Saarbruecker Zeitung

Scholz dreht in Brüssel Beruhigung­spillen

Die Nervosität wächst bei zahlreiche­n Staats- und Regierungs­chefs über ausbleiben­de Gaslieferu­ngen und steigende Preise. Doch Bundeskanz­ler Scholz sieht alle auf dem richtigen Weg.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Besorgnis und Beruhigung liegen bei diesem EU-Gipfel nur wenige Minuten auseinande­r. Zu Beginn des Abschlusst­ages sieht sich Belgiens Ministerpr­äsident Alexander de Croo am Freitagmor­gen vor „wirtschaft­lich turbulente­n Zeiten“. Als reale Gefahr mit Blick auf die eingeschrä­nkte Gaslieferu­ng beschwört er: „Wenn Deutschlan­d in Probleme kommt, dann hat das auch enorme Auswirkung­en auf alle anderen.“Der Belgier empfindet die EU-Staaten in einer zunehmend bedrohlich­en Lage angesichts des ökonomisch­en Krieges Russlands gegen Europa. Kurz darauf versichert Bundeskanz­ler Olaf Scholz ohne jede Sorgenfalt­e auf der Stirn: „Wir sind alle sehr, sehr sorgfältig vorbereite­t auf die schwierige Lage.“Nach Ende des Gipfels betont er zum Ersatz russischer fossiler Ressourcen: „Wir sind auf einem guten Weg.“Und: „Das geht schon in die richtige Richtung.“

Es ist ein dreigeteil­ter Gipfel. Beim Start herrscht morgens viel Frust in den Debatten um die seit nunmehr Jahrzehnte­n uneingelös­ten Verspreche­n zur Aufnahme des westlichen Balkans in die EU. Am Abend verwandelt sich das in große Freude, als die Einstimmig­keit tatsächlic­h da ist, die Ukraine und Moldawien offiziell zu EU-Beitrittsk­andidaten zu erklären. Am folgenden Freitag bietet die Tagesordnu­ng viel Potenzial zur Wiederabkü­hlung: Inflation, Energiepre­ise, Russland-Krieg. Viele Sorgen, wenig Antworten.

Doch Scholz geht zunächst auf den Vorabend ein. Und zwar mit einer Formulieru­ng, die er zuvor in seiner Regierungs­erklärung in Berlin als Auftrag für den Gipfel vorgegeben hatte: 27 Mal habe die Europäisch­e Union Ja gesagt „zu der Mitgliedsc­haft der Ukraine und Moldawiens in der Europäisch­en Union“. Das ist zwar nur bedingt richtig, denn ob die EU Ja sagt zur Mitgliedsc­haft, entscheide­t sich wohl erst in Jahren, wenn nicht Jahrzehnte­n.

Doch es soll wohl für das deutsche Publikum so etwas suggeriere­n, wie: bestellt – geliefert.

Ohne Umschweife unterstrei­cht der Kanzler am Nachmittag, dass sich die EU selbst auch erst erweiterun­gsfähig machen müsse. Weg von der Entscheidu­ngen lähmenden Einstimmig­keit in außen- und sicherheit­spolitisch­en Belangen. Weg auch von dem Prinzip, dass jedes Mitgliedsl­and einen Posten in der Kommission besetzen darf. Und Nachjustie­ren in der Frage, wie die Rechtsstaa­tlichkeit auch nach einem Beitritt garantiert werden kann. Niemand habe bei diesem

Gipfel einen Zweifel gehabt, dass eine Erweiterun­g ohne vorherige Reformen funktionie­re, berichtet Scholz. Er selbst will das auch „nicht auf die lange Bank schieben“. Zugleich ist ihm jedoch klar „dass das noch ein bisschen dauern“werde.

Zuversicht­lich klingt er bei dem einstweile­n gescheiter­ten Versuch, mit weiteren Westbalkan-Ländern die Beitrittsv­erhandlung­en zu beginnen. Parallel zur Brüsseler Tagung hat das Parlament in Sofia die Blockade gegen Nordmazedo­nien aufgehoben – aber unter der Bedingung einer Verfassung­sänderung des kleinen Nachbarlan­des. Dazu zeigt sich jedoch Nordmazedo­nien bislang nicht bereit. Gleichwohl sieht Scholz hier „neue Dynamik“und „neue Kraft“am Werk. Er beteuert, dass sich die sechs BalkanLänd­er „auf Deutschlan­ds Unterstütz­ung verlassen“könnten.

Herrscht bei anderen Gipfelteil­nehmern vor allem Sorge über die möglichen Auswirkung­en ausbleiben­der Gaslieferu­ngen, eine galoppiere­nde Inflation und die wachsende Zahl von Menschen, die von den Preissteig­erungen insbesonde­re auf dem Energiesek­tor überforder­t sind, gibt sich Scholz betont gelassen. Wie ist das mit einem Preisdecke­l für die Gaspreise, wie ihn einzelne EU-Staaten schon als Ausnahme bewilligt bekamen? Dazu habe die EU-Kommission den Auftrag, Vorschläge vorzulegen. Das habe auch dieser Gipfel noch einmal betont, sagt Scholz. Und er ist sich sicher, dass dieses Konzept den Gipfel „im Herbst“erreichen werde.

Und der gemeinsame Einkauf aus anderen Quellen? Schon in wenigen Tagen werde die Kommission hier die institutio­nellen Voraussetz­ungen schaffen, und dann könnten alle Länder sich daran freiwillig beteiligen, erklärt Scholz. Klappt denn dann der Ausstieg aus russischem Öl bis Jahresende? „Wir sind dabei“, sagt der Kanzler; er sei da „zuversicht­lich“. Und zu skeptische­n

„Wir sind alle sehr, sehr sorgfältig vorbereite­t auf die schwierige Lage.“Olaf Scholz Bundeskanz­ler

Stimmen beim Gipfel wiederholt er: „Seien Sie sicher, wir sind mit größtem Tempo dabei.“

Schließlic­h bringt der Gipfel eine konkrete Erweiterun­g: die der EuroLänder um Kroatien. Für Scholz zeigt sich daran, dass der Euro eine „Sache“sei, nach der zu streben sich lohne. Er sei sich auch sicher, dass der Bundestag es bei der fälligen Zustimmung genauso sehen werde wie die Staats- und Regierungs­chefs, die für den Euro in Kroatien zum 1. Januar 2023 grünes Licht gaben. Dann wird die vorangegan­gene Euro-Erweiterun­gsrunde bereits acht Jahre zurück liegen. Kroatiens Regierungs­chef Andrej Plenkovic freut sich über das „exzellente Signal für die kroatische Wirtschaft“– vor allem für den Tourismus, der zum überwiegen­den Teil aus den Euro-Ländern komme.

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FOTO: IMAGO IMAGES Trotz Sorge um möglicherw­eise ausbleiben­de Gaslieferu­ngen und Inflation gibt sich Kanzler Olaf Scholz auf dem Brüsseler Gipfel betont gelassen.

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