Die Europäische Union im Kampf gegen den Hunger
ANALYSE Der Krieg in Europa lässt das neue EU-Entwicklungsprojekt für ärmere Länder noch dringlicher erscheinen. Aber kommt es auch in Bewegung?
BRÜSSEL Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor etlichen Wochen Tausende von Staatenlenkern und Verantwortlichen von Organisationen und Institutionen zu den Europäischen Entwicklungstagen ab dem gestrigen Dienstag nach Brüssel lud, konnte sie nicht wissen, welchen eklatanten Nachweis Russland just zu diesem Zeitpunkt für die unterschiedlichen Ansätze weltweiter Entwicklungspolitik liefern würde. Nur kurz zuvor erläuterte nämlich bei der russischen Wirtschaftskonferenz in St. Petersburg am Wochenende eine Chef-Propagandistin des Kreml, was hinter den gestoppten Getreidelieferungen aus der Ukraine stecke: die „Hoffnung auf Hunger“. Wenn den Staaten die Nahrungsmittel ausgingen, würden sie schon verstehen, wie wichtig es sei, Freund Russlands zu sein.
Bei der Eröffnung der Europäischen Entwicklungstage unterstrich von der Leyen den fundamentalen Gegensatz der EU zu den milliardenschweren Strategien Russlands und Chinas, Abhängigkeiten bei Entwicklungsländern zu schaffen. Sie verkündete, weitere 600 Millionen Euro bereitstellen zu wollen, um in gefährdeten Ländern die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln zu stärken.
Bereits vor dem russischen Angriffskrieg hatte von der Leyen das Projekt „Global Gateway“auf die
Schiene gesetzt, um über dieses „globale Tor“die Beziehungen zwischen der EU und Entwicklungsländern zu bündeln und neu auszurichten. Vor allem als Antwort auf die chinesische „Seidenstraße“gedacht, sollte hier der Fokus auf demokratische Entwicklung, Rechtsstaatlichkeit und Interessensausgleich auf Augenhöhe gelegt werden. In einer Rückschau auf die Pandemie und den Zugang zu Impfstoffen hielt von der Leyen fest: „Viele haben versprochen, die Demokratien haben geliefert.“
Sie wies auf eine erschütternde Botschaft des Weltklimarates hin, die in den ersten Tagen des Angriffskrieges Russlands wenig Aufmerksamkeit gefunden habe: „Das Klima verändert sich schneller, als wir uns anpassen können“, erinnerte von der Leyen. Deshalb müssten die Investitionen zur Senkung der Emissionen beschleunigt werden, um dramatische Konsequenzen zu verhindern.
„Die Welt braucht einen positiven Investitionsimpuls, und zwar jetzt“, appellierte die Kommissionspräsidentin. Es gehe um Investitionen in saubere Energie, in hochwassersichere Straßen und Brücken und in Gebäude, die extremen Hitzewellen standhalten könnten. Hinzu kämen Investitionen zur Vorbereitung der Gesundheitssysteme auf die Pandemien der Zukunft. Erneut unterstrich von der Leyen das Vorhaben, mit „Global Gateway“bis 2027 rund 300 Milliarden Euro zu mobilisieren, 150 Milliarden davon für Afrika.
Durch den Krieg in Europa ist auch in den europäischen Ländern das Bewusstsein dafür geschärft, die einseitige Abhängigkeit von Russland drastisch zu verringern. Zugleich wächst das Interesse an den theoretisch schier unerschöpflichen Möglichkeiten afrikanischer Länder, Energie in Form von grünem Wasserstoff zu liefern, der mithilfe von Wind- und Sonnenenergie gewonnen werden kann.
Es sei grundsätzlich zu begrüßen, wenn die EU Gelder in die Hand nehme für eine verbesserte Partnerschaft und für eine erhöhte Anbindung an den globalen Süden, meinte Grünen-Europa-Abgeordneter Erik Marquardt, auch Vizevorsitzender des EU-Entwicklungsausschusses. Doch nur ein kleiner Teil der Summen, von denen hier gesprochen werde, sei auch von der EU gedeckt. „Bislang ist es zu früh, das Projekt zu bewerten“, sagte Marquardt. Wichtig sei vor allem, dass den Worten Taten folgten und die Gelder sinnvoll eingesetzt würden, um Entwicklungsziele zu erreichen und Armut zu bekämpfen.