Ist Russland wirklich zahlungsunfähig?
Dass Staaten ihre Schulden nicht mehr bezahlen können, kommt vor – doch der russische Zahlungsausfall, der sich nun anbahnt, ist ein Sonderfall.
MOSKAU (dpa) Wenn ein Staat Schulden hat, werden darauf Zinsen fällig – und wenn ein Staat diese nicht zahlen kann, gilt er als zahlungsunfähig, mit oft dramatischen Folgen. Droht ein solcher Fall nun auch Russland? In der Nacht auf Montag lief eine 30-Tage-Frist aus, innerhalb derer fällige Zinsen auf zwei Staatsanleihen in Auslandswährung zu zahlen waren. Der Kreml wies hingegen Berichte zurück, wonach das Land seine Auslandsschulden nicht bezahlt haben soll. Die Zahlung sei noch im Mai erfolgt. Dass die Mittel vom Clearinghaus Euroclear wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland blockiert worden seien, sei „nicht unser Problem“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was ist so besonders am russischen Fall?
Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatspleite. Das Land verfügt über erhebliche finanzielle Mittel im Inund Ausland. Haupteinnahmequelle sind die großen Mengen an Rohstoffen, die Russland über die Jahre ins Ausland verkauft hat. Im Gegenzug hat das Land Devisen erhalten, also ausländische Währungen. Außerdem ist Russland im internationalen Vergleich nicht hoch verschuldet: Mit etwa 20 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt die Schuldenquote deutlich niedriger als in vielen westlichen Industrieländern.
Warum hat Russland Probleme, seine Staatsschulden zu bedienen?
Wichtigster Grund sind die scharfen Finanzsanktionen, die überwiegend westliche Länder wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine verhängt haben. Die Sanktionen schließen Russland und seine Banken faktisch vom Finanzsystem aus, das von westlichen Staaten dominiert wird. Und US-Banken ist es inzwischen verboten, Zahlungen des russischen Staates an ihre Kunden weiterzuleiten. Diese Beschränkungen machen es Russland nahezu unmöglich, seine Gläubiger im Ausland zu bezahlen – obwohl die finanziellen Mittel eigentlich vorhanden wären.
Was tut Russland dagegen?
Fällige Zinsen auf Staatsanleihen zahlt Russland weiter – allerdings in Rubel. Dafür hat das Land ein neues Verfahren über seine Zahlungsstelle NSD eingerichtet. Das Problem ist jedoch, dass die Zahlungen von dort aus wegen der Sanktionen kaum an westliche Zahlungsstellen und damit an die westlichen Gläubiger weitergeleitet werden können. Strittig ist zudem die Zahlung in Rubel: Eigentlich sind Zinszahlungen bei Auslandsschulden in der Regel in US-Dollar oder Euro vorgesehen.
Um welche Summen geht es?
Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatspleite.
Die Summen sind vergleichsweise klein. Beispielsweise hat Russland es vor ein paar Wochen versäumt, im Zuge einer nachträglichen Zinszahlung auch Verzugszinsen in Höhe von 1,9 Millionen US-Dollar zu zahlen. Genau genommen handelte sich bereits hier um einen Zahlungsausfall des russischen Staats. Bei den aktuellen Zinszahlungen geht es um deutlich höhere Summen, oft dreistellige Millionenbeträge. Gemessen an der Finanzkraft Russlands ist dies aber noch immer wenig. So werden die gesamten – teils blockierten – Devisenreserven durch die russische Zentralbank aktuell mit knapp 600 Milliarden Dollar angegeben.
Was wären die langfristigen Folgen einer Zahlungsunfähigkeit?
Die könnten für Russland problematisch sein. Neue Anleihen kann Russland nicht aufnehmen. Die durch die Sanktionen eingeleitete Isolierung Moskaus vom globalen Finanzmarkt wird gefestigt. Möglicherweise ist auch das Eigentum russischer Staatsunternehmen im Ausland bedroht, beispielsweise von Gazprom. Kläger könnten vor Gericht diesen Besitz als Gegenleistung für entgangene Zinszahlungen einklagen.