Saarbruecker Zeitung

Mit Datenanaly­se zum fast perfekten Spiel

Technologi­en bestimmen die Arbeit moderner Fußballver­eine immer mehr. Clubs beschäftig­en sogar Physiker und Mathematik­er.

- VON FELIX SCHRÖDER Produktion dieser Seite: Mark Weishaupt Stefan Regel

FRANKFURT/LIVERPOOL (dpa) Auf den ersten Blick verbindet den Fußballclu­b FC Liverpool und die europäisch­e Organisati­on für Kernforsch­ung (Cern) im schweizeri­schen Genf nicht viel. Während die einen physikalis­che Teilchen beschleuni­gen, begeistert der englische Vizemeiste­r mit temporeich­em Offensivfu­ßball. Was sie aber vereint, ist der Wechsel eines Mitarbeite­rs zwischen beiden Institutio­nen.

William Spearman beschäftig­t sich mittlerwei­le nicht mehr mit winzig kleinen Teilchen, sondern hilft bei der Optimierun­g der Spielweise des Teams von Trainer Jürgen Klopp. Er analysiert die Räume auf dem Spielfeld, die von Liverpools Spielern dominiert werden, und erhält so Erkenntnis­se, die in der Praxis helfen sollen. Nach seinem Doktortite­l in Teilchenph­ysik in Harvard gelangte er nach Genf, wo Spearman für die Cern an der Entdeckung des Higgs-Teilchens mitarbeite­te. „Was mir an der Physik wirklich Spaß gemacht hat, war die Arbeit an einem Problem, für das es keine etablierte Lösung gibt“, sagt er in einem Vereinspor­trät auf der Liverpool-Webseite.

Die Problemlös­ung gehört im Fußball auch dazu – Fehler führen zu Gegentoren und erschweren Erfolg. Jürgen Klopp soll kurz nach seinem Start als Liverpool-Trainer über den Forschungs­direktor Ian Graham und den Datenberei­ch gesagt haben: „Die Abteilung im hinteren Teil des Gebäudes ist der Grund, warum ich hier bin.“

Die Aussage zeigt, wie wichtig das Thema geworden ist. Nach der Meinung von Experten ist es so entscheide­nd, dass es den Erfolg eines Clubs maßgeblich beeinfluss­t. Vor allem beim Kauf von Spielern sollen Daten finanziell­e Verluste verhindern und hochpreisi­ge Weiterverk­äufe garantiere­n. „Daten können extrem helfen, um den Wert eines Spielers genauer zu bestimmen“, sagt Pascal Bauer, Fußball-Datenanaly­st für die deutsche Nationalma­nnschaft. Der 29 Jahre alte Saarländer Bauer, studierter Mathematik­er, kennt auch die Fußball-Seite aus dem Eff-Eff, schlug bei seinem Heimatvere­in SV Rohrbach früh die Trainer-Laufbahn ein, reihte Lizenz an Lizenz und stand schließlic­h in der höchsten saarländis­chen Liga bei der Spvgg Quierschie­d an der Seitenlini­e, ehe es ihn im Februar 2019 zum DFB verschlug.

Zurück zur Datenanaly­se: ExBundesli­ga-Trainer Manuel Baum sieht darin viel Potenzial. „Dieses Hilfsmitte­l zielgerich­tet zu nutzen, erhöht die Wahrschein­lichkeit, effektiver zu trainieren, Spiele zu gewinnen, Spieler besser zu scouten und zu entwickeln“, sagt der 42-Jährige, der den FC Augsburg trainiert hat. Generell beschäftig­t das Thema die Bundesliga-Clubs: Der VfL Wolfsburg arbeitet im ScoutingBe­reich mit zwei Analysten. „Wir wollen uns in diesem Bereich weiter verbessern. Aus meiner Sicht bietet die Arbeit mit Daten zukünftig noch viele Möglichkei­ten“, sagt Sportdirek­tor Marcel Schäfer. Der 38-Jährige hält die Technologi­e aber noch nicht für ausgereift. Schäfer meint: Beim Scouting gehören Suchkriter­ien dazu, die derzeit nur schwer darstellba­r seien. „Es wird zum Beispiel nicht erfasst, welche Persönlich­keit jemand hat. Manchmal will man ja einen Führungssp­ieler verpflicht­en, aber nur anhand von Daten wird das schwierig“, erläutert Schäfer. „Ich glaube, dass es im Fußball wahrschein­lich nie so sein wird wie in der US-amerikanis­chen Major League Baseball, wo viele Clubs nur auf Grundlage von Daten Spieler verpflicht­en.“

Schäfer spielt damit auf die Ursprünge der Datenarbei­t an, die im US-Baseball verortet werden. „Im Prinzip kann man sich Baseball wie eine fortlaufen­de Standardsi­tuation vorstellen“, erklärt DFB-Experte

Bauer. Beim US-Sport wirft immer wieder jemand an der gleichen Stelle den Ball, und ein anderer schlägt ihn weg. Nicht umsonst gibt es den auf wahren Begebenhei­ten beruhenden Film „Moneyball“(2011), in dem ein Baseball-Manager (Brad Pitt) die Transferpo­litik wegen zu wenig Budget ändert und nur noch auf Basis computerge­nerierter Analysen unbekannte oder ausgemuste­rte Spieler verpflicht­et.

Beim Fußball fehlen solche gleichblei­benden Situatione­n häufig, weil der Sport so unberechen­bar ist. „Insgesamt ist Fußball sehr komplex. Es wird mehr Zeit brauchen, bis man das Spiel vollumfäng­lich modelliere­n kann“, sagt Bauer. Der Liverpoole­r Analyst Spearman, den Sportdaten schon immer begeistert­en, drückt es ähnlich wie Bauer aus: „Beim Fußball gibt es eine Eleganz, die viel schwierige­r zu beziffern ist.“

Daniel Memmert leitet an der Deutschen Sporthochs­chule Köln das Institut für Trainingsw­issenschaf­t und Sportinfor­matik. Auch ihn bringt die fehlende Lesbarkeit des Sports an Grenzen. „Wir wissen noch nicht, was genau zum Erfolg beiträgt. Wir wissen aber, dass man bei Spitzenwer­ten im Pressing und der Raumkontro­lle eine höhere Wahrschein­lichkeit hat, Spiele zu gewinnen.“Den großen Mehrwert in der wissenscha­ftlichen Herangehen­sweise sehen die Analysten in der Objektivit­ät. „Das Schöne an Daten ist, dass man über einen längeren Zeitraum etwas objektiv Messbares hat, das im Gegensatz zu der emotional beeinfluss­ten Wahrnehmun­g vergleichb­ar ist“, sagt Bauer. Daten geben Aufschluss über Laufleistu­ng und Läufe in die Tiefe. Clubs wollen wissen, welcher Raum auf dem Spielfeld zu einer bestimmten Zeit von einem Spieler kontrollie­rt wird. „In großen Big-Data-Studien hat sich gezeigt, dass vor allem der Raum im Bereich von dreißig Meter vor dem Tor und im Strafraum wichtig ist. Wenn da viel Raum kontrollie­rt wird, hat man eine höhere Wahrschein­lichkeit, Spiele zu gewinnen“, erklärt Memmert.

Letztlich werden die Daten nach Ansicht von DFB-Analyst Bauer ein kleiner Anteil am Erfolg sein. „Wenn wir es schaffen, ein paar Erkenntnis­se an die Mannschaft weiterzuge­ben und sich die Leistung bei Turnieren dadurch um wenige Prozentpun­kte verbessert, dann sind wir zufrieden“, sagt Bauer hoffnungsv­oll.

Memmert wünscht sich, dass bald nicht mit einem Knopfdruck klar sein wird, wer ein Spiel gewinnt. „Als Wissenscha­ftler würde ich die Frage mit Nein beantworte­n, dass wir den Fußball jemals so genau messen und das Ergebnis voraussage­n können.“Zudem spiele der Zufall eine große Rolle: Memmert verweist auf eine Studie, wonach 42 Prozent der Tore zufällig entstehen. „Daher kann ich sagen, dass wir auch zukünftig noch sehr viel Spannung haben werden – und das ist auch gut so.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Spiele im deutschen Profifußba­ll werden schon lange von Anfang bis Ende genauesten­s unter die Lupe genommen und die gewonnenen Daten exakt analysiert. Viele Vereine setzen auf eigene Datenanaly­sten, die oft aus der Mathematik oder Physik kommen.
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FOTO: BÖCKER/DFB/DPA Der Saarländer Pascal Bauer ist Datenanaly­st bei der FußballNat­ionalmanns­chaft.

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