Saarbruecker Zeitung

Sie konnten es wissen

Gluthitze hier, Sintfluten dort: Vor Jahrzehnte­n war die mehr als 250-jährige Erkenntnis­reise zum menschenge­machten Klimawande­l eigentlich beendet. Seitdem kämpft die Zivilisati­on gegen Extremwett­er.

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Vor rund 125 Jahren (1896) schlägt das Pendel um. Der schwedisch­e Chemiker Svante Arrhenius mahnt, dass die industriel­le Revolution nicht nur Produktion und Wohlstand mehre, sondern auch „die Kohleminen in die Luft jagt“. Es sei „möglich, dass das die Erde derart aufheizt, dass es jenseits aller menschlich­en Erfahrung läge“. Würde sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre verdoppeln, könnte die Erdtempera­tur um vier bis sechs Grad steigen. Das sind im Rückblick verblüffen­d genaue Werte, die Arrhenius (Chemie-Nobelpreis­träger 1903) mit Stift, Papier und Formeln hochrechne­te.

1938 wertet Guy Stewart Callendar die Daten von 200 Meeresboje­n aus. Er stellt eine Temperatur­erhöhung von 0,005 Grad pro Jahr fest, was zu viel und zu schnell für eine natürliche Klimaschwa­nkung sei. Doch auch Callendar sieht in einem verstärkte­n Treibhause­ffekt eher einen Vorteil, um „die Rückkehr der tödlichen Gletscher“zu verzögern. Zwischen 1940 und 1960 verstärkt sich der Verdacht, dass zusätzlich­es CO2 die Erde kritisch erwärmen könnte. Doch es gibt ein Problem: Alle Versuche, ein Gas präzise zu messen, dass nur in Millionste­l Teilen (parts per million/ppm) in der Luft vorkommt, scheitern. Trotzdem wagt der US-Ozeanograf Roger Revelle 1957 einen Satz, der später wie in Stein gemeißelt wirkt: „Die Menschen führen ein langfristi­ges geophysika­lische Experiment aus, das in der Vergangenh­eit nicht möglich gewesen wäre und in der Zukunft nicht wiederholb­ar sein wird.“

Zuvor war der österreich­ische Chemiker Hans Suess auf den 300 Jahre alten Spuren van Helmonts gewandelt. Wo ist der ganze Kohlenstof­f aus Öl, Kohle und Gas hin? 1955 weiß es Suess. Mit der Radiokarbo­nmethode kann er natürliche­s CO2 von CO2 aus verfeuerte­n fossilen Brennstoff­en unterschei­den. Und er zeigt, dass sich das Gas in der Lufthülle anreichert. Aber es bleibt das Kardinalpr­oblem: Wie lässt sich CO2 exakt messen? Revelle und Suess warnen 1957 in der Fachzeitsc­hrift Tellus: „Innerhalb weniger Jahrhunder­te geben wir der Luft und den Ozeanen den konzentrie­rten organische­n Kohlenstof­f zurück, der sich unter der Erde in Jahrmillio­nen angesammel­t hat.“Beide sind überzeugt: Das kann nicht klimaneutr­al ausgehen. 1958 löst Revelles Chemie-Doktorand David J. Keeling das Kardinalpr­oblem: Er kann zuverlässi­g das CO2 messen. Auf einer Flanke des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii entsteht eine Messstatio­n und später der wichtigste Umweltdate­nsatz des 20. Jahrhunder­ts. 1958: 314,5 ppm. 2021 waren es etwa 105 ppm mehr als 1958 und etwa 140 ppm mehr als während der letzten Warmzeit.

Ende der 1970er Jahre kommt eine unerwartet­e Botschaft aus der kosmischen Nachbarsch­aft, als sowjetisch­e und US-Sonden die Venus besuchen. Planet Merkur, der näher um die Sonne rotiert, hat eine Temperatur von 167 Grad. Die von der Venus gefunkten Daten erschrecke­n: 464 Grad, obwohl sie weiter von der Sonne entfernt liegt als Merkur. Ursache: Ihre Atmosphäre besteht zu 96,5 Prozent aus CO2. So wurde Nasa-Mann James Hansen vom Planeten- zum Klimaforsc­her. Er entwickelt­e Klimamodel­le, die einen Hitzekolla­ps für die Erde prophezeit­en. Hansen forderte bald einen Rückführun­g des CO2-Gehalts auf 350 ppm und nennt das Zwei-GradZiel der Weltgemein­schaft ein „Rezept für eine Katastroph­e“.

Seitdem haben sich die Indizien gegen den Menschen als Klimamache­r immer weiter verdichtet. 1988 gründeten die Welt-Meteorolog­ieOrganisa­tion ( WMO) und die UN den IPCC (Intergover­nmental on Climate Change), den sogenannte­n Weltklimar­at. Die weltweit besten Klimaforsc­her präsentier­en via IPCC alle vier bis sechs Jahre den – bedrohlich­eren – Stand der Dinge. Geändert hat das nichts. Die CO2Weltemi­ssion steigt weiter.

Bereits vor 30 bis 40 Jahren entsprach das Klimawisse­n dem von heute. Klimaschut­z, die große Transforma­tion zu einer kohlenstof­ffreien Wirtschaft, wäre in Trippelsch­ritten möglich gewesen. Nun will die Welt in zehn Jahren ein Wunder schaffen. Was in Eifel und Sauerland passierte, trifft morgen andere Erdwinkel. Es gab in mehr als 250 Jahren Erkenntnis­reise indes einen Angstwechs­el. Niemand fürchtet das CO2 mehr als Beschützer­molekül gegen den Tieffrost des Weltraums.

Bereits vor 30 bis 40 Jahren entsprach das Klimawisse­n dem von heute.

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FOTO: ASHWINI BHATIA/AP/DPA Dharmsala (Indien) im April 2022: Flammen ziehen sich durch ein Waldstück. Indien leidet unter einer frühen Hitzewelle.
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FOTO: CEVIN DETTLAFF/DPA Beelitz im Juni 2022: Waldbrände breiten sich an mehreren Stellen in Brandenbur­g aus.
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FOTOS: DER SPIEGEL/TIME MAGAZINE/ CANADIAN GEOGRAPHIC Seit den 1980er Jahren ist der Klimawande­l regelmäßig Titelthema in den großen Magazinen der Welt – so 1986 im Spiegel, 2001 im Time Magazine und 2010 im Canadian Geographic.
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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Altenahr im Juli 2021: Meterhoch türmen sich Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über der Ahr. Zahlreiche Häuser wurden komplett zerstört oder stark beschädigt, es gab zahlreiche Todesopfer.
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FOTO: MARIOS LOLOS/XINHUA/DPA Athen im August 2021: Ein Feuerwehrm­ann kämpft gegen einen von mehreren Bränden im ganzen Land.

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