Saarbruecker Zeitung

Lassen sich Krisenprof­iteure zur Kasse bitten?

Während die deutsche Bundesregi­erung die Übergewinn­steuer für Energiekon­zerne bislang ablehnt, erheben Länder wie Italien oder Griechenla­nd bereits eine Sonderabga­be auf außerorden­tlich hohe Gewinne.

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Timon Deckena

BRÜSSEL Sollten Krisenprof­iteure im Interesse des Gemeinwohl­s deutlich mehr Steuern bezahlen? Die Frage beschäftig­t angesichts des Kriegs in der Ukraine und explodiere­nden Energiekos­ten seit Monaten Europa. Denn während Bürger aufgerufen werden, sich im kommenden Winter wärmer anzuziehen, statt allzu viel zu heizen, streichen einige Konzerne Rekordgewi­nne in Milliarden­höhe ein. Der Lösungsvor­schlag vieler Politiker lautet: die Einführung einer Übergewinn­steuer. Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) lehnt eine solche für Deutschlan­d zwar ab, vonseiten der SPD und der Grünen aber mehren sich die Stimmen für eine Sonderabga­be für Energiekon­zerne, die vom drastische­n Anstieg der Öl- und Gaspreise profitiere­n. Vorneweg Branchenri­esen wie RWE, Vattenfall und EnBW wären betroffen.

Die EU-Kommission gab den 27 Mitgliedst­aaten bereits im März einen Leitfaden mit Empfehlung­en für eine Übergewinn­besteuerun­g an die Hand, wenn „übermäßige Marktverze­rrungen“vermieden werden. Gerade erst ergab eine Studie der Wissenscha­ftler David Kern-Fehrenbach und Christoph Trautvette­r vom Netzwerk Steuergere­chtigkeit, einer Allianz von Verbänden und Nichtregie­rungsorgan­isationen, für die Linken-nahe Rosa-LuxemburgS­tiftung, dass der deutsche Staat – je nach Modell und abhängig vom gewählten Satz – mit einer Übergewinn­steuer für Öl-, Gas- und Stromkonze­rne Einnahmen von rund 30 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr generieren könne. „Realistisc­h wären 30 bis 40 Milliarden Euro“, sagt David Kern-Fehrenbach, einer der beiden Studienaut­oren.

Zahlreiche EU-Länder haben bereits in unterschie­dlicher Form eine Übergewinn­steuer eingeführt. In Griechenla­nd, Rumänien und Spanien etwa sind die Stromerzeu­ger von der temporären Abgabe betroffen. Deshalb seien die Mehreinnah­men laut Kern-Fehrenbach zum Beispiel in Griechenla­nd relativ gering, obwohl der Steuersatz bei 90 Prozent liegt. Die Wissenscha­ftler empfehlen deshalb für Deutschlan­d, neben Stromprodu­zenten auch Mineralölk­onzerne mit einer Übergewinn­steuer zu belasten – ähnlich wie in Italien. Dort haben Unternehme­n bereits eine „außerorden­tliche Solidaritä­tsabgabe“abzuführen, wie die Regierung in Rom im März an

kündigte. So müssen diese ab einer bestimmten Zugewinngr­öße 25 Prozent direkt vom Umsatz an den Staat überweisen. Rund zehn Milliarden Euro an Mehreinnah­men versprach sich die Regierung in Rom zum ersten Stichtag Ende Juni, um die unter hohen Energiekos­ten ächzenden Unternehme­n und Haushalte zu entlasten. Doch viele von der Maßnahme betroffene­n Konzerne haben die Zahlung der ersten Rate offenbar

verweigert. Zunächst gingen lediglich eine Milliarde Euro an den Fiskus. Beobachter rechnen jedoch damit, dass große Teile der Zahlungen noch nachträgli­ch getätigt werden. Oder könnten sich Unternehme­n, beispielsw­eise durch Klagen, der Zwangsabga­be zumindest zeitweise entziehen? „Es wäre ein unrealisti­sches Szenario für Deutschlan­d, weil es rein rechtlich nicht möglich ist, sich einfach einer Steuer zu widersetze­n“, sagt Kern-Fehrenbach. Während die europäisch­en Beispiele gemeinsam haben, dass sie vorübergeh­ende Maßnahmen sind, gebe es bei allen Modellen auch eine Schwierigk­eit: „Das Problem ist, dass ein großer Teil der Gewinne der Mineralölk­onzerne nicht in den Ländern vor Ort verbucht wird, sondern in den Förderländ­ern oder in Steueroase­n wie Singapur oder in der Schweiz“, so Kern-Fehrenbach. Die Studienaut­oren schlagen deshalb vor, den in Deutschlan­d zu versteuern­den Gewinn anhand des deutschen Anteils am Umsatz aus den globalen Konzerngew­innen abzuleiten. Kern-Fehrenbach verweist in diesem Zusammenha­ng auf das Thema Digitalste­uern, wo manche Staaten, darunter Frankreich, ähnlich agiert haben.

Erst Anfang des Monats ergab eine Umfrage, dass die deutsche Bevölkerun­g die Übergewinn­steuer mehrheitli­ch unterstütz­t. 76 Prozent der Befragten halten laut ARDDeutsch­landtrend die Sonderabga­be für Unternehme­n, die aufgrund der Krise besonders hohe Gewinne machen, für eine richtige Maßnahme. 19 Prozent lehnen sie ab.

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) lehnt eine Übergewinn­steuer ab, bei SPD und Grünen mehren sich aber die Stimmen für eine Sonderabga­be für Gewinner der Energiekri­se.

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