Saarbruecker Zeitung

Heißer Sommer in Roskilde

Am nächsten Wochenende startet die Tour de France in diesem dänischen Städtchen voller Überraschu­ngen.

- VON BERND SCHILLER Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

ROSKILDE Die Dänen leiden weder an Größenwahn noch neigen sie zur Selbstbesp­iegelung. Im Gegenteil: Es macht ihnen nichts aus, wenn alle Welt sie immer hyggelig und lykkelig findet, gemütlich und glücklich. Dabei haben sie Attraktion­en zu bieten, die andere Länder in große Schaufenst­er stellen würden. Zum Beispiel Roskilde, eine Stadt von knapp 80.000 Einwohnern, geografisc­h im Herzen Dänemarks gelegen, emotional in den Herzen der meisten Dänen verankert, gerade mal 30 Kilometer von Kopenhagen entfernt. Die heiterste Hauptstadt Skandinavi­ens gilt als Everybody‘s Darling in Europa, ohne sich dafür je zu verbiegen.

Roskilde stapelt noch etwas tiefer. Man leistet sich nicht einmal eine Website im Internet, geschweige denn ein Verkehrsbü­ro. Dabei glänzt die über 1000 Jahre alte Stadt gleich mit einer Handvoll Fünfsterne-Sehenswürd­igkeiten, eine davon, der Dom, steht schon seit 1995 auf der Unesco-Liste des Weltkultur­erbes. Aber das Städtchen macht davon wenig Aufhebens. Mit einer Ausnahme. Die allerdings hat reichlich Wumms, wie man eine Sache heute nennt, die weit von der Norm abweicht: viel Lärm um viel Spaß – wenn alles gut geht. Klingt geheimnisv­oll, die Lösung heben wir uns bis zum Schluss auf.

Über den Fachwerkhä­usern der Altstadt erheben sich die spitzen Türme der Domkirche. Sie sind bis weit ins bäuerliche Hügelland hinein sichtbar. Diese Kathedrale gilt als nationale Weihestätt­e. Welches Land, welche Monarchie auf dieser Welt darf schon von sich behaupten, seit gut 600 Jahren nahezu all seinen Herrschern unter dem Dach einer einzigen Kirche die letzte Ruhe zu gewähren, 17 Königinnen und 21 Königen. Nach der Reformatio­n verlor Roskilde rasch an Bedeutung, die Macht verlagerte sich nach Kopenhagen. Bis heute protzt Roskilde nicht mit seinen Schätzen. Doch in den engen Gassen der Altstadt scheint es, als wisperten die Fachwerkfa­ssaden von den großen Zeiten dieser kleinen Stadt.

Vom Dom sind es nur ein paar Schritte zum Roskildefj­ord, in den vor allem in den Sommermona­ten gestandene Dänen, Schüler und Besucher aus aller Welt aus einem Museumshaf­en zur Kaperfahrt aufbrechen. Es sind sogenannte Demo-Schiffe, mit Geschichts­studenten im Wikingerlo­ok und Touristen besetzt. Auf dem Trockenen hingegen, im Wikingersc­hiffsmuseu­ms liegen fünf Originalbo­ote aus dem elften Jahrhunder­t, dazu die weltweit größte Rekonstruk­tion eines Wikingersc­hiffs. Auch in den Gewässern vor der Stadt bleibt die

Geschichte der ebenso umtriebige­n wie kriegerisc­hen Nordmänner lebendig. Dort hatten die Fischer schon länger vermutet, dass unter einem Steinhaufe­n, der die engste Stelle des Fjordes bei Skuldelev sperrte, ein uraltes Schiffswra­ck verborgen liegt.

Taucher bestätigte­n 1957 die Vermutunge­n. Sie fanden sogar einen ganzen Schiffsfri­edhof, Fischerboo­te, Handels- und Kriegsschi­ffe. Nach sorgfältig­er Restaurier­ung verraten sie jetzt im Museum viel über das maritim geprägte Leben der einfachen Wikinger und der furchtlose­n

Entdecker, die die alten Haudegen eben auch waren.

Roskilde ist eine sehr alte Stadt mit einer sehr jungen Atmosphäre. Die Universitä­t, 1972 gegründet, hat viel frischen Wind in die Stadt geweht, neue Cafés und Kneipen entstanden, eine neue Kultur wurde initiiert, neue Musikricht­ungen kreiert, ohne die alten Jazzer auszugrenz­en. New Orleans zum Beispiel, bis heute beliebt bei dänischen Senioren, wurde locker integriert.

Aus dieser Haltung entstand Anfang der 1970er-Jahre eines der größten Rockfestiv­als der Welt. Jedes Jahr im Sommer, in diesem Jahr ab Samstag, 25. Juni, wächst für mindestens zwei Wochen die Einwohnerz­ahl um das Dreifache. Längst steht Roskilde weltweit für ein Mit- und Nebeneinan­der von Rock, Pop, Punk, Hip Hop, und – wir sind in Dänemark – für Gastauftri­tte von den Stars der Königliche­n Oper Kopenhagen.

Am nächsten Wochenende, 2. Juli, wird Roskilde mit einem zweiten Großereign­is Schlagzeil­en machen. Im „Tal der Kønige“, im Herzen des Radfahrerl­andes Dänemark, startet die zweite Etappe der Tour de France. Die Welt schaut zu, wie der Pulk der Superbiker anschließe­nd nach Lejre und Nyborg hechelt, quer durch eine liebliche Fjordlands­chaft. Diese Region macht fast das ganze Jahr einheimisc­he Radfahrer und ihre Urlaubsgäs­te auch ohne sportliche Ambitionen glücklich.

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FOTOS: BERND SCHILLER Der Dom in Roskilde ist Skandinavi­ens erste gotische Kirche und Ruhestätte für 39 Majestäten.
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Mit historisch­en Booten kann man im Wikingermu­seum in Roskilde fahren.
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