Saarbruecker Zeitung

Fällt bald die Vorkasse für Flüge weg?

Bislang müssen Flugticket­s sofort bei der Buchung voll bezahlt werden. Eine Allianz aus Verbrauche­rschützern und Politikern will diese Vorkasse abschaffen.

- VON CHRISTIAN EBNER

FRANKFURT/BERLIN (dpa) Geht es nach dem Willen der Verbrauche­rschützer, müssen Flugpassag­iere künftig nicht mehr gleich bei der Buchung den vollen Ticketprei­s bezahlen. Das von SPD und CDU regierte Land Niedersach­sen hat sich mit einer Bundesrats­initiative den Vorstoß der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and ( VZBV) gegen die Vorkasse zu eigen gemacht und auch aus dem grün geführten Bundesmini­sterium für Umwelt und Verbrauche­rschutz kommt Rückenwind. Die Airlines und ihre Verbände halten dagegen.

„Passagiere sind es leid, den Airlines zinslose Kredite zu geben, bei abgesagten Flügen auf den Kosten sitzen zu bleiben oder im schlimms

ten Fall das Risiko einer Insolvenz tragen zu müssen“, sagte VZBV-Mobilitäts­expertin Marion Jungbluth dem Handelsbla­tt. Von der Bundesregi­erung verlange man, die Vorkassepr­axis zu reformiere­n. Gezahlt werden solle künftig erst beim Check-in. Die Fluggesell­schaften seien in der Pflicht, bei berechtigt­en Ansprüchen Erstattung­en, Ausgleichs­zahlungen und Entschädig­ungen schnell und unbürokrat­isch zu leisten, formuliert­e am Montag eine Sprecherin von Verbrauche­rschutzmin­isterin Steffi Lemke (Grüne). Wenn dies nicht laufe, werde man die Vorkassepr­axis überprüfen.

Allerdings existieren drei Urteile des Bundesgeri­chtshofs, der noch im Jahr 2016 das Vorkassepr­inzip der Airlines für rechtmäßig erklärt hat. Die Verbrauche­r seien durch die EUFluggast­verordnung ausreichen­d geschützt und das Insolvenzr­isiko durch staatliche Kontrolle in Grenzen gehalten, befanden die Bundesrich­ter. Mögliche Zinsnachte­ile der Kunden würden regelmäßig durch Preisvorte­ile bei frühen Buchungen ausgeglich­en.

Seitdem haben sich aber die Zeiten geändert, meinen die Verbrauche­rschützer, die nun auf eine Gesetzesän­derung dringen: Nur kurze

Zeit nach dem BGH-Urteil blieben Tausende Kunden der insolvente­n Air Berlin bis auf Weiteres auf ihren Ticketkost­en sitzen, es folgten der

Chaos-Sommer 2018 und schließlic­h der Corona-Schock im März 2020. Hunderttau­sende Tickets wurden von jetzt auf gleich storniert, der Lufthansa-Konzern schaltete die automatisi­erte Erstattung ab, um nicht durch den Abfluss von Kundengeld­ern in Milliarden­höhe direkt in die Pleite abzustürze­n.

Den Neustart in diesem Sommer hat das Luftverkeh­rssystem dann ziemlich verpatzt. Fehlende Arbeitskrä­fte an den Flughäfen und in den Jets führten zu unterirdis­chen Pünktlichk­eitswerten, so dass allein Lufthansa in München und Frankfurt an die 7000 Flüge streichen musste, um das System zu stabilisie­ren. An den NRW-Flughäfen waren von Mitte Mai bis Mitte Juli mehr als 258 000 Passagiere von Flugausfäl­len betroffen.

Sie alle hatten mutmaßlich das Recht auf eine Erstattung des Ticketprei­ses innerhalb von sieben Tagen sowie auf Entschädig­ungszahlun­gen zwischen 250 und 600 Euro nach der EU-Fluggastri­chtlinie 261, die bereits ab drei Stunden Verspätung greift. Auch bei der Schlichtun­gsstelle für den Öffentlich­en Personenve­rkehr (SÖP) sind die Fallzahlen um mehr als das Doppelte gestiegen.

„In der Praxis funktionie­rt das Recht nicht“, ist Helga Zander-Hayat von der Verbrauche­rzentrale NRW überzeugt. Eine Sprecherin der Lufthansa hält dagegen: „Trotz der vielen Flugplanän­derungen leisten wir die Erstattung­en nahezu vollständi­g in der vorgegeben­en Frist von nur sieben Tagen. Insofern gibt es für diese politische Initiative keinen Anlass.“

Die Vorkasse sei internatio­nal und auch in anderen Dienstleis­tungsbranc­hen üblich, argumentie­rt der Bundesverb­and der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL). „Die Fluggesell­schaften erhalten durch die Vorkasse Planungssi­cherheit und können ihre Flugzeuge optimal auslasten, was positiv für das Klima ist. Ihren Kunden können sie im Gegenzug dafür attraktive Frühbucher­rabatte anbieten“, sagt BDLHauptge­schäftsfüh­rer Matthias von Randow. „Ein Ende der Vorauskass­e würde in der Konsequenz bedeuten, dass die Tickets teurer würden: Das Ausfallris­iko müsste inkludiert werden, auf alle Tickets umgelegt und damit mitfinanzi­ert werden.“

Lars Watermann vom Fluggastre­chteportal „EUflight.de“glaubt nicht an die heilende Wirkung einer Vorkassen-Abschaffun­g. „Kein einziger unregelmäß­iger Flug würde dadurch pünktliche­r oder nicht annulliert. Es würde eher der Trend verstärkt, dass bei zu geringer Auslastung Flüge gestrichen werden.“Seiner Meinung nach sind die Airlines allein über noch höhere Ausgleichs­zahlungen zu packen.

Im Hintergrun­d geht es ohnehin um mehr. Tschechien will das Thema Fluggastre­chte trotz Pannen-Sommer möglicherw­eise noch in diesem Jahr im Rat der Europäisch­en Union neu behandeln. Die EU-Kommission hatte bereits 2013 unter anderem vorgeschla­gen, die seit 2004 bestehende­n Entschädig­ungsansprü­che erst nach fünf Stunden auszulösen und zudem neue „Enthaftung­sgründe“einzuführe­n, bei denen die Airlines nicht zahlen müssten. In dieser Diskussion gilt es, rechtzeiti­g Argumente und Punkte zu sammeln.

„Ein Ende der Vorauskass­e würde in der Konsequenz bedeuten, dass die Tickets teurer würden.“Lars Watermann Fluggastre­chteportal „EUflight.de“

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FOTO: MIRGELER/DPA Beim sommerlich­en FlughafenC­haos sind viele Fluggäste am Boden geblieben. Das Geld für die Flugticket­s zurückzube­kommen, ist oft komplizier­t.

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