Saarbruecker Zeitung

Scholz auf Schatzsuch­e in Kanada

So voll war es im Regierungs­flieger von Kanzler Scholz noch nie. Auch 13 Spitzenman­ager sowie Vizekanzle­r Habeck begleiten ihn nach Kanada. Die Bundesregi­erung hat Großes vor mit dem zweitgrößt­en Land der Erde.

- VON MICHAEL FISCHER

MONTREAL (dpa) In etwa zwei Dutzend Ländern auf vier Kontinente­n hat sich Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) seit seiner Vereidigun­g im Dezember schon vorgestell­t. Für kein einziges davon betrieb er bei seinen Antrittsbe­suchen so viel Aufwand wie jetzt für Kanada. Drei Tage nimmt sich Scholz Zeit für das flächenmäß­ig zweitgrößt­e Land der Welt, das nicht einmal halb so viele Einwohner hat wie Deutschlan­d. Zum Vergleich: Im deutlich mächtigere­n und wirtschaft­sstärkeren Nachbarlan­d USA war er im Februar nur halb so lange.

Das ist aber noch nicht alles: Scholz hat sich für diese Reise Verstärkun­g geholt. Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) flog mit ihm nach Montreal, der ersten von drei Reisestati­onen in Kanada. Die beiden waren zuvor erst einmal zusammen unterwegs, im Mai bei einem Nordsee-Gipfel in Dänemark. Zudem wird Scholz erstmals von einer größeren Wirtschaft­sdelegatio­n begleitet, angeführt von Industriep­räsident Siegfried Rußwurm. Ein Dutzend Spitzenman­ager sind dabei, darunter die Vorstandsv­orsitzende­n von Volkswagen, Bayer, Siemens Energy und Uniper. Insgesamt fliegen mehr als 80 Passagiere in der Regierungs­maschine mit.

Aber wofür betreiben Scholz und Habeck den ganzen Aufwand? Es gibt wirtschaft­liche und politische Gründe:

Zum einen sind da die Bodenschät­ze. Russlands Angriffskr­ieg gegen die Ukraine zwingt Deutschlan­d, sich in seinen Wirtschaft­sbeziehung­en breiter aufzustell­en. Das gilt akut für den Energieber­eich, wo man sich von russischen Gaslieferu­ngen

unabhängig machen will. Kanada hat zwar Flüssiggas. Davon kann Deutschlan­d aber erst mittelfris­tig profitiere­n, weil für den Transport über den Atlantik noch Pipelines und Terminals fehlen. Bei der Reise liegt der Fokus deswegen auf der Wasserstof­fproduktio­n. Außerdem hat die deutsche Wirtschaft an kanadische­n Mineralien und Metallen Interesse, auch an Kobalt, Nickel, Lithium und Grafit, die für die Batteriepr­oduktion wichtig sind.

Zum anderen geht es um ein Bündnis der Demokraten. Scholz brachte den Reiz, den Kanada für ihn ausmacht, nach seiner Ankunft mit einem Satz auf den Punkt: „Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschät­ze wie Russland – mit dem Unterschie­d, dass es eine verlässlic­he Demokratie ist.“Also eigentlich der perfekte Partner für einen Ausweg aus der Rohstoff-Abhängigke­it von Russland. „Wir teilen nicht nur gemeinsame Werte, sondern auch einen ähnlichen Blick auf die Welt.“

Scholz hat sich auf die Fahnen geschriebe­n, die Zusammenar­beit der Demokratie­n zu stärken, um im Systemwett­bewerb mit Autokratie­n wie China und Russland bestehen zu können. Deswegen hat er Japan vor dem wirtschaft­lich für Deutschlan­d bedeutende­ren China besucht – anders als seine Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU). Und er macht seinen Antrittsbe­such in Kanada schon nach gut acht Monaten. Merkel ließ sieben Jahre verstreich­en.

Mit dem kanadische­n Premiermin­ister Justin Trudeau versteht Scholz sich jedenfalls schon mal blendend.

Bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz auf einer Dachterras­se im alten Hafen von Montreal mit der Skyline als Kulisse spricht er von einer „Freundscha­ft, die uns beide verbindet“.

Der 50-Jährige Trudeau hat den Kanzler früh in dessen Amtszeit in Berlin besucht. Die beiden trafen sich auch beim G7-Gipfel in Elmau und beim Nato-Gipfel in Madrid. Die Chemie zwischen den beiden stimmt.

In Kanada wird Trudeau kaum von des Kanzlers Seite weichen. In Montreal, wo er seinen Wahlkreis hat, begannen die beiden ihre Gespräche. Am Dienstag geht es weiter in die Wirtschaft­smetropole Toronto und schließlic­h in das entlegene Stephenvil­le, einen kleinen Ort im dünn besiedelte­n Neufundlan­d.

Von dort wollen Kanzler und Premier dann auch etwas Zählbares mitnehmen: ein Abkommen über die Kooperatio­n bei Herstellun­g und Transport von grünem Wasserstof­f, der mithilfe erneuerbar­er Energien erzeugt wird und eine zentrale Rolle bei der Energiewen­de spielt. Bei der Nutzung von Wasserstof­f entstehen keine Treibhausg­ase. Doch muss zur Herstellun­g mit großem Energieauf­wand Wasser in Wasserstof­f und Sauerstoff gespalten werden. Klimafreun­dlich ist diese Elektrolys­e nur, wenn dafür nachhaltig produziert­e Energie verwendet wird, also zum Beispiel Strom aus Sonne oder Wind.

Wind ist in Neufundlan­d reichlich vorhanden, und es gibt genug Platz, um ihn mit Windparks in Energie umzusetzen. Ein fast perfekter Ort für die Produktion von grünem Wasserstof­f, der dann als Basis für Kraftund Brennstoff­e dienen kann, um etwa in Industrie und Verkehr Kohle, Öl und Erdgas abzulösen.

„Kanada wird für die Entwicklun­g des grünen Wasserstof­fs eine ganz, ganz zentrale Rolle spielen“, sagte Scholz in Montreal. „Deshalb sind wir sehr froh, dass wir auch bei dieser Gelegenhei­t unsere Kooperatio­n in diesem Feld ausbauen können.“

Aber es fehlen auch für Wasserstof­f noch Transportm­öglichkeit­en. Terminals sollen in Kanada bis 2025 entstehen. Der Besuch des Spitzenduo­s Scholz/Habeck wird Deutschlan­d kurzfristi­g also nicht durch die Energiekri­se helfen. Es geht um eine langfristi­ge Bindung. „Schwerpunk­t der Reise ist natürlich auf einer Energiepar­tnerschaft für die Zukunft“, sagte Habeck nach der Ankunft in Montreal im ZDF-„Morgenmaga­zin“.

„Wir teilen nicht nur gemeinsame Werte, sondern auch einen ähnlichen Blick auf die Welt.“Olaf Scholz (SPD) Bundeskanz­ler

 ?? FOTO: CHIASSON/AP ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) wurde im Montreal Science Centre von Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau (rechts) empfangen. Im Mittelpunk­t der Reise steht die Zusammenar­beit beider Länder im Klima- und Energieber­eich.
FOTO: CHIASSON/AP Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) wurde im Montreal Science Centre von Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau (rechts) empfangen. Im Mittelpunk­t der Reise steht die Zusammenar­beit beider Länder im Klima- und Energieber­eich.

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