Debatte zwischen Jubel und Empörung
Der Bundestag beschließt die Streichung des Paragrafen 219a, das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Dem Beschluss ging eine hitzige Debatte voraus.
BERLIN SPD und Grüne setzen gleich zu Beginn der Sitzung ein weiteres Zeichen. Vor allem die Frauen beider Fraktionen rücken in die vorderen Reihen des Plenarsaals. Um sie geht es schließlich auch bei der hitzigen Aussprache am Freitagmorgen – bei einer Debatte zwischen Jubel und Empörung. Am Ende beschließt der Bundestag mit den Stimmen der Ampel und der Linken die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen, Paragraf 219a wird damit aus dem Strafgesetz gestrichen. Es gibt stehende Ovationen. Und ein Teil der Ampel macht klar: Man will wohl noch einen Schritt weitergehen.
Durch das sogenannte Werbeverbot war es Praxen und Kliniken in Deutschland bisher untersagt, ausführlich darüber zu informieren, welche unterschiedlichen Methoden es für einen Schwangerschaftsabbruch gibt. Eine Gesetzesänderung gab es bereits 2019: Seitdem dürfen Ärzte zumindest darauf hinweisen, dass sie den Eingriff grundsätzlich vornehmen. Eine Gießener Ärztin wurde aber auch nach der Novelle vor drei Jahren zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Internetseite weitergehende Informationen zu Abtreibungen veröffentlicht hatte. Es ist Kristina Hänel, sie sitzt auf der Tribüne des Bundestages. Nach der Entscheidung haben sie und ihre Mitstreiterinnen Tränen in den Augen.
„Heute ist ein guter Tag“, rufen gleich mehrere Rednerinnen der Ampel-Koalition euphorisch. Das empört die Gegner des Vorhabens, es gibt viele aufgeregte Zwischenrufe. Und dass die SPD nach dem Votum oben auf der Fraktionsebene einen Empfang veranstaltet, empört noch mehr. „Für mich ist das heute als selbstbestimmte Frau, als Mutter von drei Kindern kein glücklicher Tag“, schimpft CSU-Familienpolitikerin Dorothee Bär. Sie kritisiert auch scharf, dass die SPD im Vorfeld der Debatte bereits ein Internetvideo veröffentlicht hat, in dem Parlamentarier eine Schaumstoffmauer mit „219a“umwerfen.
„Dieser Freitag wird einfach umwerfend“, so der Titel des Streifens – und am Ende sieht man einen zufriedenen Fraktionschef Rolf Mützenich. „Ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit und weniger Partyfeeling wäre wirklich angemessen“, schimpft Bär. Man könne sich über ein neues Gesetz oder eine neue Sozialleistung freuen, das aber sei „hoch skandalös“. Vor Monaten hatte bereits ein Video von jungen FDP-Parlamentariern für Aufregung gesorgt, die tanzend im Bundestag die geplante Abschaffung des 219a feierten.
„Für mich ist das heute als selbstbestimmte Frau, als Mutter von drei Kindern, kein glücklicher Tag.“Dorothee Bär CSU-Familienpolitikerin
Es ist halt ein Thema, das stark polarisiert. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verteidigt das Vorhaben vehement. In der digitalen Moderne könnten sich Frauen Informationen im Internet beschaffen und dort „jeder Troll, jeder Verschwörungstheoretiker alles Mögliche über Schwangerschaftsabbrüche verbreiten“. Dass hoch qualifizierte Ärzte nicht aufklären dürften, „das ist absurd, das ist aus der Zeit gefallen, das ist ungerecht“. In den AmpelFraktionen wird gejubelt. Es werde auch keine „kommerzialisierende und banalisierende Werbung“geben, verspricht Buschmann.
Die Union sieht das freilich ganz anders. CDU-Frau Elisabeth Winkelmeier-Becker wirft der Ampel vor, lediglich eine „Erfolgserlebnis“produzieren zu wollen, weil die Koalition an anderen Stellen so viele Probleme habe. Mit der Streichung werde „proaktive Werbung im Internet oder in Zeitschriften“ermöglicht. „Und das suggeriert, dass es um eine ganz normale ärztliche Behandlung geht.“Die Vorsitzende des Rechtsausschusses bekommt ebenfalls Applaus aus der AfD. Deren Abgeordnete Beatrix von Storch wirft der Koalition vor, „die Axt“an die Werteordnung zu legen.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese betont hingegen, man folge „einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung“. Verbote führten bei einer so wichtigen und persönlichen Entscheidung nicht weiter. „Heute ist ein großartiger Tag“, betont dann auch Familienministerin Lisa Paus. 219a habe ein „zutiefst menschliches Ereignis, eine ungewollte Schwangerschaft, unmenschlich bestraft.“Nun ende die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Ärzten, erklärt die Grüne. Laut dem Statistischen Bundesamt gibt es jährlich rund 100 000 Abtreibungen. Man wird sehen, ob sich nach der Streichung des 219a daran etwas ändert. Die Bundesregierung werde nun auch eine Kommission einrichten, um über Paragraf 218 und dessen Abschaffung zu reden, kündigt Paus noch an. Er regelt die Strafbarkeit eines Abbruchs.