Die Wiederholung der Lehman-Krise droht
Putins Energiekrieg gegen Deutschland geht weiter. Noch bevor Nord Stream 1 für einen Wartungsstopp abgeschaltet wird, hat der russische Präsident die Lieferung soweit reduziert, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck die Alarmstufe beim Notfallplan Gas ausruft. Technisch ändert sich dadurch zunächst nichts. Doch der Schritt zeigt, wie dramatisch die Lage ist. Und er hält fünf Lehren parat:
Erstens: Der Westen hat den Energiekrieg noch lange nicht gewonnen. Mit seinen Manövern hat Putin schon eines erreicht, ohne den Gashahn abdrehen zu müssen: Kräftig steigende Preise, die Russlands Kasse klingeln lassen. So kann es die westlichen Sanktionen weiter kompensieren.
Zweitens: Deutschland ist blind in diese Krise gelaufen. Nicht nur, dass es sich bei allen Energieträgern von Gas bis Öl Russland ausgeliefert hat. Deutschland hatte sich auch nicht vorbereitet. Die Notfallpläne bezogen sich auf Unwetter oder Unfälle, aber nicht auf einen politisch gewollten dauerhaften Lieferstopp. Wir hatten fälschlicherweise darauf vertraut, dass der Satz „Russland liefert immer, auch im Kalten Krieg“weiter gilt. Entsprechend scharf müssen Habeck und Netzagentur nun das Ruder herumreißen.
Drittens: Deutschland droht damit eine Wiederholung der Lehman-Krise, wie Habeck offen sagt. Die Pleite der US-Bank Lehman Brothers 2008 hatte zu einem Dominoeffekt geführt, der Banken und Betriebe mit sich riss. Dabei geht die Krise jetzt sowohl von den Mengen wie den Preisen aus: Schaffen wir es nicht, die Speicher zu füllen, wird die Netzagentur im Winter rationieren – mit entsprechenden Folgen für die Industrie. Schon jetzt bringen die Preisanstiege die Gasimporteure unter Druck, den sie an Stadtwerke und Verbraucher weitergeben wollen.
Viertens: Steuergeld sinnvoll einsetzen. Hinter dem Ruf der Wirtschaft nach „fairer Lasten-Verteilung“steckt der schlichte Ruf nach Geld. Habeck muss auseinanderhalten, was berechtigtes Interesse und was Lobby-Anmaßung ist. Er wird es sich lange überlegen, bis er die neue Preisanpassungsklausel scharf stellt. Den Großhändlern zu erlauben, die Preissprünge eins zu eins an Stadtwerke und Verbraucher durchzureichen, bedeutet eine neue Pleitewelle. Dann reden wir von mehr als dreimal so hohen Gasrechnungen. Hier muss es klare Spielregeln für wirtschaftliche und soziale Entlastungen geben. Einen Heizrabatt nach Muster des Tankrabatts darf es nicht geben.
Fünftens: Die Zeit nutzen. Die Gefahr, dass Deutschland bis zum Winter die Notfallstufe mit allen brutalen Konsequenzen ausrufen muss, ist groß. Die Zeit, das zu verhindern, ist jetzt – im Sommer. Ob es kalt wird, entscheidet sich daran, was Haushalte und Firmen jetzt einsparen und wie schnell Alternativen stehen. Acht Prozent hat die Industrie bislang gespart, das ist nicht sehr viel. Dass Greenpeace und Umwelthilfe nun gegen Braunkohle-Kraftwerke und LNG-Terminals wettern, ist unverantwortlich und zeigt ihren destruktiven Charakter. Auch die Union ist gut beraten, Habeck zu unterstützen. Kommt es zum Gas-Notfall im Winter, interessieren Parteien überhaupt nicht mehr.