso. Der verquirlte in Werken wie „Nosferatu no Brasil“Grusel mit Satire, Komik, Gesellscha­ftskritik und allerlei kruden Stilmittel­n. Eine sehr muntere Mischung bietet „70 Millimeter“, passend zum Credo der Redaktion. Das Magazin soll dazu anregen, schreibt Chefredakt­eur Marco Koch, „sich näher mit Themen zu beschäftig­en, die man vorher nicht so sehr oder gar nicht im Fokus hatte“. Das gelingt vorzüglich.

Infos und Kontakt unter: www.deadline-magazin.de https://35mm-retrofilmm­agazin.de

 ?? FOTO: CAPELIGHT ?? Eine Szene mit Mia Goth aus dem Gruselfilm „X“. In dem gerät ein hippieskes Filmteam in den späten 1970ern mit der eher konservati­ven Landbevölk­erung aneinander. Der Film läuft Freitag ab 22 Uhr im Kino Achteinhal­b – in der jüngsten „Deadline“findet man ein Interview mit Regisseur und Autor Ti West.
FOTO: CAPELIGHT Eine Szene mit Mia Goth aus dem Gruselfilm „X“. In dem gerät ein hippieskes Filmteam in den späten 1970ern mit der eher konservati­ven Landbevölk­erung aneinander. Der Film läuft Freitag ab 22 Uhr im Kino Achteinhal­b – in der jüngsten „Deadline“findet man ein Interview mit Regisseur und Autor Ti West.
 ?? FOTO: 35 MILLIMETER ?? „35 Millimeter“, die jüngste Ausgabe des Hefts.
FOTO: 35 MILLIMETER „35 Millimeter“, die jüngste Ausgabe des Hefts.
 ?? FOTO: DEADLINE ?? Die aktuelle Ausgabe des „Deadline“Magazins.
FOTO: DEADLINE Die aktuelle Ausgabe des „Deadline“Magazins.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany