Saarbruecker Zeitung

„Ein großes Verspreche­n“erzählt vom Altern einer Beziehung

Nach der Pensionier­ung eines Mannes gerät seine Ehe in eine Krise , weil sich die Krankheit der Frau verschlimm­ert. Stoff für starken Film, der auch in Saarbrücke­n läuft.

- VON REINHARD KLEBER Produktion dieser Seite: Frank Kohler Michael Emmerich

SAARBRÜCKE­N (kna) Juditha und Erik sind mehr als 30 Jahre verheirate­t und lieben sich noch immer. Sie haben Tochter Sarah großgezoge­n und ein abwechslun­gsreiches Leben geführt. Als der Architektu­rprofessor Erik in Rente geht, hofft Juditha, dass die beiden nun endlich mehr gemeinsame Zeit verbringen können. Bisher war Judithas Multiple Sklerose jahrelang beherrschb­ar, sie bewegt sich geschickt mit einem Gehstock und benutzt einen Greifarm, um Geschirr aus dem Schrank zu nehmen. Doch nun schreitet die Krankheit gnadenlos voran; Juditha stürzt im Haus immer öfter und bleibt hilflos liegen.

Erik tut sich schwer mit dem neuen Dasein als Rentner und dem ständigen Zuhause-Sein. Häufig muss er einfach hinaus. Jedes Mal, wenn Juditha dann einen Notizzette­l von ihm findet, ist das für sie wie ein Stich ins Herz. Sie fühlt sich oft einsam und hadert mit den Folgen ihrer Krankheit. Ein kleiner Lichtblick ist der Besuch der Tochter Sarah, die sich ein Leben in Malmö aufgebaut hat und mit Mitte 30 schwanger wird.

Als Juditha mehr und mehr an ihre körperlich­en Grenzen stößt und sich zurückzieh­t, wächst bei Erik das Unverständ­nis darüber, dass sie jegliche Hilfen wie eine häusliche Pflegekraf­t oder einen rollbaren Toilettens­tuhl ablehnt. Juditha will ihre Selbststän­digkeit nicht aufgeben und nicht auf andere Menschen angewiesen sein. Überforder­t von der Situation, bekommt Erik Atemnot und Panikattac­ken und sucht Zuspruch in einer Seniorengr­uppe, was bei seiner Frau auf Unverständ­nis stößt. Schließlic­h hält er es nicht mehr aus und reist nach Malmö.

Regisseuri­n Wendla Nölle legt mit „Ein großes Verspreche­n“ihren ersten langen Spielfilm vor. Das Debüt ist unübersehb­ar geprägt von autobiogra­fischen Erfahrunge­n: Die Geschichte des Filmehepaa­rs, die ihre Kommiliton­in Greta Lorez im Drehbuch erzählt, ist angelehnt an die Geschichte von Nölles Eltern.

Wie schon in ihren Dokumentar­filmen „Make Me A Match“und „The Chosen Ones“über jüdische Identitäts­suchen in New York City und Jerusalem setzt sich Nölle auch in ihrem kammerspie­lartig angelegten Spielfilm mit existenzie­llen Fragestell­ungen auseinande­r. Wie kann man im Alter ein Leben in Würde führen? Wie können Senioren ihre Liebe erhalten, wenn Ängste und Frustratio­nen wegen des fortschrei­tenden Verfalls überhandne­hmen? Darf man schwerkran­ke Ehepartner verlassen, um selbst wieder ein selbstbest­immtes Leben führen zu können?

Nölle und Lorez nähern sich diesen Fragen mit großem Fingerspit­zengefühl. Vor allem ergreifen sie nicht einseitig Partei. Vielmehr schildern sie einfühlsam die Sehnsüchte, Enttäuschu­ngen und seelischen Nöte beider Partner, die zunehmend auseinande­rdriften. Kurios wirkt es jedoch, dass die ärztliche Warnung vor einem Herzinfark­t Erik keineswegs von den Fluchten aus dem Haus und der

Das Spielfilm-Debüt der Regisseuri­n ist unübersehb­ar geprägt von autobiogra­fischen Erfahrunge­n: Die Handlung ist angelehnt an die Geschichte von Nölles Eltern.

Reise nach Malmö abhält.

Bedauerlic­h ist, dass der Film die dramaturgi­schen Potenziale relevanter Nebenfigur­en wie der Tochter oder eines Arbeitskol­legen von Erik nicht ausschöpft. Gerade weil es sich offenbar um eine intakte und intensive Eltern-Kind-Beziehung handelt, erschließt sich nicht recht, warum Mutter und Vater angesichts des steigenden Leidensdru­cks Sarah nicht stärker in die Problemlös­ungssuche einbinden.

Umso stärker ruht die geradlinig­e Inszenieru­ng auf den Schultern der Hauptdarst­eller. Dagmar Manzel und der schwedisch­e Star Rolf Lassgard laufen in dieser konfliktre­ichen Konstellat­ion zu großer Form auf. Lassgard gibt lakonisch den lebensfroh­en Pensionär, der seine Frau liebt, aber immer mehr damit hadert, dass sie sich nicht helfen lassen will. Manzel versteht es, die stetig wachsende körperlich­e Behinderun­g ebenso ergreifend darzustell­en wie die Scham und die Furcht vor Ohnmacht und Einsamkeit.

Die Kamera von Nikolai von Graevenitz bleibt meist nah an den Figuren, ohne ihnen zu nah auf die Pelle zu rücken. Dass der Bildgestal­ter fast immer aus der Hand filmt und damit den Bildkader stets in einer leichten Unruhe hält, spiegelt auf der visuellen Ebene die wachsende Verunsiche­rung der Protagonis­ten wider. Leider kann die Bildsprach­e des Films ansonsten mit der inhaltlich­en Fallhöhe nicht mithalten.

„Ein großes Verspreche­n“ist im Filmhaus Saarbrücke­n in der Mainzer Straße 8 zu sehen. Die Termine stehen auf der Internetse­ite dieses Kinos. https://www.filmhaus-sb.de/ programm

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FOTO: NIKOLAI VON GRAEVENITZ/ TAMTAM FILM/DPA Dagmar Manzel verkörpert mit großer Schauspiel­kunst die Seniorin Juditha im Film „Ein großes Verspreche­n“.

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