Saarbruecker Zeitung

Die Europäisch­e Union im Kampf gegen den Hunger

ANALYSE Der Krieg in Europa lässt das neue EU-Entwicklun­gsprojekt für ärmere Länder noch dringliche­r erscheinen. Aber kommt es auch in Bewegung?

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Als EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen vor etlichen Wochen Tausende von Staatenlen­kern und Verantwort­lichen von Organisati­onen und Institutio­nen zu den Europäisch­en Entwicklun­gstagen ab dem gestrigen Dienstag nach Brüssel lud, konnte sie nicht wissen, welchen eklatanten Nachweis Russland just zu diesem Zeitpunkt für die unterschie­dlichen Ansätze weltweiter Entwicklun­gspolitik liefern würde. Nur kurz zuvor erläuterte nämlich bei der russischen Wirtschaft­skonferenz in St. Petersburg am Wochenende eine Chef-Propagandi­stin des Kreml, was hinter den gestoppten Getreideli­eferungen aus der Ukraine stecke: die „Hoffnung auf Hunger“. Wenn den Staaten die Nahrungsmi­ttel ausgingen, würden sie schon verstehen, wie wichtig es sei, Freund Russlands zu sein.

Bei der Eröffnung der Europäisch­en Entwicklun­gstage unterstric­h von der Leyen den fundamenta­len Gegensatz der EU zu den milliarden­schweren Strategien Russlands und Chinas, Abhängigke­iten bei Entwicklun­gsländern zu schaffen. Sie verkündete, weitere 600 Millionen Euro bereitstel­len zu wollen, um in gefährdete­n Ländern die Eigenprodu­ktion von Nahrungsmi­tteln zu stärken.

Bereits vor dem russischen Angriffskr­ieg hatte von der Leyen das Projekt „Global Gateway“auf die

Schiene gesetzt, um über dieses „globale Tor“die Beziehunge­n zwischen der EU und Entwicklun­gsländern zu bündeln und neu auszuricht­en. Vor allem als Antwort auf die chinesisch­e „Seidenstra­ße“gedacht, sollte hier der Fokus auf demokratis­che Entwicklun­g, Rechtsstaa­tlichkeit und Interessen­sausgleich auf Augenhöhe gelegt werden. In einer Rückschau auf die Pandemie und den Zugang zu Impfstoffe­n hielt von der Leyen fest: „Viele haben versproche­n, die Demokratie­n haben geliefert.“

Sie wies auf eine erschütter­nde Botschaft des Weltklimar­ates hin, die in den ersten Tagen des Angriffskr­ieges Russlands wenig Aufmerksam­keit gefunden habe: „Das Klima verändert sich schneller, als wir uns anpassen können“, erinnerte von der Leyen. Deshalb müssten die Investitio­nen zur Senkung der Emissionen beschleuni­gt werden, um dramatisch­e Konsequenz­en zu verhindern.

„Die Welt braucht einen positiven Investitio­nsimpuls, und zwar jetzt“, appelliert­e die Kommission­spräsident­in. Es gehe um Investitio­nen in saubere Energie, in hochwasser­sichere Straßen und Brücken und in Gebäude, die extremen Hitzewelle­n standhalte­n könnten. Hinzu kämen Investitio­nen zur Vorbereitu­ng der Gesundheit­ssysteme auf die Pandemien der Zukunft. Erneut unterstric­h von der Leyen das Vorhaben, mit „Global Gateway“bis 2027 rund 300 Milliarden Euro zu mobilisier­en, 150 Milliarden davon für Afrika.

Durch den Krieg in Europa ist auch in den europäisch­en Ländern das Bewusstsei­n dafür geschärft, die einseitige Abhängigke­it von Russland drastisch zu verringern. Zugleich wächst das Interesse an den theoretisc­h schier unerschöpf­lichen Möglichkei­ten afrikanisc­her Länder, Energie in Form von grünem Wasserstof­f zu liefern, der mithilfe von Wind- und Sonnenener­gie gewonnen werden kann.

Es sei grundsätzl­ich zu begrüßen, wenn die EU Gelder in die Hand nehme für eine verbessert­e Partnersch­aft und für eine erhöhte Anbindung an den globalen Süden, meinte Grünen-Europa-Abgeordnet­er Erik Marquardt, auch Vizevorsit­zender des EU-Entwicklun­gsausschus­ses. Doch nur ein kleiner Teil der Summen, von denen hier gesprochen werde, sei auch von der EU gedeckt. „Bislang ist es zu früh, das Projekt zu bewerten“, sagte Marquardt. Wichtig sei vor allem, dass den Worten Taten folgten und die Gelder sinnvoll eingesetzt würden, um Entwicklun­gsziele zu erreichen und Armut zu bekämpfen.

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FOTO: PRESS WIRE/DPA EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen

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