Die Ampel kämpft mit vielen Baustellen
In der Ampel-Regierung knirscht es, die Herausforderungen sind riesig. Worüber sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsausschusss streiten und worüber sie sich einig sind.
BERLIN SPD-Chefin Saskia Esken kann von einer Premiere berichten: Sie wurde am Mittwochabend zum Koalitionsausschuss im Kanzleramt virtuell zugeschaltet. Esken ist derzeit an Covid-19 erkrankt und in Quarantäne. Corona ist nicht das einzige Thema, das derzeit in der Koalition für Gesprächsstoff sorgt. Aus Koalitionskreisen war im Anschluss von „konstruktiven Gesprächen“die Rede. Konkrete Beschlüsse aber wurden nicht gefasst. Dabei gibt es für die Ampel-Parteien durchaus Knackpunkte:
Der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner pocht darauf, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Dies würde die Ausgabenspielräume deutlich beschränken. Kurz vor dem Koalitionsausschuss machte Lindner noch einmal deutlich, dass die Rückkehr zur Schuldenbremse zu seinen wichtigsten Anliegen gehört, „weil wir sonst unsere Haushalte nicht unter Kontrolle bekommen“. Bei stark steigenden Zinsen könne man sich zusätzliche Schulden nicht mehr leisten. Zudem sollte man die Inflation nicht mit „immer neuen staatlichen Subventionen anschieben“, so der FDP-Chef. Aus Sicht der Grünen wird der Staat alleine die Inflation nicht ausgleichen können. Zur Schuldenbremse sagte Grünen-Chef Omid Nouripour zu Wochenbeginn: „Wir würden gerne sehen, wie sie eingehalten werden soll bei all den notwendigen Ausgaben.“
Eng damit verknüpft ist die Frage nach weiteren Entlastungen. Angesichts der Inflation, hoher Lebensmittel- und Energiepreise halten die Grünen diese für notwendig. Grünen-Chefin Ricarda Lang will künftige Entlastungen „noch zielgerichteter“ausgestalten und Zuschüsse sozial staffeln. Sie unterstützt den Vorschlag von SPDArbeitsminister Hubertus Heil, den Hartz-IV-Satz um rund 50 Euro anzuheben. Außerdem wollen die Grünen Menschen mit kleiner Rente stärker in den Blick nehmen. Lindner hingegen stimmte die Bürger auf eine entbehrungsreiche Zeit ein. Es gehe um drei bis vier, vielleicht fünf Jahre der Knappheit. Er sprach von der Gefahr einer „sehr ernstzunehmenden Wirtschaftskrise“. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der am Donnerstag die Gas-Alarmstufe ausrief, hält die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) einberufene konzertierte Aktion mit Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften für die richtige Antwort auf die wirtschaftliche Lage und die hohe Inflation. Am 4. Juli sollen erste Gespräche stattfinden. Welche Entlastungen er für notwendig hält, sagte Habeck allerdings nicht. Er wolle das Spiel nicht mitmachen, „jeder haut seine Vorschläge auf den Markt, dann werden die zerredet und am Ende ist es eine Machtprobe zwischen Parteien, welcher Vorschlag dann am besten rauskommt“.
Angesichts der Drosselung der Gas-Lieferungen durch Russland vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs gibt es zudem einen Streit um den Weiterbetrieb der letzten drei Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus. Finanzminister Lindner fordert, den Weiterbetrieb zumindest nochmals zu prüfen. Grüne und SPD lehnen das ab.
Die FDP lehnt das Verkaufsverbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 auf EU-Ebene ab. Die
Liberalen fordern, dass auch nach 2035 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor neu zugelassen werden können, wenn diese nachweisbar nur mit E-Fuels betankbar sind. Das grün geführte Umweltministerium befürwortet dagegen ein Verbrenner-Aus ab 2035. Können sich die Koalitionspartner nicht einigen, stimmt Deutschland in der Regel mit Enthaltung. Bei einer ersten Runde unter den Umweltministern der EU-Staaten hatte Deutschland noch zugestimmt.
„Man sollte die Inflation nicht mit immer neuen staatlichen Subventionen anschieben.“Christian Linder FDP-Chef und Finanzminister
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern wollen am 1. Juli die Maßnahmen zur Corona-Pandemie für den kommenden Herbst vorstellen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach sich für ein Ende kostenfreier Bürgertests aus und begründete dies auch mit Finanzierungslücken in der Kranken- und Pflegeversicherung. Finanzminister Lindner wird es gern gehört haben. Der Koalitionsausschuss vertiefte das Thema am Mittwochabend nicht.