Drei stürmische Tage für die Linken
Die Linke steckt im Abstiegskampf. Jetzt sucht sie beim Bundesparteitag in Erfurt ihren Frieden mit sich selbst. Parteichefin Janine Wissler fordert mit eindringlichem Appell einen neuen Umgang miteinander.
BERLIN Sahra Wagenknecht ist nicht da. Vielleicht hilft das dem Frieden. Nach eigenen Angaben ist sie krank, weil „aufgrund eines Kontakts der Verdacht besteht, dass ich mich mit Corona angesteckt habe“, teilte die ehemalige Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion mit. Ob der große Zoff deswegen ausfällt? Ungewiss. Parteichefin Janine Wissler hofft, dass „hitzig, aber nicht zu heiß“diskutiert werde. Wagenknecht hatte schon vor dem Linken-Bundesparteitag mit einem Änderungsantrag zum außenpolitischen Leitantrag des Bundesvorstandes für Ärger gesorgt und ahnen lassen, dass diese drei Tage von Erfurt stürmisch werden könnten. Erneut gab sie dem Westen eine Mitschuld am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, während der Vorstand um Janine Wissler Russlands „imperialistische Politik“anprangert. Jetzt wird sie zumindest bei diesem Bundesparteitag nicht reden, bei dem die Linke eine Neuaufstellung für eine politische Zukunft mit weniger Existenzängsten schaffen will.
Ob es Wagenknecht noch um Inhalte oder um Zerstörung der Partei gehe, wird Wissler noch vor dem Auftakt dieses Konvents gefragt.
Sie breitet die Arme auseinander und sagt: „Sie ist nicht da, aber ihre Anträge sind da.“Allerdings müsse sie schon zurückweisen, dass der Parteivorstand völkerrechtswidrige Kriege ohne UN-Mandat unterstütze, wie Wagenknecht unlängst in einem Interview gesagt habe. Für Ärger sorgt dazu ein Änderungsantrag zum Leitantrag der Parteispitze, wo nun der Satz gestrichen ist: „Wir nehmen keine Verletzung des Völkerrechts hin.“Wagenknecht sieht deshalb die Linke auf einen militärischen Kurs einschwenken. Doch auch für Wagenknecht ist dieser Parteitag „die letzte Chance, das Ruder noch einmal herumzureißen“. Nur in welche Richtung? Denn sinnigerweise lautet das Parteitagsmotto: „…es kommt darauf an, sie zu verändern.“Deswegen seien die 550 Delegierten aufgerufen: „Nicht schwafeln, verändern.“
Schon mittags geht es hoch her. Eine Delegierte stellt den Antrag, bereits bei diesem Parteitag auch eine neue Fraktionsspitze im Bundestag zu bestimmen, „wenn wir uns als Partei insgesamt schon neu aufstellen“. Doch: „Antrag unzulässig“, weil die Frist für Anträge zur Änderung der Tagesordnung bereits abgelaufen sei. Nach den bekannt gewordenen sexuellen Übergriffen in mehreren Landesverbänden hat die Regie dieses Parteitages auch darauf reagiert. Neben der Debatte über „Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen, Gewalt und Sexismus“ist für diesen Konvent eigens ein „AwarenessTeam“aufgestellt.
Dann tritt Parteichefin Wissler ans Rednerpult. Langer Applaus. „Wow, vielen Dank dafür!“Sie wird ihren Genossen gleich sagen: „Wir sind in einer tiefen Krise.“Die Linke habe in den vergangenen Jahren „mehr verloren als es zu verschmerzen ist“. Doch einige in der Partei täten so „als wären die Kämpfe untereinan
der wichtiger als die politischen Ziele“. Dabei lägen die Themen auf der Straße: steigende Preise, steigende Mieten, Klima, Aufrüstung, Armut. Man müsse sie nur aufnehmen. Und ehrlich sein. Denn was für die Linke-Kritik an Nato und USA gelte, dies müsse „selbstverständlich auch für Russland“gelten. „Wir messen nicht mit zweierlei Maß.“Aber: „Die Lieferung von Waffen, insbesondere der schweren Waffensysteme, an die Ukraine, die lehnen wir ab.“Wissler kommt in einer fulminanten Rede noch einmal auf die Krise der Linken zu sprechen und fordert: „Und wir müssen auch an unserer Kultur arbeiten: Wir brauchen einen solidarischen und respektvollen Umgang untereinander.“Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow redet dem Parteitag anschließend ins Gewissen: „Die Linke hat nicht das Recht, sich mit sich selbst zu beschäftigen, (…) sondern wir müssen den Anderen in den Arsch treten.“Wissler hat dann noch eine Bitte: „Wenn wir am Sonntag nach Hause fahren, sorgen wir dafür, dass unsere Vielfalt sich ergänzt und sich nicht widerspricht. Lasst uns bitte um diese Partei kämpfen– und zwar in aller Kraft.“Die Genossen applaudieren. Sie müssen noch durch zwei harte Tage.