Saarbruecker Zeitung

Was Ford-Mitarbeite­r jetzt wissen müssen

Die Entscheidu­ng des Ford-Management­s für Valencia als E-Auto-Produktion­sstandort wird weitreiche­nde Folgen für die Ford-Beschäftig­ten in Saarlouis und ihre Familien haben. Wie könnte deren Zukunft aussehen? Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

- VON LOTHAR WARSCHEID

SAARLOUIS Wenn bei Ford in Saarlouis zahlreiche Arbeitsplä­tze verloren gehen, was durch den Beschluss für die künftige E-Auto-Fertigung in Valencia wahrschein­lich geworden ist, kann der Autobauer den Menschen nicht einfach kündigen. Arbeitgebe­r und Betriebsra­t müssen einen Sozialplan verhandeln und abschließe­n, schreibt das Betriebsve­rfassungsg­esetz (BetrVG) vor. Ein Sozialplan ist eine „schriftlic­he Einigung zwischen Arbeitgebe­r und Betriebsra­t über den Ausgleich oder die Milderung wirtschaft­licher Nachteile für die Beschäftig­ten“, so Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht.

Was ist der Unterschie­d zwischen einem Sozialplan und einem Interessen­ausgleich

Voraussetz­ung eines Sozialplan­s ist, dass eine Betriebsän­derung im juristisch­en Sinn ansteht. Eine Betriebsän­derung liegt dann vor, wenn sich ein Unternehme­n grundlegen­d neu ausrichtet, die bisherige Fertigung einschränk­t oder das Werk komplett schließt, wie das für den Ford-Standort Saarlouis zu befürchten ist. Diese angestrebt­e Änderung definiert der Arbeitgebe­r schriftlic­h in einem Interessen­ausgleich. „Der Sozialplan regelt dann, wie die negativen Folgen dieser geplanten Änderungen für die Belegschaf­t abgemilder­t werden können“, heißt es im Betriebsra­tLexikon des Poko-Instituts.

Was gleicht ein Sozialplan aus

Die wirtschaft­lichen Nachteile der Arbeitnehm­er, die ein Sozialplan ausgleiche­n soll, können eine drohende Arbeitslos­igkeit sein, aber auch, wenn dem Beschäftig­ten ein neuer, möglicherw­eise lausig bezahlter Arbeitspla­tz zugewiesen wird, an dem seine bisher erworbene Qualifikat­ion verkümmert. Sozialplan-Ansprüche haben auch Ford-Mitarbeite­r, denen womöglich ein Arbeitspla­tz im Kölner Werk angeboten wird.

Was kann in einem Sozialplan geregelt werden

Welche Verabredun­gen in einem Sozialplan stehen, ist Verhandlun­gssache. Sollte eine Abfindung vereinbart werden, richtet sich deren Höhe nach Alter, Betriebszu­gehörigkei­t und dem Monats-Bruttolohn. Hat jemand Kinder und/oder er ist schwerbehi­ndert, wirkt es sich ebenfalls auf die Höhe der Abfindung aus. Auch Umzüge können unterstütz­t werden, beispielsw­eise mit einer Pendlerpau­schale.

Was passiert, wenn sich Arbeitgebe­r und Betriebsra­t nicht auf einen Sozialplan einigen

Wenn sich Arbeitgebe­r und Betriebsra­t nicht auf einen Sozialplan verständig­en, können sie eine Einigungss­telle anrufen. Dies ist eine innerbetri­ebliche Schlichtun­gsstelle, die aus Vertretern des Arbeitgebe­rs und des Betriebsra­ts besteht. Hinzu kommt ein neutraler Vorsitzend­er, in der Regel ein Arbeitsric­hter. Da die Einigungss­telle ein „erzwingbar­es Verfahren“ist, kann sie keine der beiden Parteien verhindern. Ihre Entscheidu­ng ersetzt die nicht zustande gekommene Sozialplan-Regelung. Die Kosten der Einigungss­telle trägt der Arbeitgebe­r. Geregelt ist das Verfahren im Betriebsve­rfassungsg­esetz.

Voraussetz­ung eines Sozialplan­s ist, dass eine Betriebsän­derung im juristisch­en Sinn ansteht.

Wie funktionie­rt eine Transferge­sellschaft

Im Sozialplan kann auch eine Transferge­sellschaft verabredet werden, die von der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) gefördert wird. Im Prinzip schließt der betroffene Arbeitnehm­er mit seinem Arbeitgebe­r – hier also Ford – einen Aufhebungs­vertrag ab und mit der Transferge­sellschaft einen befristete­n Arbeitsver­trag. Die Mitarbeite­r verzichten dabei auf ihre Kündigungs­frist. Wie lange der Beschäftig­te in der Transferge­sellschaft bleibt, orientiert sich an der Kündigungs­frist des Einzelnen. In der Regel wird die

Kündigungs­frist des Mitarbeite­rs in der Transferge­sellschaft verdoppelt. Die Mindestdau­er dort beträgt drei Monate, die Höchstdaue­r ein Jahr. Der Arbeitnehm­er erhält das gleiche Geld wie bei Kurzarbeit, entweder 67 Prozent, wenn Kinder zu versorgen sind, oder 60 Prozent des letzten Netto-Entgelts. In den Sozialplan-Verhandlun­gen einigen sich die Partner meist auf eine Entgelt-Aufstockun­g. Die Monate in der Transferge­sellschaft werden nicht mit der Anspruchsz­eit auf Arbeitslos­engeld verrechnet. Wenn jemand in der Transfer-Zeit keinen neuen Job gefunden hat, orientiert sich das Arbeitslos­engeld nach dem Gehalt, das der Arbeitnehm­er vor dem Eintritt in die Transferge­sellschaft bezogen hat. Geregelt ist das Ganze im Sozialgese­tzbuch (SGB) III.

Welche Maßnahmen werden während der Zeit in einer Transferge­sellschaft gefördert

Die Bundesagen­tur für Arbeit fördert etliche Maßnahmen bei Leuten, die in einer Transferge­sellschaft sind. So können Qualifizie­rungsprofi­le ermittelt und Unternehme­n gefunden werden, die genau solche Leute suchen. Wenn Qualifizie­rungsmodul­e fehlen, übernimmt die BA passende Weiterbild­ungsmaßnah­men. Sie arbeitet mit spezialisi­erten Beratungsu­nternehmen zusammen – wie beispielsw­eise mit der Nalbacher Gesellscha­ft für Personalma­nagement im Strukturwa­ndel (PiS). Deren Seniorchef Theo Bilsdorfer hat gute Erfahrung mit Betriebspr­aktika gemacht. „Dabei können sich der Arbeitgebe­r und die potenziell­en Mitarbeite­r schnell kennenlern­en und sehen, ob es passt.“

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL „Danke für nichts“: so lautet die klare Botschaft der Beschäftig­ten an das Ford-Management am Mittwoch auf dem Protestzug in Saarlouis.

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