Das Ende einer Schul-Ära in Dillingen
Nach einem Jahrhundert schließt die französische Schule in Dillingen nun endgültig. Rückblick auf ein einzigartiges Modell.
DILLINGEN Wenn man in Dillingen herum fragt, weiß längst nicht jeder von der Schule, die in diesem Jahr nach mehr als 100 Jahren ihre Tore schließen wird. Und in der Tat ist die Ecole Française ein Exot im hiesigen Bildungssystem. Dabei ist ihre Geschichte eng mit der des Saarlandes verknüpft. Gegründet 1921 als sogenannte „Domanialschule“durch die französische Verwaltung, die zu dieser Zeit das Mandat zur Administration des Saargebietes innehatte. Rund 20 solchen Schulen wurden damals gegründet, um die Kinder der französischen Angestellten im Bergbau- und Stahlbereich zu unterrichten. Wie in der Chronik der Schule nachzulesen, wurde die Einrichtung zunächst in der Nähe des Bahnhofs untergebracht. Zum Start besuchten um die 100 Kinder die Schule. Doch nach der Volksabstimmung von 1935 und dem Anschluss des Saargebiets an das Dritte Reich zogen viele Franzosen weg, was sich auf die Anmeldezahlen der Schule auswirkte. Es folgten der Umzug in Räumlichkeiten ins Neue Schloss, die von der Dillinger Hütte zur Verfügung gestellt wurden und dann die vorübergehende Schließung in den Kriegsjahren von 1939 bis 1945. Mit der Wiedereröffnung 1946 wurde die Ecole Française zur Privatschule, die sowohl von Kindergartenkindern als auch von Grundschülern besucht wurde. Doch auch zu dieser Zeit nahmen die Schülerzahlen wieder ab, sodass später nur noch eine altersgemischte Grundschulklasse übrig blieb.
Diese Besonderheit, dass alle Niveaus zusammen unterrichtet werden, fand Eric Andrès nicht verwirrend, sondern bereichernd. Er selbst besuchte die Schule in den 80er Jahren. Damals waren nicht mehr nur französische Kinder, deren Eltern bei der Dillinger Hütte beschäftigt waren, an der Schule angemeldet, sondern die Einrichtung öffnete sich auch für deutsche Schüler. „Im Schulhof wurde zu meiner Zeit aber viel Französisch und ein bisschen Deutsch gesprochen“, erzählt Andrès. Als er rund 30 Jahre später seinen Sohn in die französische Schule Dillingens einschrieb, war das Sprachverhältnis in den Pausen umgekehrt. „Von der einzigartigen Konstellation haben wir als Schüler viel profitiert.
Als Erst- oder Zweitklässler wurden wir von den älteren Schülern unterstützt und andersrum halfen wir in den höheren Jahrgängen unseren Mitschülern“, erinnert sich Eric Andrès. Durch die sehr überschaubare Größe der Schule habe dort immer eine familiäre Stimmung geherrscht. „Besonders schön waren die Weihnachtsfeiern, als alle Familien in der Schule zusammenkamen.“Und deshalb sei die Entscheidung für ihn ganz klar gewesen, dass auch sein Sohn die gleichen schönen Momente in der Grundschule erleben sollte. „Dort werden den Kindern nicht nur die französische Sprache und Kultur beigebracht, sondern es bereitet sie vor für ein Leben als Europäer“, meint er. Unter seinen ehemaligen Mitschülern, mit denen er auf den sozialen Netzwerken in Kontakt steht, leben viele nicht mehr in der
Grenzregion, sondern von Sizilien über Südfrankreich bis nach England in ganz Europa.
Diese Sicht teilt auch der französische Generalkonsul im Saarland, Sébastien Girard. „Über die Sprachkompetenzen hinaus wurden hier während der Schulzeit Werte der Toleranz und der Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen vermittelt“, sagt er und lobt auch die Rolle der Elterngemeinschaft, die all die Jahre das Rückgrat der Schule bildete.
In der Tat waren es die Eltern, die sich immer wieder bemühten, für dieses spezielle Schulmodell – eine reine französische Einrichtung auf deutschem Boden – einen entsprechenden Status zu finden. 1985 wurde der Standort Dillingen der französischen Schule angegliedert, der Standort am Neuen Schloss sowie die finanzielle Förderung durch die
Dillinger Hütte blieben aber erhalten. Eine, die sich bis zum Ende bei der Elterngemeinschaft eingebracht hat, ist Nicole Dupré aus Saarlouis. Sie ist Deutsche, ihr Mann Franzose. Ihre älteste Tochter kam 2011 in die Dillinger Schule, danach folgten ihre vier Geschwister. „Auch wenn wir eine binationale Familie sind, leben wir nun mal in Deutschland und so haben die Kinder in ihren ersten Lebensjahren vor allem Kontakt mit der deutschen Sprache gehabt. Erst durch den Besuch der Ecole Française sind sie wirklich zweisprachig geworden“, erzählt sie. „Diese Gemeinschaft, das war wirklich wie eine Familie, wir werden das hier alle sehr vermissen.“Im neuen Schuljahr wechseln Duprés zwei jüngste Kinder zum Saarbrücker Standort. Schulleiter ist dort Ludovic Grenon. Auch er lobt das Klima, das in Dillingen herrschte. „Durch diese einzige Klasse wurden die Schüler zu einer richtigen Lerngemeinschaft geschweißt, die auch über die Unterrichtszeit hinaus bestand. Alle Familien kennen sich, die Kinder wachsen zusammen und lernen ein hohes Maß an sozialer Kompetenz“, sagt er.
Elf Schüler zählt der letzte Jahrgang am Dillinger Standort. Dass dieser sich finanziell nicht länger erhalten lassen würde, hatte sich schon vor einigen Jahren angedeutet. Das Aus kommt also nicht überraschend. „Die Entscheidung, die Kooperation zu beenden, wurde im Jahr 2017 im Rahmen unternehmensweiter Kosteneinsparungsmaßnahmen getroffen“, erklärt ein Sprecher der StahlHolding-Saar (SHS). „Es wurde eine Vorlaufzeit von fünf Jahren bis 2022 vereinbart, sodass alle Schülerinnen und Schüler, die zum Zeitpunkt der Entscheidung an der Schule waren und gerade eingeschult wurden, noch ihre gesamte Grundschulzeit am Standort Dillingen absolvieren konnten. Auch die Jahrgänge, die nach der Entscheidung eingetreten sind, wussten, dass es im Jahr 2022 endet und konnten sich darauf einstellen.“Das Gebäude auf die neuesten Schulstandards umzubauen, hätte außerdem für die kommenden Jahre große Investitionen benötigt. „Dillinger bedauert die Schließung, die aber aus den genannten Gründen notwendig geworden ist“, so der Sprecher weiter.