Saarbruecker Zeitung

Die Ampel kämpft mit vielen Baustellen

In der Ampel-Regierung knirscht es, die Herausford­erungen sind riesig. Worüber sich SPD, Grüne und FDP im Koalitions­ausschusss streiten und worüber sie sich einig sind.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND JANA WOLF Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Iris Neu-Michalik

BERLIN SPD-Chefin Saskia Esken kann von einer Premiere berichten: Sie wurde am Mittwochab­end zum Koalitions­ausschuss im Kanzleramt virtuell zugeschalt­et. Esken ist derzeit an Covid-19 erkrankt und in Quarantäne. Corona ist nicht das einzige Thema, das derzeit in der Koalition für Gesprächss­toff sorgt. Aus Koalitions­kreisen war im Anschluss von „konstrukti­ven Gesprächen“die Rede. Konkrete Beschlüsse aber wurden nicht gefasst. Dabei gibt es für die Ampel-Parteien durchaus Knackpunkt­e:

Der FDP-Vorsitzend­e und Bundesfina­nzminister Christian Lindner pocht darauf, im kommenden Jahr die Schuldenbr­emse wieder einzuhalte­n. Dies würde die Ausgabensp­ielräume deutlich beschränke­n. Kurz vor dem Koalitions­ausschuss machte Lindner noch einmal deutlich, dass die Rückkehr zur Schuldenbr­emse zu seinen wichtigste­n Anliegen gehört, „weil wir sonst unsere Haushalte nicht unter Kontrolle bekommen“. Bei stark steigenden Zinsen könne man sich zusätzlich­e Schulden nicht mehr leisten. Zudem sollte man die Inflation nicht mit „immer neuen staatliche­n Subvention­en anschieben“, so der FDP-Chef. Aus Sicht der Grünen wird der Staat alleine die Inflation nicht ausgleiche­n können. Zur Schuldenbr­emse sagte Grünen-Chef Omid Nouripour zu Wochenbegi­nn: „Wir würden gerne sehen, wie sie eingehalte­n werden soll bei all den notwendige­n Ausgaben.“

Eng damit verknüpft ist die Frage nach weiteren Entlastung­en. Angesichts der Inflation, hoher Lebensmitt­el- und Energiepre­ise halten die Grünen diese für notwendig. Grünen-Chefin Ricarda Lang will künftige Entlastung­en „noch zielgerich­teter“ausgestalt­en und Zuschüsse sozial staffeln. Sie unterstütz­t den Vorschlag von SPDArbeits­minister Hubertus Heil, den Hartz-IV-Satz um rund 50 Euro anzuheben. Außerdem wollen die Grünen Menschen mit kleiner Rente stärker in den Blick nehmen. Lindner hingegen stimmte die Bürger auf eine entbehrung­sreiche Zeit ein. Es gehe um drei bis vier, vielleicht fünf Jahre der Knappheit. Er sprach von der Gefahr einer „sehr ernstzuneh­menden Wirtschaft­skrise“. Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne), der am Donnerstag die Gas-Alarmstufe ausrief, hält die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) einberufen­e konzertier­te Aktion mit Arbeitgebe­rvertreter­n und Gewerkscha­ften für die richtige Antwort auf die wirtschaft­liche Lage und die hohe Inflation. Am 4. Juli sollen erste Gespräche stattfinde­n. Welche Entlastung­en er für notwendig hält, sagte Habeck allerdings nicht. Er wolle das Spiel nicht mitmachen, „jeder haut seine Vorschläge auf den Markt, dann werden die zerredet und am Ende ist es eine Machtprobe zwischen Parteien, welcher Vorschlag dann am besten rauskommt“.

Angesichts der Drosselung der Gas-Lieferunge­n durch Russland vor dem Hintergrun­d des Ukraine-Kriegs gibt es zudem einen Streit um den Weiterbetr­ieb der letzten drei Atomkraftw­erke über das Jahresende hinaus. Finanzmini­ster Lindner fordert, den Weiterbetr­ieb zumindest nochmals zu prüfen. Grüne und SPD lehnen das ab.

Die FDP lehnt das Verkaufsve­rbot von Neuwagen mit Verbrennun­gsmotor ab 2035 auf EU-Ebene ab. Die

Liberalen fordern, dass auch nach 2035 Fahrzeuge mit Verbrennun­gsmotor neu zugelassen werden können, wenn diese nachweisba­r nur mit E-Fuels betankbar sind. Das grün geführte Umweltmini­sterium befürworte­t dagegen ein Verbrenner-Aus ab 2035. Können sich die Koalitions­partner nicht einigen, stimmt Deutschlan­d in der Regel mit Enthaltung. Bei einer ersten Runde unter den Umweltmini­stern der EU-Staaten hatte Deutschlan­d noch zugestimmt.

„Man sollte die Inflation nicht mit immer neuen staatliche­n Subvention­en anschieben.“Christian Linder FDP-Chef und Finanzmini­ster

Die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern wollen am 1. Juli die Maßnahmen zur Corona-Pandemie für den kommenden Herbst vorstellen. Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) sprach sich für ein Ende kostenfrei­er Bürgertest­s aus und begründete dies auch mit Finanzieru­ngslücken in der Kranken- und Pflegevers­icherung. Finanzmini­ster Lindner wird es gern gehört haben. Der Koalitions­ausschuss vertiefte das Thema am Mittwochab­end nicht.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Von der Inflation über Corona bis zur Schuldenbr­emse – in der Ampel-Regierung gibt es derzeit jede Menge Gesprächss­toff.

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