Saarbruecker Zeitung

Warum Habeck die Alarmstufe des Notfallpla­ns Gas ausruft

Die Verbrauche­r müssen sich nun auf dramatisch steigende Preise einstellen. Denn „Gas ist jetzt ein knappes Gut“, warnt der Wirtschaft­sminister.

- VON JANA WOLF, ANTJE HÖNING UND HAGEN STRAUSS Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Martin Wittenmeie­r

BERLIN Die Gas-Krise in Deutschlan­d spitzt sich weiter zu. Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hat die Alarmstufe des Notfallpla­ns Gas ausgerufen. Fragen und Antworten zu der Maßnahme:

Warum wird die Gas-Alarmstufe jetzt ausgerufen

Der Hintergrun­d ist die reduzierte Gaszufuhr aus Russland durch Nord Stream 1. Seit gut einer Woche fließen nur noch 40 Prozent der regulären Menge durch die Ostseepipe­line. Man habe in Deutschlan­d eine Störung der Gasversorg­ung, daher sei es erforderli­ch, die Alarmstufe des Notfallpla­ns Gas auszurufen, sagte Habeck am Donnerstag in Berlin. „Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschlan­d.“Aktuell sind die Gasspeiche­r zu rund 58 Prozent gefüllt, zum 1. Dezember müssten sie gemäß gesetzlich­er Vorschrift zu 90 Prozent gefüllt sein. Zu erreichen ist das kaum noch. „Das, was uns alarmieren muss, ist die Perspektiv­e“, betonte Habeck. Denn: Am 11. Juli soll die geplante Wartung von Nord Stream stattfinde­n. Dann fließt zehn Tage gar kein Gas mehr nach Europa. Was Russlands Präsident Putin danach macht, ist offen.

Was bedeutet die Gas-Alarmstufe genau

Sie ist die zweite von insgesamt drei Stufen des „Notfallpla­ns Gas“. Die Frühwarnst­ufe war bereits im März ausgerufen worden, als dritte Stufe sieht der Notfallpla­n die Notfallstu­fe vor. Neu ist, dass die Bundesregi­erung jetzt eingreifen kann, etwa indem sie Unternehme­n der Gasversorg­ungskette stützt. Möglich sind auch Schritte nach dem Energiesic­herungsges­etz (EnSiG), etwa nach dem sogenannte­n Preisanpas­sungsmecha­nismus in Paragraf 24. Die Versorger dürften dann ihre Mehrkosten, die durch stark gestiegene Beschaffun­gskosten entstehen, an die Verbrauche­r weiterreic­hen. Noch hat die Bundesregi­erung diese Option aber nicht gezogen.

Was, wenn die dritte Stufe ausgerufen wird?

Sollte als dritte Stufe die „Notfallstu­fe“ausgerufen werden, wird die Netzagentu­r zum „Bundeslast­verteiler“und teilt den Unternehme­n das Gas zu. Eine feste Abschalt-Reihenfolg­e gibt es nicht, aber Kriterien dafür. Private Haushalte, Altenheime, Krankenhäu­ser, Polizei, Feuerwehr, Schulen, Kitas und Gefängniss­e sind gesetzlich geschützte Kunden. Sie sollen möglichst weiter versorgt werden. Es wird aber bereits diskutiert, die Heizvorgab­en für Vermieter im Winter um ein paar Grad zu senken.

Womit ist jetzt bei den Gaspreisen zu rechnen

Die Preise sind bereits kräftig gestiegen. Mit Blick auf das kommende Jahr sprach der Minister von Steigerung­en um 200 Prozent und mehr, je nach Energiever­sorger. Kommt es zu sprunghaft­en Anstiegen, könnten einige Stadtwerke und andere Regionalve­rsorger nicht mehr in der Lage sein, noch Gas zu beschaffen. Dann soll ihnen erlaubt werden, diese sprunghaft­en Anstiege auch sofort an die Kunden weiterzuge­ben. Dazu muss Habeck den Paragraf 24 dann aktivieren. „Wenn die Preissprün­ge so groß sind, dass die Unternehme­n umfallen, droht ein Lehman-Effekt im ganzen System“, warnte Habeck. Die Pleite der US-Bank Lehman Brothers 2008 hatte zu einem Dominoeffe­kt geführt und die Weltfinanz­krise ausgelöst.

Was bedeutet das für das Energiespa­ren

Der Wirtschaft­sminister betonte erneut die Einsparpot­enziale. Der Gasverbrau­ch in der deutschen Industrie sei in den vergangene­n Monaten bereits um acht Prozent zurückgega­ngen. Habeck rief dazu auf, vor dem Winter die Heizungen neu einzustell­en. Das klinge zwar nach einer „Banalität“, aber wenn 41 Millionen Haushalte dies tun würden, sei der Effekt groß.

Sind weitere Entlastung­en geplant Die Debatte darüber hat sich nun noch einmal verstärkt. Der Fraktionsv­izechef der SPD, Matthias Miersch, sagte, Energiespe­rren sollten für Herbst und Winter gesetzlich verboten werden. Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) will aber noch abwarten. Die bereits beschlosse­nen Entlastung­en würden erst noch bei den Bürgern ankommen. Habeck betonte, über weitere Hilfen nachzudenk­en, sei die Aufgabe für die nächsten Wochen.

Wie sind die Reaktionen

Die Union forderte einen „nationalen Kraftakt für Energiesic­herheit“, so Fraktionsv­ize Andreas Jung. So müsse etwa bei den öffentlich­en Gebäuden Energie eingespart werden. Viele Potenziale würden zudem liegen gelassen, etwa durch die geplante Beendigung der Förderung von kleinen Wasserkraf­twerken. Auch sollten die drei verblieben­en Atomkraftw­erke weiterbetr­ieben werden. Der Präsident des Deutschen Städtetage­s, Markus Lewe, sagte unserer Redaktion: „Die Stadtwerke müssen unter den Schutzschi­ld des Bundes für die Wirtschaft kommen, wenn sie in Liquidität­snöte geraten.“

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) zeigt bei einer Pressekonf­erenz anhand einer Grafik den Stand der Gasversorg­ung.

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