Luxemburg verzögert Bau von russischem Zukunftsprojekt
300 Arbeitsplätze sollten durch eine Nanotechnologie-Fabrik entstehen. Doch inzwischen kommen Zweifel an den Geschäftspraktiken der Investoren auf.
LUXEMBURG Die Luxemburger Regierung hat jüngst russische Vermögenswerte von insgesamt 4,2 Milliarden Euro eingefroren. Nun kommt ein Großprojekt in Luxemburg selbst in die Diskussion. In Differdingen sollte auf einer alten Schwerindustrie-Brache der russisch begründeten Firma Ocsial die modernste und größte Nanotechnologie-Fabrik der Welt entstehen. Nanotechnik ist vor allem wichtig für Batterien in Elektroautos; ein Industriesektor, der den Westen umweltfreundlicher und unabhängiger von russischen Rohstoffen machen sollte.
Das Projekt in Differdingen sollte mehr als 300 Arbeitsplätze in Luxemburg schaffen und passte zu den Bestrebungen des Großherzogtums, umweltfreundliche Hochtechnologie im Land zu fördern. Deshalb hatte das zuständige Wirtschaftsministerium im Februar, wenige Tage vor dem Überfall Putins auf die Ukraine, grünes Licht für die Fabrik gegeben. Der Investor zeigte sich großzügig und sponserte lokale Vereine bis hin zu den Red Boys Differdange, Luxemburgs SpitzenHandball-Mannschaft.
Doch der Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat diese Dynamik in Differdingen getrübt, wobei die Identität der Investoren des Unternehmens im Mittelpunkt der Kontroverse steht. In einer parlamentarischen
Anfrage sprach der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar von Personen „russischer Herkunft mit manchmal zweifelhaften Praktiken“und stützte sich dabei insbesondere auf die Enthüllungen von Reporter.lu. Die investigative Nachrichtenplattform, die im vergangenen Jahr auch Xavier Bettels Plagiat aufgedeckt hatte, erwähnt insbesondere den Bankier Igor Kim, der einigen Oligarchen bei der Kapitalflucht aus Russland geholfen haben soll. Kim, ein Russland-Koreaner, ist der Gründer der russischen Expobank, die als eine der modernsten in ganz Russland gilt und vor allem in Sibirien Geschäfte macht. Auch gibt es Gerüchte, dass der russische Staat, der über einen eigenen Fonds für Nanotechnologien verfügt, der eigentliche Investor von Ocsial gewesen sein soll. In den vergangenen Monaten und Wochen soll es verdächtige Umstrukturierungen im Aktieneignerteil des Unternehmens gegeben haben.
Luxemburg hat die russische Invasion in der Ukraine scharf verurteilt, es unterstützt alle Sanktionen und liefert Waffen an die ukrainischen Verteidigungskräfte. Allerdings klammert sich die Differdinger Bürgermeisterin Christine Brassel-Rausch (déi Gréng) an das Argument, dass bislang noch keine Sanktionen gegen das Unternehmen Ocsial festgesetzt wurden. Die Bürgermeisterin ist nach wie vor von diesem Fabrikprojekt überzeugt, das „wichtig für
Differdingen“sei, da es „Materialien der Zukunft“schmiede. Das Unternehmen Ocsial bestätigte, dass „die Pläne für die Einführung des Graphene Nanotube Center im Jahr 2025 unverändert bleiben“. Laut Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) ist das Unternehmen dabei, „den Antrag auf Baugenehmigung fertigzustellen, um ihn bei den kommunalen Stellen einzureichen“. Auf Regierungsseite ist man jedoch vorsichtig. Wirtschaftsminister Fayot räumt zwar ein, dass eine „Investitionshilfevereinbarung“mit dem Staat unterzeichnet wurde, aber „bislang wurde noch keine Tranche der Beihilfe“ausgezahlt. Das gesamte Investitionsprojekt wird auf 340 Millionen Euro geschätzt.
Ocsial ist ein globales Nanotechnologieunternehmen, der weltgrößte Hersteller von Graphen-Nanoröhren, die für batteriebezogene Elektrofahrzeuge unerlässlich sind. Der Hauptsitz von Ocsial befindet sich seit 2012 in Leudelingen in Luxemburg, das Unternehmen hat Niederlassungen in den Vereinigten Staaten, Europa und Asien und beschäftigt außerhalb Russlands 450 Mitarbeiter.
Bei der Fabrik in Differdingen handelt es sich um eine Produktionsanlage sowie ein zugehöriges Forschungs- und Entwicklungszentrum. 2015 wurde Ocsial von der National Nanotechnology Initiative (NNI), einem Programm der US-Regierung zur Beschleunigung der Kommerzialisierung von Nanotechnologie, ausgezeichnet. Im November 2016 war Ocsial das einzige Unternehmen mit einer Lizenz für die Herstellung und Vermarktung von bis zu zehn Tonnen Nanoröhren pro Jahr in Europa. 2019 wurde es in die Liste der EinhornStartups aufgenommen, einer Liste von Start-ups, die mit einer Milliarde US-Dollar oder mehr bewertet werden.