Angeklagter stellt Schüsse als Notwehr dar
Wer erschoss im Januar die beiden Polizisten bei einer Verkehrskontrolle nahe Kusel? Die Ermittler gehen nur von einem Täter aus. Der Angeklagte aus Sulzbach präsentiert zum Prozessauftakt aber einen anderen Ablauf.
KAISERSLAUTERN (dpa) Nachts auf einer einsamen Kreisstraße in der Westpfalz geschah die grausame Tat. Hier, unweit von Kusel, waren Ende Januar zwei aus dem Saarland stammende Polizisten um kurz nach 4 Uhr morgens unterwegs. Ein geparkter Kastenwagen mit Saarbrücker Kennzeichen kam ihnen verdächtig vor, und sie stiegen zur Kontrolle aus. Im Laderaum entdeckten sie gewildertes Fleisch, insgesamt mehr als 20 Damhirsche und Rehe. Nur Augenblicke später waren die Beamten tot.
Es dürfte eine langwierige Aufarbeitung des Falls werden – das deutete sich am Dienstag zum Auftakt im Landgericht Kaiserslautern an. Das Interesse von Öffentlichkeit und Medien am Prozess ist groß. Alle Plätze im holzvertäfelten Saal 1 sind an diesem Tag besetzt. Durch die deckenhohen Fenster flutet Sonnenlicht den Raum. Erst kurz vor Beginn führen Justizbeamte den Hauptangeklagten in Handschellen hinein. „Guten Morgen“, grüßt der 39-Jährige leise, er trägt eine rote Hose und ein graues Hemd. Die Handschellen lässt Richter Raphael Mall ihm abnehmen. „Dann lässt es sich besser verhandeln.“
Vier Stühle weiter sitzt ein 33-Jähriger. Dass sie damals bei
Kusel gewildert haben, räumen beide ein. Doch den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge hat der Jüngere der beiden nicht auf die Polizisten gefeuert, er befindet sich deshalb auch nicht in Untersuchungshaft. Knapp fünf Monate nach den Todesschüssen ist es ein brisantes Wiedersehen der Männer. Die Anklage gegen den 39-Jährigen soll zu Teilen auf den Aussagen des 33-Jährigen beruhen. Zum Auftakt gibt es zwischen den beiden Männern aus dem Saarland nicht einmal Augenkontakt.
Rund 40 Kilometer von Kaiserslautern entfernt gibt der Wald bei Kusel an einer Stelle den Blick frei auf Hügel und Dörfer. Was dort geschah, nannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „eine Tat, die an eine Hinrichtung erinnert“. Überraschend, so die Staatsanwaltschaft, habe der damals 38-Jährige einen Schuss aus der Flinte „aus kurzer Entfernung auf den Kopf“der Polizeianwärterin abgegeben.
Die Frau stürzte schwer verletzt auf die Straße. Danach soll der Angeklagte zunächst mit der Flinte, dann mit einem Jagdgewehr auf den Polizeikommissar geschossen und ihn tödlich am Kopf getroffen haben. Der Polizist konnte zuvor noch den Notruf absetzen: „Die schießen.“
Als der heute 39-Jährige gemerkt habe, dass die Polizistin noch lebte, habe er mit der Flinte einen weiteren Schuss auf den Kopf der Frau abgegeben, hieß es. Die beiden Verdächtigen flohen der Justiz zufolge und wurden wenige Stunden später in Sulzbach festgenommen. Dem 39-Jährigen wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem zwei Morde vor, „aus Habgier und um eine Straftat zu verdecken“. Es komme, sagte Oberstaatsanwalt Stefan Orthen, auch Unterbringung in Sicherheitsverwahrung in Betracht. Dem 33-Jährigen wird versuchte Strafvereitelung vorgeworfen – er soll beim Spurenverwischen geholfen habe.
Psychiatrische Gutachten ergaben demnach keine Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Schuldfähigkeit. Der 39-Jährige ließ zum Prozessauftakt die Tatnacht durch seinen Verteidiger anders darstellen. Ja, sein Mandant habe geschossen, aber in einer Art Notwehrlage – „nur, um zu erreichen, dass nicht weiter auf ihn geschossen wird“. Der 39-Jährige habe Mündungsfeuer gesehen und in diese Richtung gefeuert. In der Erklärung machte er seinen Jagd-Komplizen für den Tod der Polizistin verantwortlich. Er habe den 33-Jährigen mit der Flinte in der Hand gesehen und sich bekreuzigt.
Der Verteidiger des 33-Jährigen wies die Darstellung als unzutreffend und „vorhersehbar“zurück. Es sei so gewesen, wie sein Mandant bei der Vernehmung geschildert habe. Darin hatte der Mann Jagdwilderei eingeräumt, aber bestritten, selbst geschossen zu haben.
Für viele reiht sich die Tat in extremer Form ein in eine zunehmende Brutalität gegenüber Sicherheitskräften. Vom „realen Alptraum aller Polizistinnen und Polizisten“sprach Sabrina Kunz, Mainzer Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, nach der Tat. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) sagte, in Gesprächen habe er von angehenden Polizisten auch die Frage gehört, ob das der richtige Beruf sei. Die Tat löste aber auch eine Welle der Solidarität in der Region aus. Hunderte Beileidsschreiben gingen bei der Polizei in Rheinland-Pfalz ein.
Der Hauptangeklagte war der Polizei bereits früher aufgefallen. Der Staatsanwaltschaft zufolge erzielte er zum Tatzeitpunkt seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen durch Jagdwilderei und den Verkauf der Beute – obwohl er seit April 2020 Waffen weder besitzen noch kaufen oder leihen durfte. Auch einen Jagdschein hat der Angeklagte nur bis Ende März 2020 besessen. Ob die Ehefrau dem 39-Jährigen hier geholfen hat, ist derzeit Gegenstand von Ermittlungen.
Der Prozess vor dem Landgericht Kaiserslautern wird am kommenden Montag um neun Uhr fortgesetzt.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 39-jährigen Hauptangeklagten unter anderem zwei Morde vor, „aus Habgier und um eine Straftat zu verdecken“.