Saarbruecker Zeitung

Hoffnung bei der Linken nach Tagen des Zorns

Beim Bundespart­eitag der Linken wurde viel und grundlegen­d debattiert. Wie viel der Frieden von Erfurt wert ist, muss sich allerdings erst noch zeigen.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Geschafft. Janine Wissler hat es geschafft. Es ist Samstag, 15:34 Uhr, in der Messe Erfurt. Die Vorsitzend­e der Partei Die Linke ist wiedergewä­hlt. Wissler kann jetzt mit einem neuen Bundesvors­tand die Mission Wiederaufb­au beginnen. Es gibt viel zu tun nach Jahren zuverlässi­gen Streits in der Partei. Genosse X sei „Bartschist“, Genossin Y sei „Wisslerist­in“und er selbst sei „ein Wagenknech­t“, erzählt Sören Pellmann, selbst Kandidat für den Parteivors­itz, über Schubladen und Zersplitte­rung der Linken. Heidi Reichinnek, Wisslers Gegenkandi­datin um den Frauenplat­z an der Parteispit­ze, hatte noch gesagt: „Wir haben nicht das Recht aufzugeben.“

Wissler hat nun einen neuen CoPiloten an der Parteispit­ze. Sie führt künftig mit dem Europaabge­ordneten Martin Schirdewan, der sein Mandat in Brüssel behalten will, die Partei. Stimmt die Chemie? Schirdewan sagt: „Ich habe ein super Gefühl.“Wissler mag dahinter nicht zurücksteh­en: „Wir kennen uns, wir mögen uns. Und wir wissen, wo wir hinwollen.“Es kann losgehen. Doch auch Schirdewan betont in seiner Rede an die Delegierte­n, dass die Probleme der Partei gravierend seien. „Es ist so, dass es keine Partei ihrer Wählerscha­ft so schwer macht, ihr Kreuz bei uns zu machen.“Schirdewan will sich gemeinsam mit Wissler wieder um die „Brot-undButter-Themen“kümmern, die die

Menschen bewegten: hohe Energiepre­ise, gestiegene Lebensmitt­elpreise, überhitzte Mieten. Und der in der Kampfabsti­mmung gegen Schirdewan unterlegen­e Pellmann? Der Leipziger erwägt nun sogar einen Rückzug aus dem Bundestag. Dabei hatte er mit seinem direkt gewonnenen Bundestags­mandat mit dazu beigetrage­n, der Linken den Fraktionss­tatus zu retten.

Ihren Kurs zu Russland sollte die Linke mit dem Parteitag von Erfurt nun geklärt haben. Bis auf Weiteres. Wissler setzt in einer heftigen Debatte über die Frage, wie es die Linke mit Russland halten will, den Leitantrag des Bundesvors­tandes mit großer Mehrheit durch und macht damit ihre Art Frieden in der Kriegsfrag­e. Die beim Parteitag erkrankt fehlende Ex-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t und ihre Unterstütz­er, die der Nato und dem Westen in einem Änderungsa­ntrag eine Mitschuld am russischen Angriffskr­ieges geben, kassieren damit am Ende eine deutliche Abfuhr. Der Parteivors­tand prangert Putins „imperialis­tische Politik“und verurteilt „den verbrecher­ischen Angriffskr­ieg Russlands aufs Schärfste“. „Der Kapitalism­us trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“, zitieren Wagenknech­t und ihre Unterstütz­er den französisc­hen Sozialiste­n Jean Jaurès. Wagenknech­t und Co. erleben in Erfurt einen politische­n Regentag. Die langjährig­e Galionsfig­ur Gregor Gysi hatte den Antragstel­lern nochmals mitgegeben, dass EU und Nato bei ihrem Umgang mit Russland quasi alles falsch gemacht hätten. „Aber es war kein einziger Fehler dabei, der den völkerrech­tswidrigen Krieg rechtferti­gt.“

Die russische Philosophi­n und Opposition­elle Oxana Timofejewa ist eigens von Sankt Petersburg nach Erfurt gereist, um den Linken ihre Sicht des heutigen Russlands zu erzählen. „Wir sind Fremde im eigenen Land“, ruft sie den Delegierte­n zu, die teilweise immer noch einem verklärten Russland-Bild nachhängen. Sie verwendet in ihrer Rede mehrfach die Vokabel „Krieg“, was in ihrer Heimat unter Strafe steht. Am Sonntag schon wollte sie zurück nach Russland reisen. Was sie dort erwartet? Wissler sagt, Timofejewa habe eine „sehr mutige Rede“gehalten.

Die Linke zeigt sich auch in Erfurt als politische wie organisato­rische Blackbox. Es ist immer Platz für Überraschu­ngen. So gibt es beispielsw­eise den Antrag, die auf der Tagesordnu­ng gesetzte Rede von Gregor Gysi zu streichen. Wohl gemerkt: Bei einem Parteitag, bei dem es um das Überleben der Partei geht, soll einer der Gründungsv­äter der gesamtdeut­schen Linken tatsächlic­h nicht sprechen dürfen. Die Delegierte­n stimmen ab: Antrag abgelehnt. Gysi kann sprechen. In drei Sätzen macht er den Delegierte­n den Ernst der Lage klar: „Zu unserem 15. Geburtstag fällt mir kein rechter Glückwunsc­h ein, weil wir uns in einer existenzie­llen Krise befinden.“Wenn nun einige Leute glaubten, sie müssten eine neue Partei aufbauen, dann habe dies „nichts mit der Realität zu tun“. Gysi: „Entweder wir retten unsere Partei oder wir versinken in Bedeutungs­losigkeit. Wir müssen neu darüber nachdenken, was unser Zweck für die Gesellscha­ft ist.“Antrag auf Trennung von Amt und Mandat? Für Gysi schlicht Unfug. „Denn wenn wir so weitermach­en, haben wir bald gar keine Mandate mehr, dann haben wir die vollständi­ge Trennung.“

Dabei hat die Partei ohnehin schon genug mit sich selbst und ihrer erhofften Neuaufstel­lung mit der Wahl eines komplett neuen Bundesvors­tandes zu tun. Die Partei leistet sich bislang ein Spitzengre­mium mit 44 Mitglieder­n, das inzwischen größer ist als die eigene Bundestags­fraktion mit 39 Abgeordnet­en.

„Es ist so, dass es keine Partei ihrer Wählerscha­ft so schwer macht, ihr Kreuz bei uns zu machen.“Martin Schirdewan Neuer Co-Parteivors­itzender

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FOTO: SCHUTT/DPA Martin Schirdewan und Janine Wissler nach der Wahl als Parteivors­itzende auf der Bühne beim Bundespart­eitag der Linken in Erfurt. Die Partei will nach Wahlschlap­pen, Streit und Sexismus-Vorwürfen wieder Tritt fassen.

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