Es steht schlecht um die vertraute Weltordnung
Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. In Europa tobt seit vier Monaten ein Krieg. Es herrscht: Weltunordnung. Wenn sich die Staats- und Regierungschefs von EU, G7 und Nato in den nächsten zwei Wochen bei ihren jeweiligen Gipfeltreffen den Staffelstab in die Hand geben, müssen sie sich ernsthafte Sorgen über den Bestand der (multilateralen) regelbasierten Weltordnung machen. China und Russland hegen seit geraumer Zeit ganz eigene Ansprüche für eine Neuaufstellung der Machtverhältnisse auf diesem Globus.
G8 – das war einmal. G8 stand für eine Zeit, die erheblich friedlicher und geordneter schien als heute. Doch Russland hat sich nach der Annexion der Krim und mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine vermutlich für immer aus der Gruppe der größten (westlichen) Industriestaaten gebombt, in die Moskau einst von den G7-Staaten als strategischer Partner im Kampf gegen die großen Weltkrisen aufgenommen worden war. Was aus der russischen Mitgliedschaft bei den G20 – dem informellen Zusammenschluss der 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenstaaten plus der EU – wird, muss vorerst offenbleiben.
Gerade in der aufgeheizten und völlig unkalkulierbaren Lage des Ukraine-Krieges wäre eine neue Blockbildung China und Russland gegen den Westen hochgefährlich. China hat sich längst zum systemischen Rivalen des freien Westens entwickelt. Die Atommacht Russland zündelt mit seiner Bereitschaft, eigene Interessen ohne Skrupel durchzusetzen, am Weltfrieden. Dennoch müssen EU, G7 und Nato darauf achten, diese Konflikte durch ihre politischen Gipfel-Schlusskommuniqués nicht noch zuzuspitzen. Die EU will in dieser Lage vor allem der Ukraine, aber auch Moldau und Georgien Hoffnungen auf eine spätere Aufnahme in die EU machen und muss zugleich darauf achten, Staaten des westlichen Balkans nicht zu enttäuschen, die (wie die Türkei) seit Jahren auf Mitgliedschaft hoffen.
Deutschland kann und sollte insgesamt eine stärkere Rolle in der Welt übernehmen, die unter anderem von Staaten Afrikas ohnehin erhofft wird. Dazu zählten dann auch substanziellere Beiträge in der Nato. Hirntod war gestern. Heute zählen Entschlossenheit und Wille. Deutschland muss mehr wagen, weil es mehr kann. Es ist noch Luft nach oben, auch jenseits eines stärkeren deutschen Beitrags an einer Nato-Kampfbrigade an der Ostflanke im Baltikum. Mehr Verantwortung heißt nicht ausschließlich mehr Militär, doch Streitkräfte, die in der Lage sind, ihr Land und das Bündnis zu verteidigen, sind unabdingbares Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. Erst recht in Krisen- und Kriegszeiten wie diesen. Ein Platz hinter der ersten Reihe der Allianz genügt für ein Land von der Größe, der Bedeutung und der Wirtschaftskraft Deutschlands nicht. Die deutsche Zögerlichkeit in der Frage der militärischen Unterstützung der Ukraine hat die Ampel-Regierung international einiges an Prestige gekostet. Wenn EU, G7 und Nato Freiheit und internationale Ordnung verteidigen wollen, ist Geschlossenheit eine Währung.