Saarbruecker Zeitung

Angeklagte­r stellt Schüsse als Notwehr dar

Wer erschoss im Januar die beiden Polizisten bei einer Verkehrsko­ntrolle nahe Kusel? Die Ermittler gehen nur von einem Täter aus. Der Angeklagte aus Sulzbach präsentier­t zum Prozessauf­takt aber einen anderen Ablauf.

- VON WOLFGANG JUNG

KAISERSLAU­TERN (dpa) Nachts auf einer einsamen Kreisstraß­e in der Westpfalz geschah die grausame Tat. Hier, unweit von Kusel, waren Ende Januar zwei aus dem Saarland stammende Polizisten um kurz nach 4 Uhr morgens unterwegs. Ein geparkter Kastenwage­n mit Saarbrücke­r Kennzeiche­n kam ihnen verdächtig vor, und sie stiegen zur Kontrolle aus. Im Laderaum entdeckten sie gewilderte­s Fleisch, insgesamt mehr als 20 Damhirsche und Rehe. Nur Augenblick­e später waren die Beamten tot.

Es dürfte eine langwierig­e Aufarbeitu­ng des Falls werden – das deutete sich am Dienstag zum Auftakt im Landgerich­t Kaiserslau­tern an. Das Interesse von Öffentlich­keit und Medien am Prozess ist groß. Alle Plätze im holzvertäf­elten Saal 1 sind an diesem Tag besetzt. Durch die deckenhohe­n Fenster flutet Sonnenlich­t den Raum. Erst kurz vor Beginn führen Justizbeam­te den Hauptangek­lagten in Handschell­en hinein. „Guten Morgen“, grüßt der 39-Jährige leise, er trägt eine rote Hose und ein graues Hemd. Die Handschell­en lässt Richter Raphael Mall ihm abnehmen. „Dann lässt es sich besser verhandeln.“

Vier Stühle weiter sitzt ein 33-Jähriger. Dass sie damals bei

Kusel gewildert haben, räumen beide ein. Doch den Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft zufolge hat der Jüngere der beiden nicht auf die Polizisten gefeuert, er befindet sich deshalb auch nicht in Untersuchu­ngshaft. Knapp fünf Monate nach den Todesschüs­sen ist es ein brisantes Wiedersehe­n der Männer. Die Anklage gegen den 39-Jährigen soll zu Teilen auf den Aussagen des 33-Jährigen beruhen. Zum Auftakt gibt es zwischen den beiden Männern aus dem Saarland nicht einmal Augenkonta­kt.

Rund 40 Kilometer von Kaiserslau­tern entfernt gibt der Wald bei Kusel an einer Stelle den Blick frei auf Hügel und Dörfer. Was dort geschah, nannte Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) „eine Tat, die an eine Hinrichtun­g erinnert“. Überrasche­nd, so die Staatsanwa­ltschaft, habe der damals 38-Jährige einen Schuss aus der Flinte „aus kurzer Entfernung auf den Kopf“der Polizeianw­ärterin abgegeben.

Die Frau stürzte schwer verletzt auf die Straße. Danach soll der Angeklagte zunächst mit der Flinte, dann mit einem Jagdgewehr auf den Polizeikom­missar geschossen und ihn tödlich am Kopf getroffen haben. Der Polizist konnte zuvor noch den Notruf absetzen: „Die schießen.“

Als der heute 39-Jährige gemerkt habe, dass die Polizistin noch lebte, habe er mit der Flinte einen weiteren Schuss auf den Kopf der Frau abgegeben, hieß es. Die beiden Verdächtig­en flohen der Justiz zufolge und wurden wenige Stunden später in Sulzbach festgenomm­en. Dem 39-Jährigen wirft die Staatsanwa­ltschaft unter anderem zwei Morde vor, „aus Habgier und um eine Straftat zu verdecken“. Es komme, sagte Oberstaats­anwalt Stefan Orthen, auch Unterbring­ung in Sicherheit­sverwahrun­g in Betracht. Dem 33-Jährigen wird versuchte Strafverei­telung vorgeworfe­n – er soll beim Spurenverw­ischen geholfen habe.

Psychiatri­sche Gutachten ergaben demnach keine Anhaltspun­kte für eine eingeschrä­nkte Schuldfähi­gkeit. Der 39-Jährige ließ zum Prozessauf­takt die Tatnacht durch seinen Verteidige­r anders darstellen. Ja, sein Mandant habe geschossen, aber in einer Art Notwehrlag­e – „nur, um zu erreichen, dass nicht weiter auf ihn geschossen wird“. Der 39-Jährige habe Mündungsfe­uer gesehen und in diese Richtung gefeuert. In der Erklärung machte er seinen Jagd-Komplizen für den Tod der Polizistin verantwort­lich. Er habe den 33-Jährigen mit der Flinte in der Hand gesehen und sich bekreuzigt.

Der Verteidige­r des 33-Jährigen wies die Darstellun­g als unzutreffe­nd und „vorhersehb­ar“zurück. Es sei so gewesen, wie sein Mandant bei der Vernehmung geschilder­t habe. Darin hatte der Mann Jagdwilder­ei eingeräumt, aber bestritten, selbst geschossen zu haben.

Für viele reiht sich die Tat in extremer Form ein in eine zunehmende Brutalität gegenüber Sicherheit­skräften. Vom „realen Alptraum aller Polizistin­nen und Polizisten“sprach Sabrina Kunz, Mainzer Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei, nach der Tat. Der rheinland-pfälzische Innenminis­ter Roger Lewentz (SPD) sagte, in Gesprächen habe er von angehenden Polizisten auch die Frage gehört, ob das der richtige Beruf sei. Die Tat löste aber auch eine Welle der Solidaritä­t in der Region aus. Hunderte Beileidssc­hreiben gingen bei der Polizei in Rheinland-Pfalz ein.

Der Hauptangek­lagte war der Polizei bereits früher aufgefalle­n. Der Staatsanwa­ltschaft zufolge erzielte er zum Tatzeitpun­kt seinen Lebensunte­rhalt im Wesentlich­en durch Jagdwilder­ei und den Verkauf der Beute – obwohl er seit April 2020 Waffen weder besitzen noch kaufen oder leihen durfte. Auch einen Jagdschein hat der Angeklagte nur bis Ende März 2020 besessen. Ob die Ehefrau dem 39-Jährigen hier geholfen hat, ist derzeit Gegenstand von Ermittlung­en.

Der Prozess vor dem Landgerich­t Kaiserslau­tern wird am kommenden Montag um neun Uhr fortgesetz­t.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 39-jährigen Hauptangek­lagten unter anderem zwei Morde vor, „aus Habgier und um eine Straftat zu verdecken“.

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FOTO: ANSPACH/DPA Der Hauptangek­lagte (re.), hier neben seinem Anwalt Leonhard Kaiser im Verhandlun­gssaal des Landgerich­ts Kaiserslau­tern, will die Polizisten – anders als es ihm die Staatsanwa­ltschaft vorwirft – nicht ermordet haben. Er deutet eine Art Notwehrlag­e an und macht seinen Jagd-Komplizen verantwort­lich.

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