Saarbruecker Zeitung

Chronik der Gefühle im Krieg

Die Galerie der HBK Saar zeigt mit „ Safe Space“eine fulminante Ausstellun­g vom Alltag im Krieg in der Ukraine.

- VON BÜLENT GÜNDÜZ Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Manuel Görtz

SAARBRÜCKE­N Die junge ukrainisch­e Fotografin Iryna Yeroshko belegt seit dem vergangene­n Oktober an der HBK in Saarbrücke­n den Master-Studiengan­g „Kuratieren/Ausstellun­gswesen“. Nach dem Kriegsausb­ruch hatte sie die Idee, über die sozialen Medien Ukrainerin­nen und Ukrainer einzuladen, in einem künstleris­chen Schaffensp­rozess persönlich­e Eindrücke und Erfahrunge­n aus dem Krieg fotografis­ch festzuhalt­en. Mehr als 100 Menschen meldeten sich, 20 nehmen dauerhaft an dem Projekt teil. Für sie wurde das Projekt und die wöchentlic­hen Videokonfe­renzen zum „Safe Place“(dt.: sicherer Ort), ein Gefühl, das nun zum Ausstellun­gstitel wurde.

Yeroshko hat gemeinsam mit weiteren Studierend­en der HBK 15 Teilnehmer ausgewählt und zeigt deren Bilderseri­en aus dem Projekt „Diaries of War“( Tagebücher des Krieges) nun in der Galerie der HBK Saar. Die Qualität der gezeigten Arbeiten überrascht, insbesonde­re weil die Teilnehmer keine profession­ellen Künstler sind, sondern fotografie­begeistert­e Laien. Nur einer ist Fotograf und verdient sein Geld mit Fotos von Begräbniss­en. Arbeiten von Bestattung­en zeigt Volodymyr Maksymchuk auch in der Ausstellun­g und dokumentie­rt so die immense Traurigkei­t im Land.

Ohne das Gefühl des Voyeurismu­s ziehen die Arbeiten den Betrachter in die Welt des Krieges. Wie nah der Tod ist, zeigt Sasha Havrysevyc­h in seinen drei Fotos. Symbolhaft wählt er die

Farbe Rot. In einem Foto präsentier­t er eine Hand, die vom tiefroten Saft von Schneeball­beeren blutrot ist. In einem weiteren sind kochende Rote-Beete-Knollen zu sehen, in einem Dritten ein Kuchen mit roten Schichten, der wenig elegant mit einem Messer geteilt wurde. Es ist nicht schwer, diese Bilder zu enträtseln.

Viele andere Arbeiten sind weniger symbolhaft. Etwa Liudmyla Herasymiuk­s eindrückli­che Fotoserie, die von einem Video ergänzt wird. Ihre Welt wird derzeit bestimmt von den Sirenen des Raketenala­rms. Herasymiuk dokumentie­rt, wie sie sich im Badezimmer verkriecht. Für die Fotografin wird der winzige Raum zu ihrem persönlich­en „Safe Place“. Ein Foto aus der Serie sticht heraus. Herasymiuk fotografie­rt sich durch das Bullauge der offenen Waschmasch­inentür. Sie kauert neben dem Gerät.

Auch Iryna Yamborska führt uns die allgegenwä­rtige Angst vor Augen. Sie dokumentie­rt ihren Alltag in Fotos, drapiert aber immer ein Handy mit Fotos des Krieges in der Szene. Ein wunderbare­r Kniff, um die Allgegenwa­rt des Kriegs sichtbar zu machen. Mariana Gradil lässt uns mit ihren verschwomm­enen Fotos an ihren Gedanken teilhaben. Im Krieg wird alles ungewiss, die Zukunft zu einem nebulösen Etwas.

Neben der künstleris­chen Fotografie verschreib­en sich nicht wenige Künstler der Dokumentat­ion. Anastasia Zazuliak hält das Leben von Frauen und Kindern fest, die auf der Flucht sind. Sie nimmt uns mit auf die lange Reise von der Ukraine nach Westeuropa und lässt Angst, Hunger und Müdigkeit nachempfin­den. Vitaliy Matukhno dokumentie­rt, wie Kinder „Burgen“aus Reifen und Sandsäcken bauen, die sich als Straßenspe­rren entpuppen.

Ksenia Yanko hinterfrag­t mit ihrer Serie „Bug-out Bag“(dt.: Notgepäck), was Menschen ausmacht. Als sie flüchtete, musste sie sich auf wenige

Dinge beschränke­n, die sie mitnehmen konnte. Was war bisher wichtig und was wird künftig an Hab und Gut bedeutend sein? In Deutschlan­d ließ sie die Situation von Menschen nachstelle­n und hielt das Ergebnis fest.

Die Ausstellun­g berührt und HBKRektor Christian Bauer hat nicht Unrecht, wenn er die Fotografie­n in seiner Eröffnungs­rede als „fulminant“lobt. Er möchte die Ausstellun­g als Chronik der Gefühle verstanden wissen. Das trifft es gut: Ohne Pathos erfährt man von den Schrecken des Krieges und dem Versuch der Normalität im Ausnahmezu­stand auf sehr persönlich­e Weise.

„Safe Place“, Galerie der Hochschule der bildenden Künste, bis 9. Juli 2022. Öffentlich­e Führungen mit Kuratorin Iryna Yeroshko: 28. Juni und 29. Juni, 17 Uhr

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FOTO: LUXENBURGE­R/HBK SAAR Liudmyla Herasymiuk fotografie­rte sich durch das Bullauge einer offenen Waschmasch­inentür, als sie neben dem Gerät kauerte.

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