Scholz dreht in Brüssel Beruhigungspillen
Die Nervosität wächst bei zahlreichen Staats- und Regierungschefs über ausbleibende Gaslieferungen und steigende Preise. Doch Bundeskanzler Scholz sieht alle auf dem richtigen Weg.
BRÜSSEL Besorgnis und Beruhigung liegen bei diesem EU-Gipfel nur wenige Minuten auseinander. Zu Beginn des Abschlusstages sieht sich Belgiens Ministerpräsident Alexander de Croo am Freitagmorgen vor „wirtschaftlich turbulenten Zeiten“. Als reale Gefahr mit Blick auf die eingeschränkte Gaslieferung beschwört er: „Wenn Deutschland in Probleme kommt, dann hat das auch enorme Auswirkungen auf alle anderen.“Der Belgier empfindet die EU-Staaten in einer zunehmend bedrohlichen Lage angesichts des ökonomischen Krieges Russlands gegen Europa. Kurz darauf versichert Bundeskanzler Olaf Scholz ohne jede Sorgenfalte auf der Stirn: „Wir sind alle sehr, sehr sorgfältig vorbereitet auf die schwierige Lage.“Nach Ende des Gipfels betont er zum Ersatz russischer fossiler Ressourcen: „Wir sind auf einem guten Weg.“Und: „Das geht schon in die richtige Richtung.“
Es ist ein dreigeteilter Gipfel. Beim Start herrscht morgens viel Frust in den Debatten um die seit nunmehr Jahrzehnten uneingelösten Versprechen zur Aufnahme des westlichen Balkans in die EU. Am Abend verwandelt sich das in große Freude, als die Einstimmigkeit tatsächlich da ist, die Ukraine und Moldawien offiziell zu EU-Beitrittskandidaten zu erklären. Am folgenden Freitag bietet die Tagesordnung viel Potenzial zur Wiederabkühlung: Inflation, Energiepreise, Russland-Krieg. Viele Sorgen, wenig Antworten.
Doch Scholz geht zunächst auf den Vorabend ein. Und zwar mit einer Formulierung, die er zuvor in seiner Regierungserklärung in Berlin als Auftrag für den Gipfel vorgegeben hatte: 27 Mal habe die Europäische Union Ja gesagt „zu der Mitgliedschaft der Ukraine und Moldawiens in der Europäischen Union“. Das ist zwar nur bedingt richtig, denn ob die EU Ja sagt zur Mitgliedschaft, entscheidet sich wohl erst in Jahren, wenn nicht Jahrzehnten.
Doch es soll wohl für das deutsche Publikum so etwas suggerieren, wie: bestellt – geliefert.
Ohne Umschweife unterstreicht der Kanzler am Nachmittag, dass sich die EU selbst auch erst erweiterungsfähig machen müsse. Weg von der Entscheidungen lähmenden Einstimmigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Belangen. Weg auch von dem Prinzip, dass jedes Mitgliedsland einen Posten in der Kommission besetzen darf. Und Nachjustieren in der Frage, wie die Rechtsstaatlichkeit auch nach einem Beitritt garantiert werden kann. Niemand habe bei diesem
Gipfel einen Zweifel gehabt, dass eine Erweiterung ohne vorherige Reformen funktioniere, berichtet Scholz. Er selbst will das auch „nicht auf die lange Bank schieben“. Zugleich ist ihm jedoch klar „dass das noch ein bisschen dauern“werde.
Zuversichtlich klingt er bei dem einstweilen gescheiterten Versuch, mit weiteren Westbalkan-Ländern die Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Parallel zur Brüsseler Tagung hat das Parlament in Sofia die Blockade gegen Nordmazedonien aufgehoben – aber unter der Bedingung einer Verfassungsänderung des kleinen Nachbarlandes. Dazu zeigt sich jedoch Nordmazedonien bislang nicht bereit. Gleichwohl sieht Scholz hier „neue Dynamik“und „neue Kraft“am Werk. Er beteuert, dass sich die sechs BalkanLänder „auf Deutschlands Unterstützung verlassen“könnten.
Herrscht bei anderen Gipfelteilnehmern vor allem Sorge über die möglichen Auswirkungen ausbleibender Gaslieferungen, eine galoppierende Inflation und die wachsende Zahl von Menschen, die von den Preissteigerungen insbesondere auf dem Energiesektor überfordert sind, gibt sich Scholz betont gelassen. Wie ist das mit einem Preisdeckel für die Gaspreise, wie ihn einzelne EU-Staaten schon als Ausnahme bewilligt bekamen? Dazu habe die EU-Kommission den Auftrag, Vorschläge vorzulegen. Das habe auch dieser Gipfel noch einmal betont, sagt Scholz. Und er ist sich sicher, dass dieses Konzept den Gipfel „im Herbst“erreichen werde.
Und der gemeinsame Einkauf aus anderen Quellen? Schon in wenigen Tagen werde die Kommission hier die institutionellen Voraussetzungen schaffen, und dann könnten alle Länder sich daran freiwillig beteiligen, erklärt Scholz. Klappt denn dann der Ausstieg aus russischem Öl bis Jahresende? „Wir sind dabei“, sagt der Kanzler; er sei da „zuversichtlich“. Und zu skeptischen
„Wir sind alle sehr, sehr sorgfältig vorbereitet auf die schwierige Lage.“Olaf Scholz Bundeskanzler
Stimmen beim Gipfel wiederholt er: „Seien Sie sicher, wir sind mit größtem Tempo dabei.“
Schließlich bringt der Gipfel eine konkrete Erweiterung: die der EuroLänder um Kroatien. Für Scholz zeigt sich daran, dass der Euro eine „Sache“sei, nach der zu streben sich lohne. Er sei sich auch sicher, dass der Bundestag es bei der fälligen Zustimmung genauso sehen werde wie die Staats- und Regierungschefs, die für den Euro in Kroatien zum 1. Januar 2023 grünes Licht gaben. Dann wird die vorangegangene Euro-Erweiterungsrunde bereits acht Jahre zurück liegen. Kroatiens Regierungschef Andrej Plenkovic freut sich über das „exzellente Signal für die kroatische Wirtschaft“– vor allem für den Tourismus, der zum überwiegenden Teil aus den Euro-Ländern komme.