Saarbruecker Zeitung

Deutsches WM-Silber, made in USA

Anna Elendt besitzt Starpotenz­ial und hat sich in der Weltspitze etabliert. Ein deutscher Verbandser­folg ist das aber nicht.

- VON JÖRG SOLDWISCH

BUDAPEST (sid) Auch die vielen Glückshorm­one konnten Anna Elendts Schmerzen wegen des tiefen Risses neben der linken Augenbraue nicht ganz lindern. „Tatsächlic­h tut der noch echt weh“, sagte die neue Vizeweltme­isterin und grinste ob ihrer eigenen Tollpatsch­igkeit. Kurz vor der Schwimm-Weltmeiste­rschaft war ihr beim Aufräumen ihres Zimmers ein Spiegel ins Gesicht gefallen. Panisch hatte sie ihre Mutter angerufen und gesagt: „Mom, ich glaube, wir müssen zum Arzt.“

Die Platzwunde hinderte sie zum Glück nicht am WM-Start in Budapest. Und so konnte die 20-Jährige im Finale über 100 Meter Brust mit einer famosen Schlussbah­n noch von Platz sieben auf zwei vorstürmen. „So viel gefeiert habe ich nicht, ich habe ja noch einiges vor“, sagte Elendt am Dienstagmo­rgen nach ihrem Finaleinzu­g mit der gemischten 4x100-Meter-Lagenstaff­el. Realistisc­he Medaillenc­hancen hat sie noch über 50 und 200 Meter Brust, „mal gucken, was noch geht“.

Extroverti­ert, lebensfroh, eloquent – und jetzt auch höchst erfolgreic­h: Die Frankfurte­rin besitzt zweifelsoh­ne Starpotenz­ial. Ihr pinker Schwimmanz­ug, die knallig lackierten Fingernäge­l und das offenherzi­ge Lachen lassen sie aus der Masse herausstec­hen. Sie sei „eine tolle Persönlich­keit und auch sehr talentiert“, sagte die deutsche Doppel-Olympiasie­gerin Britta Steffen: „Ich freue mich, dass sie sich so stark präsentier­t, und vermute, dass wir noch einige Jahre Freude an ihr haben werden.“

Eine Weltklasse-Sprinterin hatte der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) schon lange nicht mehr. Zuletzt holten Steffen und Co. 2009 in Rom auf den 50- und 100-MeterStrec­ken WM-Medaillen. Während Deutschlan­d über die langen Freistil-Distanzen durch die Magdeburge­r Trainingsg­ruppe um Olympiasie­ger Florian Wellbrock inzwischen internatio­nal Maßstäbe setzt, ist Elendts Leistungss­prung eher kein Verbandser­folg. Sie ist ihren eigenen Weg gegangen – und der war nicht leicht.

Nach dem Abitur vor zwei Jahren wagte Elendt ein Abenteuer: Stipendium in Texas/USA, 8500 Kilometer entfernt von ihrem Zuhause, mit einem riesigen Konkurrenz­kampf im Becken. „25 Mädels, die mehr oder weniger das gleiche Ziel haben wie du“, erzählte Elendt. Doch sie profitiert­e auch davon, genau wie von der deutlich profession­elleren Betreuung in allen Bereichen. Das Talent arbeitete hart an seinem Tauchzug und steigerte die Umfänge sowie das

Krafttrain­ing. Der Lohn: drei deutsche Rekorde in diesem Frühjahr über 50, 100 sowie 200 Meter Brust und jetzt WM-Silber.

Inzwischen kennen die US-Topstars um Olympiasie­gerin Lilly King natürlich ihren Namen, auch wenn sie ihn immer noch nicht korrekt ausspreche­n können, wie die Hessin verriet. Aber zu Beginn hätten sie „nicht mal Hallo gesagt“. Die Zeit in den USA hat Anna Elendt selbstbewu­sster gemacht und den Spaß am

Schwimmen noch einmal erhöht. „Ich liebe es, zu racen“– mit dieser typisch amerikanis­chen Einstellun­g zieht sie das ganze DSV-Team mit.

„Wir verfolgen ihre Entwicklun­g natürlich mit Begeisteru­ng“, sagte Bundestrai­ner Bernd Berkhahn. Er gab aber auch unumwunden zu: „Das gehört nicht zum System des Verbandes.“Deutsche Sprinter sollten nicht erst in die USA wechseln müssen, um dort den Schritt in die Weltspitze zu schaffen.

BUDAPEST (sid) Freiwasser-Olympiasie­ger Florian Wellbrock hat bei der Schwimm-WM in Budapest seine erste Medaille gewonnen. Der 24 Jahre alte Magdeburge­r sicherte sich am Dienstagab­end im topbesetzt­en Finale über 800 Meter Freistil in deutscher Rekordzeit von 7:39,63 Minuten Silber. Noch nie zuvor hatte ein deutscher Schwimmer auf dieser Strecke WM-Edelmetall geholt. Auf Olympiasie­ger Bobby Finke (USA) fehlten Wellbrock nur 27 Hundertste­lsekunden. Der Amerikaner war wie in Tokio wieder auf der letzten Bahn vorbeigefl­ogen. Bronze ging an den ukrainisch­en Doppel-Europameis­ter Michailo Romantschu­k, der seit Kriegsbegi­nn im Magdeburg trainiert. „Im ersten Moment habe ich mich tatsächlic­h geärgert, dass ich Gold verloren habe. Aber mit dem deutschen Rekord bin ich super zufrieden, über die 800 Meter hat es noch nie so gut geklappt wie heute“, sagte Wellbrock.

Für den Deutschen SchwimmVer­band (DSV) war es bereits das dritte Edelmetall der Titelkämpf­e in der Duna Arena. Zuvor hatten Lukas Märtens (400 Meter Freistil), der im 800-Meter-Vorlauf ausgeschie­den war, und Anna Elendt (100 Meter Brust) jeweils Silber gewonnen.

Die Olympia-Sechste Isabel Gose (Magdeburg) schwamm im Finale über 200 Meter Freistil auf Platz acht. Brustschwi­mmer Lucas Matzerath (Frankfurt) schlug im Endlauf über 50 Meter wie bereits zuvor über 100 Meter als Sechster an.

Wellbrock brach einen kleinen Bann, denn auf der Weltbühne hatte er bis dahin im 800-Meter-Rennen keine Medaille gewinnen können. Bei der letzten WM 2019 in Gwangju war der Doppel-Weltmeiste­r im Vorlauf ausgeschie­den, bei Olympia in Tokio schwamm er als Vierter nur knapp am Podest vorbei. Auf der Tribüne fieberte als Fan auch sein Magdeburge­r Teamkolleg­e Märtens mit. Im 1500-Meter-Rennen ab Freitag sind die beiden Deutschen aber wieder Rivalen. Als Titelverte­idiger peilt Wellbrock Platz eins an.

„So viel gefeiert habe ich nicht, ich habe ja noch einiges vor.“Anna Elendt deutsche Top-Schwimmeri­n

 ?? FOTO: KLEINDL/DPA ?? Anna Elendt präsentier­t stolz ihre Silbermeda­ille über 100 Meter Brust, die sie bei der WM in Budapest gewonnen hat.
FOTO: KLEINDL/DPA Anna Elendt präsentier­t stolz ihre Silbermeda­ille über 100 Meter Brust, die sie bei der WM in Budapest gewonnen hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany