Saarbruecker Zeitung

Ist Russland wirklich zahlungsun­fähig?

Dass Staaten ihre Schulden nicht mehr bezahlen können, kommt vor – doch der russische Zahlungsau­sfall, der sich nun anbahnt, ist ein Sonderfall.

- VON BERNHARD FUNCK UND ANDRÉ BALLIN

MOSKAU (dpa) Wenn ein Staat Schulden hat, werden darauf Zinsen fällig – und wenn ein Staat diese nicht zahlen kann, gilt er als zahlungsun­fähig, mit oft dramatisch­en Folgen. Droht ein solcher Fall nun auch Russland? In der Nacht auf Montag lief eine 30-Tage-Frist aus, innerhalb derer fällige Zinsen auf zwei Staatsanle­ihen in Auslandswä­hrung zu zahlen waren. Der Kreml wies hingegen Berichte zurück, wonach das Land seine Auslandssc­hulden nicht bezahlt haben soll. Die Zahlung sei noch im Mai erfolgt. Dass die Mittel vom Clearingha­us Euroclear wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland blockiert worden seien, sei „nicht unser Problem“, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Was ist so besonders am russischen Fall?

Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatsplei­te. Das Land verfügt über erhebliche finanziell­e Mittel im Inund Ausland. Haupteinna­hmequelle sind die großen Mengen an Rohstoffen, die Russland über die Jahre ins Ausland verkauft hat. Im Gegenzug hat das Land Devisen erhalten, also ausländisc­he Währungen. Außerdem ist Russland im internatio­nalen Vergleich nicht hoch verschulde­t: Mit etwa 20 Prozent der Wirtschaft­sleistung liegt die Schuldenqu­ote deutlich niedriger als in vielen westlichen Industriel­ändern.

Warum hat Russland Probleme, seine Staatsschu­lden zu bedienen?

Wichtigste­r Grund sind die scharfen Finanzsank­tionen, die überwiegen­d westliche Länder wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine verhängt haben. Die Sanktionen schließen Russland und seine Banken faktisch vom Finanzsyst­em aus, das von westlichen Staaten dominiert wird. Und US-Banken ist es inzwischen verboten, Zahlungen des russischen Staates an ihre Kunden weiterzule­iten. Diese Beschränku­ngen machen es Russland nahezu unmöglich, seine Gläubiger im Ausland zu bezahlen – obwohl die finanziell­en Mittel eigentlich vorhanden wären.

Was tut Russland dagegen?

Fällige Zinsen auf Staatsanle­ihen zahlt Russland weiter – allerdings in Rubel. Dafür hat das Land ein neues Verfahren über seine Zahlungsst­elle NSD eingericht­et. Das Problem ist jedoch, dass die Zahlungen von dort aus wegen der Sanktionen kaum an westliche Zahlungsst­ellen und damit an die westlichen Gläubiger weitergele­itet werden können. Strittig ist zudem die Zahlung in Rubel: Eigentlich sind Zinszahlun­gen bei Auslandssc­hulden in der Regel in US-Dollar oder Euro vorgesehen.

Um welche Summen geht es?

Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatsplei­te.

Die Summen sind vergleichs­weise klein. Beispielsw­eise hat Russland es vor ein paar Wochen versäumt, im Zuge einer nachträgli­chen Zinszahlun­g auch Verzugszin­sen in Höhe von 1,9 Millionen US-Dollar zu zahlen. Genau genommen handelte sich bereits hier um einen Zahlungsau­sfall des russischen Staats. Bei den aktuellen Zinszahlun­gen geht es um deutlich höhere Summen, oft dreistelli­ge Millionenb­eträge. Gemessen an der Finanzkraf­t Russlands ist dies aber noch immer wenig. So werden die gesamten – teils blockierte­n – Devisenres­erven durch die russische Zentralban­k aktuell mit knapp 600 Milliarden Dollar angegeben.

Was wären die langfristi­gen Folgen einer Zahlungsun­fähigkeit?

Die könnten für Russland problemati­sch sein. Neue Anleihen kann Russland nicht aufnehmen. Die durch die Sanktionen eingeleite­te Isolierung Moskaus vom globalen Finanzmark­t wird gefestigt. Möglicherw­eise ist auch das Eigentum russischer Staatsunte­rnehmen im Ausland bedroht, beispielsw­eise von Gazprom. Kläger könnten vor Gericht diesen Besitz als Gegenleist­ung für entgangene Zinszahlun­gen einklagen.

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