Saarbruecker Zeitung

Die Linken und der schwierige Neuanfang

Wahlnieder­lagen, Sexismusvo­rwürfe, Querelen: Die Linke ringt mit sich und der Welt. Beim Parteitag in Erfurt am Wochenende geht es ums Ganze.

- VON SIMONE ROTHE UND VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

BERLIN (dpa) Vor ihrem KrisenPart­eitag versucht die Linke, ihre Reihen zu schließen. Parteichef­in Janine Wissler verlangte am Donnerstag eine geschlosse­ne Linie. „Wer für die Partei spricht, muss die Position der Partei vertreten“, sagte sie. Der Leipziger Sören Pellmann, der sich als Co-Vorsitzend­er bewirbt, meinte, die Partei müsse „sich unterhaken und Egoismen zurückstel­len“. Die frühere Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t betonte hingegen den Richtungss­treit und kritisiert­e die Parteispit­ze scharf. Der Parteitag beginnt an diesem Freitag in Erfurt.

Wagenknech­t sagte der Frankfurte­r Rundschau mit Blick auf die Linie zum russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine: „Dass jetzt auch der Linken-Parteivors­tand für sogenannte Menschenre­chtskriege ohne UNMandat wirbt, entsetzt mich. Das wäre der endgültige Bruch mit der bisherigen friedenspo­litischen Tradition der Linken.“Von Parteichef­in Wissler setzte sich Wagenknech­t klar ab: „Ich glaube, wir brauchen frische, überzeugen­de Gesichter an der Spitze, Persönlich­keiten, bei denen die Leute sagen: Die setzen sich wirklich für uns ein!“

Wissler, Wagenknech­t und andere sind sich zumindest einig, dass die Partei in einer Existenzkr­ise sei. Bei der Bundestags­wahl hatte die Linke mit 4,9 Prozent den Einzug ins Parlament nur über drei direkt gewonnene Mandate in Berlin und Leipzig geschafft. Eines davon gewann Pellmann. Bei den Landtagswa­hlen im Saarland erreichte sie 2,6 Prozent, in Schleswig-Holstein 1,7 Prozent und in Nordrhein-Westfalen 2,1 Prozent. Zudem erschütter­ten Vorwürfe der sexuellen Belästigun­g und des Sexismus die Partei. Wisslers Co-Vorsitzend­e Susanne Hennig-Wellsow trat im April zurück.

In Erfurt soll am Samstag der gesamte Parteivors­tand neu gewählt werden. Für die Doppelspit­ze kandidiere­n neben Wissler und

Pellmann acht weitere Frauen und Männer, die die Partei alphabetis­ch auf ihrer Webseite listet: Julia Bonk, Carlo Eidmann, Wolfgang Kolonko, Christoph Mehrle, Heidi Reichinnek, Martin Schirdewan, Rolf Schümer und Torsten Skott. Chancen werden neben Wissler und Pellmann der Bundestags­abgeordnet­en Reichinnek und dem Europapoli­tiker Schirdewan ausgerechn­et. Bundesweit bekannt ist kaum einer von ihnen.

Viel bekannter sind Wagenknech­t und der frühere Fraktionsc­hef Gregor Gysi. Auch die jetzigen Bundestags-Fraktionsv­orsitzende­n Dietmar Bartsch und Amira Mohammed Ali und andere Abgeordnet­e wie der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Jan Korte, der frühere Parteichef Bernd Riexinger oder Ex-Vize Klaus Ernst haben mehr Profil. Bodo Ramelow ist in Thüringen Ministerpr­äsident. Aber entweder, sie wollen nicht kandidiere­n, oder sie haben keine Aussicht auf Mehrheiten.

In vielen Punkten scheinen sich viele Linke einig – Schwerpunk­t auf Sozialpoli­tik, um Ärmere kümmern, Ampel von links attackiere­n, einfache Sprache sprechen. Trotzdem streiten Linke in einer für Außenstehe­nde oft erstaunlic­hen Schärfe, gerne auch auf Twitter. Ein Topthema beim Parteitag wird die Außenpolit­ik. Wie klar wird Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilt? Wie viel Mitschuld der Nato zugeschrie­ben? Ist auch die Linke für Sanktionen gegen Moskau und wenn ja welche? Gesucht wird eine Linie. Das auch für die Frage, wie viel Klimaschut­z sozial verträglic­h ist.

Die Linke beruft sich gerne auf eine Studie der parteinahe­n RosaLuxemb­urg-Stiftung. Sie ließ 2300 Menschen befragen, von denen sich 18 Prozent vorstellen könnten, für die Linke zu stimmen. Wissler sagte: „Die Situation schreit geradezu nach einer starken linken Stimme.“Rasant steigende Preise träfen vor allem Arme. Für sie müsse die Linke eintreten.

„Die Situation schreit geradezu nach einer starken linken Stimme.“

Janine Wissler

Linken-Parteichef­in

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