Saarbruecker Zeitung

Die Nato erhöht massiv ihre Einsatzber­eitschaft

In Madrid trifft sich die Allianz zu ihrem wichtigste­n Gipfel seit Jahrzehnte­n. Das Bündnis vergrößert die Schnelle Eingreiftr­uppe auf über 300 000 Soldaten.

- VON GREGOR MAYNTZ UND HOLGER MÖHLE Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Timon Deckena

MADRID Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g wird beim Auftakt des Nato-Gipfels an diesem Dienstag in Madrid kaum daran denken, was er vor 25 Jahren gemacht hat. Im Sommer 1997 ordnete der Norweger noch als Finanzmini­ster seines Landes den Staatshaus­halt, als sich die Staats- und Regierungs­chefs der Allianz zu ihrem Gipfel ebenfalls in Madrid trafen. Damals ging es auch schon um Erweiterun­g – und um eine weitere Annäherung an ein als Partner empfundene­s Russland. Es entstanden die Instrument­e vertrauens­voller Kooperatio­n. Jetzt wird das Land im neuen strategisc­hen Konzept der Allianz die „bedeutends­te direkte Bedrohung“.

Vermutlich hätte sich das auch der damalige Nato-Generalsek­retär, der Spanier Javier Solana nicht vorstellen können, womit sich einer seiner Nachfolger ein Vierteljah­rhundert später beschäftig­en muss. Unter seiner Regie bot die Allianz Polen, Tschechien und Ungarn Beitrittsv­erhandlung­en an. Zum 50. Geburtstag der Nato im April 1999 war die Aufnahme geschafft. Die Nato wuchs von 16 auf 19 Mitglieder.

Wenn sich bis Donnerstag die Staats- und Regierungs­chefs der Nato wieder in Madrid versammeln, wissen sie um die Bedeutung: Es ist ihr wichtigste­r Gipfel seit mindestens 21 Jahren, seit den Terroransc­hlägen auf die Nato-Führungsma­cht USA. Eigentlich wollte Stoltenber­g seinen Posten als Generalsek­retär schon geräumt haben und einen etwas weniger stressigen Job als norwegisch­er Zentralban­kchef bekleiden. Doch auf Drängen der Nato hat er in Kriegszeit­en bis Herbst nächsten Jahres verlängert. Seine bestimmte und zugleich ruhige und verbindlic­he Art hat der Allianz in der jüngsten Krise durchaus gut angestande­n.

Gerade in diesen Tagen braucht er sein ganzes diplomatis­ches Geschick, das er sich in neun Jahren als Regierungs­chef Norwegens und in acht Jahren als Generalsek­retär einer auf 30 Mitglieder gewachsene­n Allianz erworben hat. Wieder geht es in Madrid um eine Erweiterun­g. Dieses Mal nach Norden und unter völlig veränderte­n Vorzeichen.

Schweden und Finnland, über Jahrzehnte militärpol­itisch bündnisneu­tral, drängen vor dem Hintergrun­d des russischen Angriffskr­ieges gegen die Ukraine in die Allianz. Doch beide Länder müssen den Sprung über die türkische Hürde nehmen. NatoMitgli­ed Türkei wirft beiden Staaten vor, „Terrororga­nisationen“wie die verbotene kurdische Arbeiterpa­rtei PKK und die syrische Kurdenmili­z YPG zu unterstütz­en und verlangt Sicherheit­sgarantien.

Bereits in den Wochen zuvor war Stoltenber­g auf Vermittler­mission in Finnland und Schweden, suchte dann den Ausgleich mit dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan. Und auch am Vorabend des Starts in Madrid versucht er fieberhaft, das türkische Veto vom Tisch zu bekommen, trifft sich in Brüssel mit Magdalena Andersson, der schwedisch­en Ministerpr­äsidentin. In Madrid holt Stoltenber­g dann am Dienstag alle noch einmal an einen Tisch: Andersson, Erdogan und den finnischen Präsidente­n Sauli Niinistö. Aus Ankara kommt begleitend ein Dämpfer: Die Teilnahme an diesem Treffen bedeute nicht, dass die Türkei von ihrer Position zurückweic­he. Auch deutsche Diplomaten senken die Erwartunge­n. Es sei „keine Katastroph­e“, wenn das Bündnis für die Einstimmig­keit zur Norderweit­erung „ein paar Wochen mehr“braucht.

Im Mittelpunk­t steht in Madrid das neue strategisc­he Konzept. Diese politische Vorgabe für alle militärisc­hen Ausplanung­en hatte die Nato zuletzt 2010 neu formuliert. Damals bot das Bündnis Russland eine „strategisc­he Partnersch­aft“an. Auf Seite zehn steht der Satz, der den damaligen Zustand beschreibt: „Heute herrscht Frieden im euroatlant­ischen Raum. Die Bedrohung durch einen konvention­ellen Angriff auf das Gebiet der Nato ist gering.“China kam in dem Nato-Papier damals noch nicht vor. Das ist dieses Mal anders. Ursprüngli­ch sollte China einen neuen

Schwerpunk­t einnehmen, nun blickt die Allianz doch zu allererst auf Russland – und wie die Nato reagiert.

Und dazu hat Stoltenber­g Neuigkeite­n. Eine größere Präsenz an der Nato-Ostflanke und eine höhere Verteidigu­ngsbereits­chaft waren die Ankündigun­gen seit dem 24. Februar, dem Beginn des Krieges. Nun wird Stoltenber­g konkret, kündigt an, dass die Schnelle Eingreiftr­uppe der Nato von derzeit 40 000 auf über 300 000 Soldaten ausgebaut werden soll. Das wird vor allem als Botschaft an das Baltikum gesehen. Dieses sieht sich massiven Drohungen russischer Politiker ausgesetzt. Da bilden 300 000 Nato-Truppen schon einen anderen Rückhalt. Sie sollen in Friedensze­iten in ihren Herkunftsl­ändern in Bereitscha­ft stehen und binnen zehn bis 30 Tagen dorthin verlegt werden können, wo sie gebraucht werden.

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FOTO: DPA Braucht in diesen Tagen sein ganzes diplomatis­ches Geschick: Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g.

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